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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

zogen. Man begnügt sich jetzt in den altkatholischen Gemeinden mit einem
verdünnten Katholizismus, der ebenso kritiklos genossen wird, wie der inhalt¬
reichere der alten Kirche, und ist schon froh, nur von Rom losgekommen zu
sein. Natürlich haben sich auch in diesen kleinen Gemeinden die soziologischen
Gesetze bewährt. Wie es meistens Gruppen befreundeter Familien gewesen
waren, die sich seinerzeit dem Altkatholizismus angeschlossen hatten, so haben
dann das Gemeindcleben und die gesellschaftliche Absonderung von den römisch¬
katholischen Mitbürgern die Gemeindeglieder noch näher mit einander verbunden;
Gemeindefamilienabende, Vortragsabende und Vereine sorgen für einen leb¬
haften und zum Teil recht herzlichen Verkehr. Aber die Aussicht, daß die
deutsche Altkatholikengemeinschaft das Jahr 2000 erleben konnte, ist sehr gering.
Eine kleine zerstreute Religionsgemeinschaft wird mit der Zeit von den großen
Gemeinschaften, in deren Schoße sie lebt, aufgesogen. Da sich die Zahl der
Altkatholiken zur Bevölkerung Deutschlands wie 1 : 1000 verhält, so beträgt
die Wahrscheinlichkeit für altkatholische junge Leute, ein Ehegespons derselben
Konfession zu erhalten, nur eiutausendstel, in gemischten Ehen aber werden die
Kinder, wie man sich denken kann, meistens in der Konfession des andern
Gatten, also evangelisch oder römisch-katholisch erzogen. Nur solche kleine
Kirchengemeinschaften (von Nationalitüten und Sprachgemeinschaften gilt das¬
selbe) können sich halten, deren Mitglieder auf einem Haufen beisammen wohnen
(dieses Vorteils erfreuen sich die Altkatholiken nur in einigen Gegenden Badens,
wo denn auch ungemischte altkatholische Ehen vorkommen), oder die sich, wenn
sie zerstreut wohnen, durch auffällige Eigentümlichkeiten von ihrer Umgebung
absondern. Die Altkatholiken Pflegen es sehr übel zu nehmen, wenn sie eine
Sekte genannt werden. Allerdings sind sie das nicht, aber um ihre Zukunft
würde es besser bestellt sein, wenn sie eine wären, wenn sie sich entweder durch
einen fanatisch sestgehaltnen absonderlichen Glaubenssatz, oder durch auffällige
Gebräuche oder Kleidung von ihrer Umgebung absonderten und auf Heiraten
mit Glaubensgenossen angewiesen wären, denn nur dadurch könnte dem Auf¬
saugungsprozeß vorgebeugt werden.

Auch sieht es uicht darnach aus, als ob der kleinen Gemeinschaft in ihrem
kurzen Leben noch die Lösung großer Aufgaben zufallen sollte, von denen einige
ihrer Mitglieder und wohlmeinende protestantische Freunde immer noch zu
träumen scheinen. Die altkathvlische Gelehrsamkeit, deren bedeutendste Ver¬
treter außer Döllinger Neusch und Langen sind, hat die theologische Wissen¬
schaft, namentlich die Kirchengeschichte, mit einer Anzahl wertvoller Spezial-
forschungen bereichert, aber einen neuen, epochemachenden Gedanken nicht zu
Tage gefördert, und von den Epigonen ist, seitdem die Führer teils tot, teils
dem Tode nahe sind, nichts mehr zu erwarten. Der kirchlichen Gührung unsrer
Zeit eine Bahn gewiesen und im Dunkel der theologisch-philosophischen Wirrnisse
ein Licht aufgesteckt zu haben, kann sich der Altkatholizismus auch nicht rühmen;


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

zogen. Man begnügt sich jetzt in den altkatholischen Gemeinden mit einem
verdünnten Katholizismus, der ebenso kritiklos genossen wird, wie der inhalt¬
reichere der alten Kirche, und ist schon froh, nur von Rom losgekommen zu
sein. Natürlich haben sich auch in diesen kleinen Gemeinden die soziologischen
Gesetze bewährt. Wie es meistens Gruppen befreundeter Familien gewesen
waren, die sich seinerzeit dem Altkatholizismus angeschlossen hatten, so haben
dann das Gemeindcleben und die gesellschaftliche Absonderung von den römisch¬
katholischen Mitbürgern die Gemeindeglieder noch näher mit einander verbunden;
Gemeindefamilienabende, Vortragsabende und Vereine sorgen für einen leb¬
haften und zum Teil recht herzlichen Verkehr. Aber die Aussicht, daß die
deutsche Altkatholikengemeinschaft das Jahr 2000 erleben konnte, ist sehr gering.
Eine kleine zerstreute Religionsgemeinschaft wird mit der Zeit von den großen
Gemeinschaften, in deren Schoße sie lebt, aufgesogen. Da sich die Zahl der
Altkatholiken zur Bevölkerung Deutschlands wie 1 : 1000 verhält, so beträgt
die Wahrscheinlichkeit für altkatholische junge Leute, ein Ehegespons derselben
Konfession zu erhalten, nur eiutausendstel, in gemischten Ehen aber werden die
Kinder, wie man sich denken kann, meistens in der Konfession des andern
Gatten, also evangelisch oder römisch-katholisch erzogen. Nur solche kleine
Kirchengemeinschaften (von Nationalitüten und Sprachgemeinschaften gilt das¬
selbe) können sich halten, deren Mitglieder auf einem Haufen beisammen wohnen
(dieses Vorteils erfreuen sich die Altkatholiken nur in einigen Gegenden Badens,
wo denn auch ungemischte altkatholische Ehen vorkommen), oder die sich, wenn
sie zerstreut wohnen, durch auffällige Eigentümlichkeiten von ihrer Umgebung
absondern. Die Altkatholiken Pflegen es sehr übel zu nehmen, wenn sie eine
Sekte genannt werden. Allerdings sind sie das nicht, aber um ihre Zukunft
würde es besser bestellt sein, wenn sie eine wären, wenn sie sich entweder durch
einen fanatisch sestgehaltnen absonderlichen Glaubenssatz, oder durch auffällige
Gebräuche oder Kleidung von ihrer Umgebung absonderten und auf Heiraten
mit Glaubensgenossen angewiesen wären, denn nur dadurch könnte dem Auf¬
saugungsprozeß vorgebeugt werden.

