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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die erste Liebe

Wechsel ist von Chr. von Rommel herausgegeben worden, Frankfurt, 1847)
einmal gefragt, warum er der katholischen Kirche, deren Glauben seiner innern
Überzeugung entspreche, nicht auch äußerlich beitrete. Leibniz antwortete: "Es
kann kommen, daß in der Kirche, so untrüglich sie in den zur Seligkeit not¬
wendigen Glaubensartikeln ist, einige andre Irrtümer oder Mißbräuche in die
Seelen sich einschleichen, und indem man von denen, die ihr anzugehören
wünschen möchten, die aber den Beweis des Gegenteils jener Irrtümer zu haben
glauben, die Annahme eben dieser Irrtümer fordert, versetzt man sie in die
Unmöglichkeit, in der äußern Gemeinschaft zu sein, so lange sie aufrichtig sein
wollen." Er sührt dann einige Fälle ans frühern Zeiten an und bekennt von
sich, daß er einige philosophische Ansichten hege, die von der herrschenden
Theologie verworfen würden, obwohl sie seiner Überzeugung nach weder der
Schrift, noch der Tradition, noch den Beschlüssen der Konzilien widersprachen.
Diese seine Ansichten verschweigen, das gehe nicht an; da müßte er auf das
verzichten, was er für seine Lebensaufgabe ansehe. "Wäre ich in der römischen
Kirche geboren, so würde ich nur dann auftreten, wenn man mich ausschlösse
und mir auf die Weigerung, gewisse herkömmliche Meinungen zu unterschreiben,
die Gemeinschaft versagte. Jetzt aber, da ich außerhalb der Gemeinschaft Roms
geboren und erzogen bin, wird es weder aufrichtig noch sicher sein, sich zum
Eintritt zu melden, wenn man weiß, daß man vielleicht nicht aufgenommen
würde, wenn man fein Herz entdeckte. Man würde eine ausdrückliche Bei¬
stimmung zu Dingen verlangen, die mir mißfallen. Solch ein Eintretender
müßte stets seine Gedanken verbergen, oder sich dem Spruch aussetzen: turxiu8
sjioiwr W-un ron aämiltiwr llosxss." Was von dem gebornen Protestanten
gilt, das gilt in noch höherm Grade von dem "abtrünnigen" Katholiken, und
doppelt, wenn er katholischer Priester gewesen ist. Hat er sich gar der Publi¬
zistik gewidmet, so kann er ja nicht eine Woche leben, ohne sein Herz auf¬
zudecken.




Die erste Liebe
Charlotte Niese von(Schluß)

"f einmal war es wieder Frühling geworden, Grus Rvssiug ging
in dein grünenden Buchenwalde spazieren und horte uns den Schlag
der Nachtigall. Er ärgerte sich halb und halb über die süßen
Laute, die ihn von Buche zu Buche verfolgten, und baun stand er
doch wieder still und horchte auf sie.

Rössing hatte leinen sehr guten Winter gehabt, trotz der Riviera
und der musikalischen Italiener. Das Podagra hatte ihn gequält, und sein Sohn, der


Die erste Liebe

Wechsel ist von Chr. von Rommel herausgegeben worden, Frankfurt, 1847)
einmal gefragt, warum er der katholischen Kirche, deren Glauben seiner innern
Überzeugung entspreche, nicht auch äußerlich beitrete. Leibniz antwortete: „Es
kann kommen, daß in der Kirche, so untrüglich sie in den zur Seligkeit not¬
wendigen Glaubensartikeln ist, einige andre Irrtümer oder Mißbräuche in die
Seelen sich einschleichen, und indem man von denen, die ihr anzugehören
wünschen möchten, die aber den Beweis des Gegenteils jener Irrtümer zu haben
glauben, die Annahme eben dieser Irrtümer fordert, versetzt man sie in die
Unmöglichkeit, in der äußern Gemeinschaft zu sein, so lange sie aufrichtig sein
wollen." Er sührt dann einige Fälle ans frühern Zeiten an und bekennt von
sich, daß er einige philosophische Ansichten hege, die von der herrschenden
Theologie verworfen würden, obwohl sie seiner Überzeugung nach weder der
Schrift, noch der Tradition, noch den Beschlüssen der Konzilien widersprachen.
Diese seine Ansichten verschweigen, das gehe nicht an; da müßte er auf das
verzichten, was er für seine Lebensaufgabe ansehe. „Wäre ich in der römischen
Kirche geboren, so würde ich nur dann auftreten, wenn man mich ausschlösse
und mir auf die Weigerung, gewisse herkömmliche Meinungen zu unterschreiben,
die Gemeinschaft versagte. Jetzt aber, da ich außerhalb der Gemeinschaft Roms
geboren und erzogen bin, wird es weder aufrichtig noch sicher sein, sich zum
Eintritt zu melden, wenn man weiß, daß man vielleicht nicht aufgenommen
würde, wenn man fein Herz entdeckte. Man würde eine ausdrückliche Bei¬
stimmung zu Dingen verlangen, die mir mißfallen. Solch ein Eintretender
müßte stets seine Gedanken verbergen, oder sich dem Spruch aussetzen: turxiu8
sjioiwr W-un ron aämiltiwr llosxss." Was von dem gebornen Protestanten
gilt, das gilt in noch höherm Grade von dem „abtrünnigen" Katholiken, und
doppelt, wenn er katholischer Priester gewesen ist. Hat er sich gar der Publi¬
zistik gewidmet, so kann er ja nicht eine Woche leben, ohne sein Herz auf¬
zudecken.




