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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Daniel Lhodowiecki

Publikum und darauf eine Menge Auftrage von Verlegern und Unternehmern
brachte ihm die erste Radirung seines "Abschied des Calas" in Originalgröße.
Immer mehr arbeitete er nun darauf hin, den Übergang vom Maler zum
Radirer zu vollziehen. Aber erst etwa 1775 steht der Künstler als das da,
wozu ihn seine Begabung berufen hatte, wozu ihn seine gewissenhafte Klein¬
arbeit schließlich schaffen mußte. Nun begannen die illustrirten Almanache
und Kalender seinen Namen durch ganz Deutschland zu tragen, die siebziger
Jcihre verknüpften ihn mit einer reich emporquellenden und drängenden Zeit
der deutschen Litteratur, und in den Bildern zu Basedows Elementarwerk schuf
er ein Bilderbuch, das eine außerordentlich große Zahl von Zeitgenossen unter¬
richtet und herangezogen hat, und das zu uns noch höchst eindringlich von des
Künstlers ehrlichem und anspruchslosen Realismus redet. Die Größe seiner
Wirksamkeit in der bürgerlichen Kultur jener Zeit läßt sich nur mit der un¬
erhört breiten Wirkung der Aufklärung vergleichen, in deren Dienst er ja
auch vielfach bewußt arbeitete; u. ni. hat er Nicolais Roman "Sebaldus Noth¬
anker" illustrirt, ja sich gerade dieser Arbeit mit ganz besondern: Nachdruck
gewidmet, obgleich sein eignes Gewissen, dessen Tiefe die Plattheiten des Na¬
tionalismus abstießen, dabei gelegentlich beunruhigt wurde. Die meisten übrigen
von ihm illustrirten Romane sind längst vergessen, nur ein kleiner Teil hat
heute noch Verehrer, etwa Jung-Stillings Leben, Hippels Lebenslüufe, Pesta-
lozzis Lieuhard und Gertrud, Campes Robinson der Jüngere, Jean Pauls
Unsichtbare Loge. Eine Menge Gedichtsammlungen gingen mit seinen Bildern
hinaus, von Bürger, den Brüdern Stolberg und Götter bis zu Matthisson
und der Romantik, Schwänke, wie die von Langbein, Märchen, unter andern
die der Kaiserin Katharina von Nußland, auch die vielgelesenen Schriften des
Wandsbecker Boten. Von unsern Klassikern ist ihm nur Herder entgangen;
Gellerts Fabeln. Klopstocks Hermannsschlacht. Lessings Minna. Wielands
Idris, Schillers Räuber und Kabale und Liebe hat er mit Bildern ausge¬
stattet, ja auch Bilder zum Werther, Götz, Clavigo, zur stelln, zum Triumph
der Empfindsamkeit, zu Claudine, zu Erwin und Elmire und zuletzt zu Her¬
mann und Dorothea teils selbst radirt, teils nach eignen Zeichnungen von
andern radiren lassen. Dazu kamen noch die Arbeiten für Lavaters Physio-
gnomische Fragmente, jahraus jahrein Illustrationen für Kalender, überdies
endlich eine stattliche Anzahl von Einzelblüttern auf Bestellung und auf Spe¬
kulation -- Chodowiecki hat nach langem Emporarbeiteil schließlich zwischen
1770 und 1795 eine schöne Zeit der Ernte gehabt.

Er hätte es nicht gekonnt ohne das heitere ruhige Heim seiner Familie,
ohne eine bürgerlich geordnete und sittlich durchleuchtete Lebensführung. Seine
Ehe ist so schön verlaufen, wie sie 1755 froh begonnen hatte. Von sieben
Kindern wuchsen fünf auf, schlichte, glücklich angelegte Wesen, die drei ältesten
künstlerisch begabt und dementsprechend vom Vater, doch ohne Nachdruck, ge-


Daniel Lhodowiecki

Publikum und darauf eine Menge Auftrage von Verlegern und Unternehmern
brachte ihm die erste Radirung seines „Abschied des Calas" in Originalgröße.
Immer mehr arbeitete er nun darauf hin, den Übergang vom Maler zum
Radirer zu vollziehen. Aber erst etwa 1775 steht der Künstler als das da,
wozu ihn seine Begabung berufen hatte, wozu ihn seine gewissenhafte Klein¬
arbeit schließlich schaffen mußte. Nun begannen die illustrirten Almanache
und Kalender seinen Namen durch ganz Deutschland zu tragen, die siebziger
Jcihre verknüpften ihn mit einer reich emporquellenden und drängenden Zeit
der deutschen Litteratur, und in den Bildern zu Basedows Elementarwerk schuf
er ein Bilderbuch, das eine außerordentlich große Zahl von Zeitgenossen unter¬
richtet und herangezogen hat, und das zu uns noch höchst eindringlich von des
Künstlers ehrlichem und anspruchslosen Realismus redet. Die Größe seiner
Wirksamkeit in der bürgerlichen Kultur jener Zeit läßt sich nur mit der un¬
erhört breiten Wirkung der Aufklärung vergleichen, in deren Dienst er ja
auch vielfach bewußt arbeitete; u. ni. hat er Nicolais Roman „Sebaldus Noth¬
anker" illustrirt, ja sich gerade dieser Arbeit mit ganz besondern: Nachdruck
gewidmet, obgleich sein eignes Gewissen, dessen Tiefe die Plattheiten des Na¬
tionalismus abstießen, dabei gelegentlich beunruhigt wurde. Die meisten übrigen
von ihm illustrirten Romane sind längst vergessen, nur ein kleiner Teil hat
heute noch Verehrer, etwa Jung-Stillings Leben, Hippels Lebenslüufe, Pesta-
lozzis Lieuhard und Gertrud, Campes Robinson der Jüngere, Jean Pauls
Unsichtbare Loge. Eine Menge Gedichtsammlungen gingen mit seinen Bildern
hinaus, von Bürger, den Brüdern Stolberg und Götter bis zu Matthisson
und der Romantik, Schwänke, wie die von Langbein, Märchen, unter andern
die der Kaiserin Katharina von Nußland, auch die vielgelesenen Schriften des
Wandsbecker Boten. Von unsern Klassikern ist ihm nur Herder entgangen;
Gellerts Fabeln. Klopstocks Hermannsschlacht. Lessings Minna. Wielands
Idris, Schillers Räuber und Kabale und Liebe hat er mit Bildern ausge¬
stattet, ja auch Bilder zum Werther, Götz, Clavigo, zur stelln, zum Triumph
der Empfindsamkeit, zu Claudine, zu Erwin und Elmire und zuletzt zu Her¬
mann und Dorothea teils selbst radirt, teils nach eignen Zeichnungen von
andern radiren lassen. Dazu kamen noch die Arbeiten für Lavaters Physio-
gnomische Fragmente, jahraus jahrein Illustrationen für Kalender, überdies
endlich eine stattliche Anzahl von Einzelblüttern auf Bestellung und auf Spe¬
kulation — Chodowiecki hat nach langem Emporarbeiteil schließlich zwischen
1770 und 1795 eine schöne Zeit der Ernte gehabt.

