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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

sondern auf dem protestantischen Standpunkte des subjektiven Urteils, und für
solche, die ans diesem Standpunkte stehen, eine neue Kirchengemeinschaft gründen
wollen, ist das überflüssigste von der Welt, da wir ja den Protestantismus
haben. Reinkens hatte dieser Richtung schon viel zu viel nachgegeben, indem
er die altkatholische Episkopalkirche des dritten Jahrhunderts, wie sie von
Cyprian beschrieben wird, als das zu verwirklichende Ideal hinstellte. Ab¬
gesehen davon, daß man ebenso leicht das römische Reich des Valerianus.
unter dem Cyprian enthauptet worden ist, wie die Kirche jener Zeit wieder¬
herstellen könnte, ist es ganz willkürlich, bei Cyprian stehen zu bleiben. Wenn
die Entwicklung der Kirche von Cyprian abwärts dem Willen Gottes und der
Idee Christi nicht entsprochen hat, warum sollte es' von Cyprian aufwärts
anders gewesen sein? Wenn der Papst und die Ohrenbeichte nicht göttliche
Einrichtungen, sondern geschichtliche Produkte sind, warum sollen der Bischof
und die Messe nicht auch geschichtliche Produkte sein? Soviel steht doch wohl
fest, daß die Apostel und ihre Schüler, die als die ersten Bischöfe angesehen
werden, weder mit Salböl zu ihrem Amte eingeweiht worden sind, noch eine
hohe spitze Mütze und einen vergoldeten Hirtenstab getragen haben.") Geht
es einmal ans Aufräumen mit dem Menschenwerk in der Kirche, dann darf
man nicht bei Cyprian halt machen; steckt doch schon das Neue Testament voll
Menschenwerk; oder giebt es einen protestantischen Universitätsprofessor in
Deutschland, der es wagen würde, die Geschichte von den Teufeln, die mit
Christi Erlaubnis in eine Herde Schweine gefahren sein sollen, für eine gött¬
liche Offenbarung zu erklären, die man zu glauben verpflichtet sei? Fängt
man erst einmal an, das göttliche Kleinod des Glaubens rein zu putzen vom
Rost menschlicher Zuthat, dann geht das Putzen so lange fort, bis dem sauberer
zuletzt -- nichts mehr in der Hand bleibt. Diese Erfahrung hatte man im
Protestantismus längst gemacht, und es war wirklich überflüssig, sie noch
einmal von neuem machen zu wollen.

Indes die Reformbewegung verlief nicht so gefährlich, wie sie sich ange¬
lassen hatte. Nachdem die jüngern Geistlichen die Aufhebung des Zölibats
durchgesetzt hatten, legte sich der Neformeifer, die Verdeutschung der Messe
führte nicht zu der naheliegenden Kritik der katholischen Lehre von der Messe,
und aus der kritischen Behandlung der Kirchengeschichte, die Janus (Dvlliuger-
Huber) angebahnt hatte, und die vou einigen kleinern Geistern noch eine Zeit
lang fortgesetzt worden war, wurden weiter keine praktischen Folgerungen ge-



*) Da fällt mir eine Anekdote ein, die uns Ritter im Kolleg erzählt hat. Bonifacius
der Apostel der Deutschen, soll einmal nach Rom geschrieben haben: ehemals hatte man
goldne Bischöfe und hölzerne Bischofstäbe, jetzt haben wir goldne Bischofstäbe und hölzerne
Bischöfe. Die hölzernen Stäbe der ältesten Zeit werden wohl bloß apostolische Wanderstabe
gewesen sein. Ob die Stelle in den anerkannt echten Briefen des Bonifacius vorkommt, weiß
ich nicht.
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

sondern auf dem protestantischen Standpunkte des subjektiven Urteils, und für
solche, die ans diesem Standpunkte stehen, eine neue Kirchengemeinschaft gründen
wollen, ist das überflüssigste von der Welt, da wir ja den Protestantismus
haben. Reinkens hatte dieser Richtung schon viel zu viel nachgegeben, indem
er die altkatholische Episkopalkirche des dritten Jahrhunderts, wie sie von
Cyprian beschrieben wird, als das zu verwirklichende Ideal hinstellte. Ab¬
gesehen davon, daß man ebenso leicht das römische Reich des Valerianus.
unter dem Cyprian enthauptet worden ist, wie die Kirche jener Zeit wieder¬
herstellen könnte, ist es ganz willkürlich, bei Cyprian stehen zu bleiben. Wenn
die Entwicklung der Kirche von Cyprian abwärts dem Willen Gottes und der
Idee Christi nicht entsprochen hat, warum sollte es' von Cyprian aufwärts
anders gewesen sein? Wenn der Papst und die Ohrenbeichte nicht göttliche
Einrichtungen, sondern geschichtliche Produkte sind, warum sollen der Bischof
und die Messe nicht auch geschichtliche Produkte sein? Soviel steht doch wohl
fest, daß die Apostel und ihre Schüler, die als die ersten Bischöfe angesehen
werden, weder mit Salböl zu ihrem Amte eingeweiht worden sind, noch eine
hohe spitze Mütze und einen vergoldeten Hirtenstab getragen haben.") Geht
es einmal ans Aufräumen mit dem Menschenwerk in der Kirche, dann darf
man nicht bei Cyprian halt machen; steckt doch schon das Neue Testament voll
Menschenwerk; oder giebt es einen protestantischen Universitätsprofessor in
Deutschland, der es wagen würde, die Geschichte von den Teufeln, die mit
Christi Erlaubnis in eine Herde Schweine gefahren sein sollen, für eine gött¬
liche Offenbarung zu erklären, die man zu glauben verpflichtet sei? Fängt
man erst einmal an, das göttliche Kleinod des Glaubens rein zu putzen vom
Rost menschlicher Zuthat, dann geht das Putzen so lange fort, bis dem sauberer
zuletzt — nichts mehr in der Hand bleibt. Diese Erfahrung hatte man im
Protestantismus längst gemacht, und es war wirklich überflüssig, sie noch
einmal von neuem machen zu wollen.

Indes die Reformbewegung verlief nicht so gefährlich, wie sie sich ange¬
lassen hatte. Nachdem die jüngern Geistlichen die Aufhebung des Zölibats
durchgesetzt hatten, legte sich der Neformeifer, die Verdeutschung der Messe
führte nicht zu der naheliegenden Kritik der katholischen Lehre von der Messe,
und aus der kritischen Behandlung der Kirchengeschichte, die Janus (Dvlliuger-
Huber) angebahnt hatte, und die vou einigen kleinern Geistern noch eine Zeit
lang fortgesetzt worden war, wurden weiter keine praktischen Folgerungen ge-



*) Da fällt mir eine Anekdote ein, die uns Ritter im Kolleg erzählt hat. Bonifacius
der Apostel der Deutschen, soll einmal nach Rom geschrieben haben: ehemals hatte man
goldne Bischöfe und hölzerne Bischofstäbe, jetzt haben wir goldne Bischofstäbe und hölzerne
Bischöfe. Die hölzernen Stäbe der ältesten Zeit werden wohl bloß apostolische Wanderstabe
gewesen sein. Ob die Stelle in den anerkannt echten Briefen des Bonifacius vorkommt, weiß
ich nicht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/627>, abgerufen am 01.09.2024.