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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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uf der Seite der Welt zu finden sein können, die Welt aber in jedem Sinne
ar es doch, was im Kulturkampfe hervortrat. Daß meiner Ansicht nach auch

as Gottcsreich der Kirche mit sehr viel Welt versetzt sei, mochte ich der guten
rau nicht sagen. Herzbrechend war der Abschied beim Nachbar Gottlieb
rüttner, obgleich der nicht zu meiner Gemeinde gehörte. Seine Frau hielt
ie Schürze vors Gesicht und schluchzte laut. Hütte man in dieser hage-
üchnen Frau eine so tiefe Empfindung gesucht, dachte ich, und sing an, sie
u trösten. "Was nutzt das olls, stieß sie unter strömenden Thränen hervor,
enn Sie wern (werden) fort sein -- do werd nimme gelüut warn (werden) --
nd wenn ma das Gleckla nimme hiert -- do weeß ma gar nimme me --
enn ma vom Felde rei giehn hohl -- die Aperua (Erdbirnen, Kartoffeln) zu¬
etzen." Da war ich nun in der glücklichen Lage, in die man sonst nicht
o leicht kommt, ireTränenauenblicklich trocknen zu können, da ja der

antor sein Läutamt auch ferner versehen sollte. "Is das wohr? Nu do is
chun gutt."
In der letzten Woche brachte ich die Mutter nach Landeshut. Die Tante
aß an der Maschine wie immer, klapperte weiter wie immer und sagte bloß:

ch kann dich nicht verurteilen. Der Abschied fiel der Mutter sehr schwer;
ar es doch sehr unwahrscheinlich, daß sie mich noch einmal wiedersehen würde.
nd bald darauf nahm auch der jüngste Sohn für immer Abschied. Am
ötigen hat es ihr ja nicht gefehlt in ihren letzten beiden Lebensjahren -- sie
arb im Frühjahr 1877 --, da auch der andre Bruder, der Apotheker, seine
chuldigkeit that, aber daß sie keinen ihrer Söhne mehr wiedersehen sollte,
ar doch hart für sie. Am 1. Mai, es war ein Sonntag, las ich früh um
nf Uhr noch einmal die Messe in der Kapelle und fuhr dann ab. Es war
ine interessante Fahrt. Wir hatten einen schlimmen Winter hinter uns, der

is in den April gedauert hatte. Der 1. Mai begann mit einem heitern
rostmorgen; das Gefilde war mit Reif bedeckt; die Natur war noch tot. Am
ndern Tage sah ich um Bamberg ausgeschlagne Bäume, und in Erlangen,
o ich bei Otto Haßler, dem altkatholischen Pfarrer der fränkischen Gemeinden
r ist vor kurzem als christkatholischer Pfarrer von Basel gestorben), einen
ag blieb, war es ganz Frühling; in Baden dann hatte der Wonnemond schon
ine volle Pracht entfaltet. Das Ziel meiner Fahrt war Offenburg. Die
ortige altkathvlische Gemeinde hatte mich eingeladen, an Himmelfahrt Gottes¬
ienst zu halten. Sie stand noch mit einem andern Geistlichen in Unterhand¬
ng und wollte dann wählen. Die Wahl fiel auf mich.
Von den Erfahrungen, die ich als altkatholischer Geistlicher und dann als
ublizist gemacht habe, gedenke ich später einmal Rechenschaft abzulegen; dabei
ird auch das Bild der in den letzten Jahren gewonnenen konfessionslosen


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uf der Seite der Welt zu finden sein können, die Welt aber in jedem Sinne
ar es doch, was im Kulturkampfe hervortrat. Daß meiner Ansicht nach auch

as Gottcsreich der Kirche mit sehr viel Welt versetzt sei, mochte ich der guten
rau nicht sagen. Herzbrechend war der Abschied beim Nachbar Gottlieb
rüttner, obgleich der nicht zu meiner Gemeinde gehörte. Seine Frau hielt
ie Schürze vors Gesicht und schluchzte laut. Hütte man in dieser hage-
üchnen Frau eine so tiefe Empfindung gesucht, dachte ich, und sing an, sie
u trösten. „Was nutzt das olls, stieß sie unter strömenden Thränen hervor,
enn Sie wern (werden) fort sein — do werd nimme gelüut warn (werden) —
nd wenn ma das Gleckla nimme hiert — do weeß ma gar nimme me —
enn ma vom Felde rei giehn hohl — die Aperua (Erdbirnen, Kartoffeln) zu¬
etzen." Da war ich nun in der glücklichen Lage, in die man sonst nicht
o leicht kommt, ireTränenauenblicklich trocknen zu können, da ja der

antor sein Läutamt auch ferner versehen sollte. „Is das wohr? Nu do is
chun gutt."
In der letzten Woche brachte ich die Mutter nach Landeshut. Die Tante
aß an der Maschine wie immer, klapperte weiter wie immer und sagte bloß:

ch kann dich nicht verurteilen. Der Abschied fiel der Mutter sehr schwer;
ar es doch sehr unwahrscheinlich, daß sie mich noch einmal wiedersehen würde.
nd bald darauf nahm auch der jüngste Sohn für immer Abschied. Am
ötigen hat es ihr ja nicht gefehlt in ihren letzten beiden Lebensjahren — sie
arb im Frühjahr 1877 —, da auch der andre Bruder, der Apotheker, seine
chuldigkeit that, aber daß sie keinen ihrer Söhne mehr wiedersehen sollte,
ar doch hart für sie. Am 1. Mai, es war ein Sonntag, las ich früh um
nf Uhr noch einmal die Messe in der Kapelle und fuhr dann ab. Es war
ine interessante Fahrt. Wir hatten einen schlimmen Winter hinter uns, der

is in den April gedauert hatte. Der 1. Mai begann mit einem heitern
rostmorgen; das Gefilde war mit Reif bedeckt; die Natur war noch tot. Am
ndern Tage sah ich um Bamberg ausgeschlagne Bäume, und in Erlangen,
o ich bei Otto Haßler, dem altkatholischen Pfarrer der fränkischen Gemeinden
r ist vor kurzem als christkatholischer Pfarrer von Basel gestorben), einen
ag blieb, war es ganz Frühling; in Baden dann hatte der Wonnemond schon
ine volle Pracht entfaltet. Das Ziel meiner Fahrt war Offenburg. Die
ortige altkathvlische Gemeinde hatte mich eingeladen, an Himmelfahrt Gottes¬
ienst zu halten. Sie stand noch mit einem andern Geistlichen in Unterhand¬
ng und wollte dann wählen. Die Wahl fiel auf mich.
Von den Erfahrungen, die ich als altkatholischer Geistlicher und dann als
ublizist gemacht habe, gedenke ich später einmal Rechenschaft abzulegen; dabei
ird auch das Bild der in den letzten Jahren gewonnenen konfessionslosen


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[0623] annvereman,aereareuneaeoesnemas uf der Seite der Welt zu finden sein können, die Welt aber in jedem Sinne ar es doch, was im Kulturkampfe hervortrat. Daß meiner Ansicht nach auch as Gottcsreich der Kirche mit sehr viel Welt versetzt sei, mochte ich der guten rau nicht sagen. Herzbrechend war der Abschied beim Nachbar Gottlieb rüttner, obgleich der nicht zu meiner Gemeinde gehörte. Seine Frau hielt ie Schürze vors Gesicht und schluchzte laut. Hütte man in dieser hage- üchnen Frau eine so tiefe Empfindung gesucht, dachte ich, und sing an, sie u trösten. „Was nutzt das olls, stieß sie unter strömenden Thränen hervor, enn Sie wern (werden) fort sein — do werd nimme gelüut warn (werden) — nd wenn ma das Gleckla nimme hiert — do weeß ma gar nimme me — enn ma vom Felde rei giehn hohl — die Aperua (Erdbirnen, Kartoffeln) zu¬ etzen." Da war ich nun in der glücklichen Lage, in die man sonst nicht o leicht kommt, ireTränenauenblicklich trocknen zu können, da ja der antor sein Läutamt auch ferner versehen sollte. „Is das wohr? Nu do is chun gutt." In der letzten Woche brachte ich die Mutter nach Landeshut. Die Tante aß an der Maschine wie immer, klapperte weiter wie immer und sagte bloß: ch kann dich nicht verurteilen. Der Abschied fiel der Mutter sehr schwer; ar es doch sehr unwahrscheinlich, daß sie mich noch einmal wiedersehen würde. nd bald darauf nahm auch der jüngste Sohn für immer Abschied. Am ötigen hat es ihr ja nicht gefehlt in ihren letzten beiden Lebensjahren — sie arb im Frühjahr 1877 —, da auch der andre Bruder, der Apotheker, seine chuldigkeit that, aber daß sie keinen ihrer Söhne mehr wiedersehen sollte, ar doch hart für sie. Am 1. Mai, es war ein Sonntag, las ich früh um nf Uhr noch einmal die Messe in der Kapelle und fuhr dann ab. Es war ine interessante Fahrt. Wir hatten einen schlimmen Winter hinter uns, der is in den April gedauert hatte. Der 1. Mai begann mit einem heitern rostmorgen; das Gefilde war mit Reif bedeckt; die Natur war noch tot. Am ndern Tage sah ich um Bamberg ausgeschlagne Bäume, und in Erlangen, o ich bei Otto Haßler, dem altkatholischen Pfarrer der fränkischen Gemeinden r ist vor kurzem als christkatholischer Pfarrer von Basel gestorben), einen ag blieb, war es ganz Frühling; in Baden dann hatte der Wonnemond schon ine volle Pracht entfaltet. Das Ziel meiner Fahrt war Offenburg. Die ortige altkathvlische Gemeinde hatte mich eingeladen, an Himmelfahrt Gottes¬ ienst zu halten. Sie stand noch mit einem andern Geistlichen in Unterhand¬ ng und wollte dann wählen. Die Wahl fiel auf mich. Von den Erfahrungen, die ich als altkatholischer Geistlicher und dann als ublizist gemacht habe, gedenke ich später einmal Rechenschaft abzulegen; dabei ird auch das Bild der in den letzten Jahren gewonnenen konfessionslosen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/623>, abgerufen am 01.09.2024.