Er hätte es nicht gekonnt ohne das heitere ruhige Heim seiner Familie,
ohne eine bürgerlich geordnete und sittlich durchleuchtete Lebensführung. Seine
Ehe ist so schön verlaufen, wie sie 1755 froh begonnen hatte. Von sieben
Kindern wuchsen fünf auf, schlichte, glücklich angelegte Wesen, die drei ältesten
künstlerisch begabt und dementsprechend vom Vater, doch ohne Nachdruck, ge-


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[0618] Daniel Lhodowiecki Publikum und darauf eine Menge Auftrage von Verlegern und Unternehmern brachte ihm die erste Radirung seines „Abschied des Calas" in Originalgröße. Immer mehr arbeitete er nun darauf hin, den Übergang vom Maler zum Radirer zu vollziehen. Aber erst etwa 1775 steht der Künstler als das da, wozu ihn seine Begabung berufen hatte, wozu ihn seine gewissenhafte Klein¬ arbeit schließlich schaffen mußte. Nun begannen die illustrirten Almanache und Kalender seinen Namen durch ganz Deutschland zu tragen, die siebziger Jcihre verknüpften ihn mit einer reich emporquellenden und drängenden Zeit der deutschen Litteratur, und in den Bildern zu Basedows Elementarwerk schuf er ein Bilderbuch, das eine außerordentlich große Zahl von Zeitgenossen unter¬ richtet und herangezogen hat, und das zu uns noch höchst eindringlich von des Künstlers ehrlichem und anspruchslosen Realismus redet. Die Größe seiner Wirksamkeit in der bürgerlichen Kultur jener Zeit läßt sich nur mit der un¬ erhört breiten Wirkung der Aufklärung vergleichen, in deren Dienst er ja auch vielfach bewußt arbeitete; u. ni. hat er Nicolais Roman „Sebaldus Noth¬ anker" illustrirt, ja sich gerade dieser Arbeit mit ganz besondern: Nachdruck gewidmet, obgleich sein eignes Gewissen, dessen Tiefe die Plattheiten des Na¬ tionalismus abstießen, dabei gelegentlich beunruhigt wurde. Die meisten übrigen von ihm illustrirten Romane sind längst vergessen, nur ein kleiner Teil hat heute noch Verehrer, etwa Jung-Stillings Leben, Hippels Lebenslüufe, Pesta- lozzis Lieuhard und Gertrud, Campes Robinson der Jüngere, Jean Pauls Unsichtbare Loge. Eine Menge Gedichtsammlungen gingen mit seinen Bildern hinaus, von Bürger, den Brüdern Stolberg und Götter bis zu Matthisson und der Romantik, Schwänke, wie die von Langbein, Märchen, unter andern die der Kaiserin Katharina von Nußland, auch die vielgelesenen Schriften des Wandsbecker Boten. Von unsern Klassikern ist ihm nur Herder entgangen; Gellerts Fabeln. Klopstocks Hermannsschlacht. Lessings Minna. Wielands Idris, Schillers Räuber und Kabale und Liebe hat er mit Bildern ausge¬ stattet, ja auch Bilder zum Werther, Götz, Clavigo, zur stelln, zum Triumph der Empfindsamkeit, zu Claudine, zu Erwin und Elmire und zuletzt zu Her¬ mann und Dorothea teils selbst radirt, teils nach eignen Zeichnungen von andern radiren lassen. Dazu kamen noch die Arbeiten für Lavaters Physio- gnomische Fragmente, jahraus jahrein Illustrationen für Kalender, überdies endlich eine stattliche Anzahl von Einzelblüttern auf Bestellung und auf Spe¬ kulation — Chodowiecki hat nach langem Emporarbeiteil schließlich zwischen 1770 und 1795 eine schöne Zeit der Ernte gehabt. Er hätte es nicht gekonnt ohne das heitere ruhige Heim seiner Familie, ohne eine bürgerlich geordnete und sittlich durchleuchtete Lebensführung. Seine Ehe ist so schön verlaufen, wie sie 1755 froh begonnen hatte. Von sieben Kindern wuchsen fünf auf, schlichte, glücklich angelegte Wesen, die drei ältesten künstlerisch begabt und dementsprechend vom Vater, doch ohne Nachdruck, ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/618>, abgerufen am 01.09.2024.