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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

erscheint, einen Geistlichen, vielleicht den Herrn ErzPriester Aust, beauftragen
zu wollen." Der Oberprüsident trug dem Regierungspräsidenten und dieser
dem Landrat auf, mich zu sondiren, ob ich nicht lieber in Harpersdorf bleiben
wolle. Der Landrat ersuchte den Herrn von Kamptz, ihm die heikle Aufgabe
abzunehmen, und dieser sagte: Ich werde ihn geradezu fragen. Meine Antwort
fiel so aus, wie er vermutet hatte, daß ich auch dann nicht bleiben würde,
wenn mein Herz an Harpersdorf hinge, wovon das Gegenteil der Fall war.
In einem Privatschreiben an einen Herrn bei der Regierung bemerkte ich noch,
das Anerbieten, mich nach Möglichkeit zu schützen, sei ja sehr freundlich, könne
mir aber nichts nützen; denn die Regierung habe nicht die Macht, auch nur
ein einziges altes Weib, geschweige denn die ganze Gemeinde andern Sinnes
zu machen, und darauf allein komme es an; Schutz sei nicht nötig, da mir
ja niemand nach dem Leben trachte oder Schaden zufüge. Dann wurde noch
der Landrat geschickt, mich zu Protokoll zu vernehmen, wie ich es mit dem
Stelleneinkommen halten, ob ich es fortbeziehen oder darauf verzichten wolle;
eine höchst überflüssige Belästigung des Landrath, nachdem ich selbst um baldige
Wiederbesetzung der Stelle gebeten hatte; natürlich erklärte ich, daß ich vom
Tage meines Weggangs an auf keinen Pfennig mehr Anspruch machte. Die
Regierung ordnete dann an, daß ich dem Rittergutsbesitzer von Kamptz zu
übergeben hätte, und gestattete die Mitwirkung des ErzPriesters Aust; ich bat
daher diesen, am 30. April die Übergabe vorzunehmen. Er antwortete am
27., vor zwei Uhr nachmittags könne er Nichterscheinen; "doch muß ich zuvor
in Breslau aufragen, resp, mir das Kommissorium erbitten, ob und bevor ich
Herrn von Kamptz übergeben darf, im verneinenden Falle gebe ich durch einen
expressen Boten Nachricht. Mit vielen Grüßen und aufrichtiger Teilnahme usw."
Aust mußte dann melden, daß er nicht kommen dürfe. Am Übergabetage waren
daher nur der Herr von Kamptz, der Kantor und die beiden Kirchenvorsteher
gegenwärtig. Diese beiden weigerten sich zivar nicht, die Kassenschlüssel heraus¬
zugeben, enthielten sich jedoch nach der ihnen zu teil gewordnen Instruktion
jeder weitern Mitwirkung. Dem Gutsherrn wurden die Gebäude und Grund¬
stücke, das Inventar, die Registratur und die Kassen ordnungs- und vor-
schriftsgemüß übergeben, den Kirchenschlüssel aber behielt der Kantor in Ver¬
wahrung.

Abschiedsbesuche konnte ich natürlicherweise nur den wenigen Gemeinde¬
mitgliedern machen, die mich nicht in den Bann gethan hatten. Dazu gehörte
auch eine alte Tagelöhnerin in Neudorf am Gräditzberge, zwei Stunden von
Harpersdorf, eine jener sinnigen Frauen, die ein inneres religiöses Leben haben,
und die sich den Inhalt der Predigten merken. Sie gab mir zart zu ver¬
stehen, daß sie meine Handlungsweise keineswegs billige, wenn sie auch noch
in meinen Gottesdienst komme. Mit einem bedeutungsvollen Blick auf das
Kruzifix und einem andern auf mich sagte sie: Wenn man die Leiden des Herrn


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

erscheint, einen Geistlichen, vielleicht den Herrn ErzPriester Aust, beauftragen
zu wollen." Der Oberprüsident trug dem Regierungspräsidenten und dieser
dem Landrat auf, mich zu sondiren, ob ich nicht lieber in Harpersdorf bleiben
wolle. Der Landrat ersuchte den Herrn von Kamptz, ihm die heikle Aufgabe
abzunehmen, und dieser sagte: Ich werde ihn geradezu fragen. Meine Antwort
fiel so aus, wie er vermutet hatte, daß ich auch dann nicht bleiben würde,
wenn mein Herz an Harpersdorf hinge, wovon das Gegenteil der Fall war.
In einem Privatschreiben an einen Herrn bei der Regierung bemerkte ich noch,
das Anerbieten, mich nach Möglichkeit zu schützen, sei ja sehr freundlich, könne
mir aber nichts nützen; denn die Regierung habe nicht die Macht, auch nur
ein einziges altes Weib, geschweige denn die ganze Gemeinde andern Sinnes
zu machen, und darauf allein komme es an; Schutz sei nicht nötig, da mir
ja niemand nach dem Leben trachte oder Schaden zufüge. Dann wurde noch
der Landrat geschickt, mich zu Protokoll zu vernehmen, wie ich es mit dem
Stelleneinkommen halten, ob ich es fortbeziehen oder darauf verzichten wolle;
eine höchst überflüssige Belästigung des Landrath, nachdem ich selbst um baldige
Wiederbesetzung der Stelle gebeten hatte; natürlich erklärte ich, daß ich vom
Tage meines Weggangs an auf keinen Pfennig mehr Anspruch machte. Die
Regierung ordnete dann an, daß ich dem Rittergutsbesitzer von Kamptz zu
übergeben hätte, und gestattete die Mitwirkung des ErzPriesters Aust; ich bat
daher diesen, am 30. April die Übergabe vorzunehmen. Er antwortete am
27., vor zwei Uhr nachmittags könne er Nichterscheinen; „doch muß ich zuvor
in Breslau aufragen, resp, mir das Kommissorium erbitten, ob und bevor ich
Herrn von Kamptz übergeben darf, im verneinenden Falle gebe ich durch einen
expressen Boten Nachricht. Mit vielen Grüßen und aufrichtiger Teilnahme usw."
Aust mußte dann melden, daß er nicht kommen dürfe. Am Übergabetage waren
daher nur der Herr von Kamptz, der Kantor und die beiden Kirchenvorsteher
gegenwärtig. Diese beiden weigerten sich zivar nicht, die Kassenschlüssel heraus¬
zugeben, enthielten sich jedoch nach der ihnen zu teil gewordnen Instruktion
jeder weitern Mitwirkung. Dem Gutsherrn wurden die Gebäude und Grund¬
stücke, das Inventar, die Registratur und die Kassen ordnungs- und vor-
schriftsgemüß übergeben, den Kirchenschlüssel aber behielt der Kantor in Ver¬
wahrung.