Auch sieht es uicht darnach aus, als ob der kleinen Gemeinschaft in ihrem
kurzen Leben noch die Lösung großer Aufgaben zufallen sollte, von denen einige
ihrer Mitglieder und wohlmeinende protestantische Freunde immer noch zu
träumen scheinen. Die altkathvlische Gelehrsamkeit, deren bedeutendste Ver¬
treter außer Döllinger Neusch und Langen sind, hat die theologische Wissen¬
schaft, namentlich die Kirchengeschichte, mit einer Anzahl wertvoller Spezial-
forschungen bereichert, aber einen neuen, epochemachenden Gedanken nicht zu
Tage gefördert, und von den Epigonen ist, seitdem die Führer teils tot, teils
dem Tode nahe sind, nichts mehr zu erwarten. Der kirchlichen Gührung unsrer
Zeit eine Bahn gewiesen und im Dunkel der theologisch-philosophischen Wirrnisse
ein Licht aufgesteckt zu haben, kann sich der Altkatholizismus auch nicht rühmen;


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[0628] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome zogen. Man begnügt sich jetzt in den altkatholischen Gemeinden mit einem verdünnten Katholizismus, der ebenso kritiklos genossen wird, wie der inhalt¬ reichere der alten Kirche, und ist schon froh, nur von Rom losgekommen zu sein. Natürlich haben sich auch in diesen kleinen Gemeinden die soziologischen Gesetze bewährt. Wie es meistens Gruppen befreundeter Familien gewesen waren, die sich seinerzeit dem Altkatholizismus angeschlossen hatten, so haben dann das Gemeindcleben und die gesellschaftliche Absonderung von den römisch¬ katholischen Mitbürgern die Gemeindeglieder noch näher mit einander verbunden; Gemeindefamilienabende, Vortragsabende und Vereine sorgen für einen leb¬ haften und zum Teil recht herzlichen Verkehr. Aber die Aussicht, daß die deutsche Altkatholikengemeinschaft das Jahr 2000 erleben konnte, ist sehr gering. Eine kleine zerstreute Religionsgemeinschaft wird mit der Zeit von den großen Gemeinschaften, in deren Schoße sie lebt, aufgesogen. Da sich die Zahl der Altkatholiken zur Bevölkerung Deutschlands wie 1 : 1000 verhält, so beträgt die Wahrscheinlichkeit für altkatholische junge Leute, ein Ehegespons derselben Konfession zu erhalten, nur eiutausendstel, in gemischten Ehen aber werden die Kinder, wie man sich denken kann, meistens in der Konfession des andern Gatten, also evangelisch oder römisch-katholisch erzogen. Nur solche kleine Kirchengemeinschaften (von Nationalitüten und Sprachgemeinschaften gilt das¬ selbe) können sich halten, deren Mitglieder auf einem Haufen beisammen wohnen (dieses Vorteils erfreuen sich die Altkatholiken nur in einigen Gegenden Badens, wo denn auch ungemischte altkatholische Ehen vorkommen), oder die sich, wenn sie zerstreut wohnen, durch auffällige Eigentümlichkeiten von ihrer Umgebung absondern. Die Altkatholiken Pflegen es sehr übel zu nehmen, wenn sie eine Sekte genannt werden. Allerdings sind sie das nicht, aber um ihre Zukunft würde es besser bestellt sein, wenn sie eine wären, wenn sie sich entweder durch einen fanatisch sestgehaltnen absonderlichen Glaubenssatz, oder durch auffällige Gebräuche oder Kleidung von ihrer Umgebung absonderten und auf Heiraten mit Glaubensgenossen angewiesen wären, denn nur dadurch könnte dem Auf¬ saugungsprozeß vorgebeugt werden. Auch sieht es uicht darnach aus, als ob der kleinen Gemeinschaft in ihrem kurzen Leben noch die Lösung großer Aufgaben zufallen sollte, von denen einige ihrer Mitglieder und wohlmeinende protestantische Freunde immer noch zu träumen scheinen. Die altkathvlische Gelehrsamkeit, deren bedeutendste Ver¬ treter außer Döllinger Neusch und Langen sind, hat die theologische Wissen¬ schaft, namentlich die Kirchengeschichte, mit einer Anzahl wertvoller Spezial- forschungen bereichert, aber einen neuen, epochemachenden Gedanken nicht zu Tage gefördert, und von den Epigonen ist, seitdem die Führer teils tot, teils dem Tode nahe sind, nichts mehr zu erwarten. Der kirchlichen Gührung unsrer Zeit eine Bahn gewiesen und im Dunkel der theologisch-philosophischen Wirrnisse ein Licht aufgesteckt zu haben, kann sich der Altkatholizismus auch nicht rühmen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/628>, abgerufen am 26.11.2024.