Die erste Liebe
Charlotte Niese von(Schluß)

„f einmal war es wieder Frühling geworden, Grus Rvssiug ging
in dein grünenden Buchenwalde spazieren und horte uns den Schlag
der Nachtigall. Er ärgerte sich halb und halb über die süßen
Laute, die ihn von Buche zu Buche verfolgten, und baun stand er
doch wieder still und horchte auf sie.

Rössing hatte leinen sehr guten Winter gehabt, trotz der Riviera
und der musikalischen Italiener. Das Podagra hatte ihn gequält, und sein Sohn, der


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[0631] Die erste Liebe Wechsel ist von Chr. von Rommel herausgegeben worden, Frankfurt, 1847) einmal gefragt, warum er der katholischen Kirche, deren Glauben seiner innern Überzeugung entspreche, nicht auch äußerlich beitrete. Leibniz antwortete: „Es kann kommen, daß in der Kirche, so untrüglich sie in den zur Seligkeit not¬ wendigen Glaubensartikeln ist, einige andre Irrtümer oder Mißbräuche in die Seelen sich einschleichen, und indem man von denen, die ihr anzugehören wünschen möchten, die aber den Beweis des Gegenteils jener Irrtümer zu haben glauben, die Annahme eben dieser Irrtümer fordert, versetzt man sie in die Unmöglichkeit, in der äußern Gemeinschaft zu sein, so lange sie aufrichtig sein wollen." Er sührt dann einige Fälle ans frühern Zeiten an und bekennt von sich, daß er einige philosophische Ansichten hege, die von der herrschenden Theologie verworfen würden, obwohl sie seiner Überzeugung nach weder der Schrift, noch der Tradition, noch den Beschlüssen der Konzilien widersprachen. Diese seine Ansichten verschweigen, das gehe nicht an; da müßte er auf das verzichten, was er für seine Lebensaufgabe ansehe. „Wäre ich in der römischen Kirche geboren, so würde ich nur dann auftreten, wenn man mich ausschlösse und mir auf die Weigerung, gewisse herkömmliche Meinungen zu unterschreiben, die Gemeinschaft versagte. Jetzt aber, da ich außerhalb der Gemeinschaft Roms geboren und erzogen bin, wird es weder aufrichtig noch sicher sein, sich zum Eintritt zu melden, wenn man weiß, daß man vielleicht nicht aufgenommen würde, wenn man fein Herz entdeckte. Man würde eine ausdrückliche Bei¬ stimmung zu Dingen verlangen, die mir mißfallen. Solch ein Eintretender müßte stets seine Gedanken verbergen, oder sich dem Spruch aussetzen: turxiu8 sjioiwr W-un ron aämiltiwr llosxss." Was von dem gebornen Protestanten gilt, das gilt in noch höherm Grade von dem „abtrünnigen" Katholiken, und doppelt, wenn er katholischer Priester gewesen ist. Hat er sich gar der Publi¬ zistik gewidmet, so kann er ja nicht eine Woche leben, ohne sein Herz auf¬ zudecken. Die erste Liebe Charlotte Niese von(Schluß) „f einmal war es wieder Frühling geworden, Grus Rvssiug ging in dein grünenden Buchenwalde spazieren und horte uns den Schlag der Nachtigall. Er ärgerte sich halb und halb über die süßen Laute, die ihn von Buche zu Buche verfolgten, und baun stand er doch wieder still und horchte auf sie. Rössing hatte leinen sehr guten Winter gehabt, trotz der Riviera und der musikalischen Italiener. Das Podagra hatte ihn gequält, und sein Sohn, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/631>, abgerufen am 26.11.2024.