Abschiedsbesuche konnte ich natürlicherweise nur den wenigen Gemeinde¬
mitgliedern machen, die mich nicht in den Bann gethan hatten. Dazu gehörte
auch eine alte Tagelöhnerin in Neudorf am Gräditzberge, zwei Stunden von
Harpersdorf, eine jener sinnigen Frauen, die ein inneres religiöses Leben haben,
und die sich den Inhalt der Predigten merken. Sie gab mir zart zu ver¬
stehen, daß sie meine Handlungsweise keineswegs billige, wenn sie auch noch
in meinen Gottesdienst komme. Mit einem bedeutungsvollen Blick auf das
Kruzifix und einem andern auf mich sagte sie: Wenn man die Leiden des Herrn


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[0622] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome erscheint, einen Geistlichen, vielleicht den Herrn ErzPriester Aust, beauftragen zu wollen." Der Oberprüsident trug dem Regierungspräsidenten und dieser dem Landrat auf, mich zu sondiren, ob ich nicht lieber in Harpersdorf bleiben wolle. Der Landrat ersuchte den Herrn von Kamptz, ihm die heikle Aufgabe abzunehmen, und dieser sagte: Ich werde ihn geradezu fragen. Meine Antwort fiel so aus, wie er vermutet hatte, daß ich auch dann nicht bleiben würde, wenn mein Herz an Harpersdorf hinge, wovon das Gegenteil der Fall war. In einem Privatschreiben an einen Herrn bei der Regierung bemerkte ich noch, das Anerbieten, mich nach Möglichkeit zu schützen, sei ja sehr freundlich, könne mir aber nichts nützen; denn die Regierung habe nicht die Macht, auch nur ein einziges altes Weib, geschweige denn die ganze Gemeinde andern Sinnes zu machen, und darauf allein komme es an; Schutz sei nicht nötig, da mir ja niemand nach dem Leben trachte oder Schaden zufüge. Dann wurde noch der Landrat geschickt, mich zu Protokoll zu vernehmen, wie ich es mit dem Stelleneinkommen halten, ob ich es fortbeziehen oder darauf verzichten wolle; eine höchst überflüssige Belästigung des Landrath, nachdem ich selbst um baldige Wiederbesetzung der Stelle gebeten hatte; natürlich erklärte ich, daß ich vom Tage meines Weggangs an auf keinen Pfennig mehr Anspruch machte. Die Regierung ordnete dann an, daß ich dem Rittergutsbesitzer von Kamptz zu übergeben hätte, und gestattete die Mitwirkung des ErzPriesters Aust; ich bat daher diesen, am 30. April die Übergabe vorzunehmen. Er antwortete am 27., vor zwei Uhr nachmittags könne er Nichterscheinen; „doch muß ich zuvor in Breslau aufragen, resp, mir das Kommissorium erbitten, ob und bevor ich Herrn von Kamptz übergeben darf, im verneinenden Falle gebe ich durch einen expressen Boten Nachricht. Mit vielen Grüßen und aufrichtiger Teilnahme usw." Aust mußte dann melden, daß er nicht kommen dürfe. Am Übergabetage waren daher nur der Herr von Kamptz, der Kantor und die beiden Kirchenvorsteher gegenwärtig. Diese beiden weigerten sich zivar nicht, die Kassenschlüssel heraus¬ zugeben, enthielten sich jedoch nach der ihnen zu teil gewordnen Instruktion jeder weitern Mitwirkung. Dem Gutsherrn wurden die Gebäude und Grund¬ stücke, das Inventar, die Registratur und die Kassen ordnungs- und vor- schriftsgemüß übergeben, den Kirchenschlüssel aber behielt der Kantor in Ver¬ wahrung. Abschiedsbesuche konnte ich natürlicherweise nur den wenigen Gemeinde¬ mitgliedern machen, die mich nicht in den Bann gethan hatten. Dazu gehörte auch eine alte Tagelöhnerin in Neudorf am Gräditzberge, zwei Stunden von Harpersdorf, eine jener sinnigen Frauen, die ein inneres religiöses Leben haben, und die sich den Inhalt der Predigten merken. Sie gab mir zart zu ver¬ stehen, daß sie meine Handlungsweise keineswegs billige, wenn sie auch noch in meinen Gottesdienst komme. Mit einem bedeutungsvollen Blick auf das Kruzifix und einem andern auf mich sagte sie: Wenn man die Leiden des Herrn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/622>, abgerufen am 01.09.2024.