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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Daniel Chodowiecki

Emaille", der ältere, zugleich der begabtere und fleißigere, erhielt auch bald
Aufträge, Tabatiereu für den Hof des .Königs und der Prinzen zu malen.
Aber neben der Beschäftigung in diesem nach französischen Mustern arbeitenden
Kunsthandwerk und unter ihr wurde der Drang nach einer selbständigem und
wahrem Kunst in Chodowiecki immer energischer. Immer fleißiger machte er
sich daran, die Natur selbst, namentlich die Menschen aller Stände und Alter
in unablässigen Privatstudien und Skizzen nachzubilden, in die nächsten Jahre
fallen auch seine Abzeichnungen, immer entschiedncr trieb es ihn, den Schritt
vom Kunsthandwerker zum Künstler zu thun. Deutlich im Begriff dazu er¬
scheint er uns zum erstenmal in drei Miniaturporträts, die um 1760 ent¬
standen sind und von denen eins ihn selbst darstellt: sie tragen zum erstenmal
in voller Ehrlichkeit den Stempel jener schlichten, unmittelbaren Auffassung,
die allen seineu spätern gelungner Werken zu Grunde liegt.

Freilich sollte es ihn immer noch einmal von dem Pfade abdrängen, den
ihm. der bürgerlich aufklärende Geist der Zeit, der auf breite Schichten wirken
wollte, und seine eigne nur in der Kleinkunst geübte Entwicklung wiesen. Das
Ideal, in höheren Stile zu schaffen, ein Meister der Tafelmalerei, des historischen
Ölgemäldes zu werden, zog ihn abseits auf eine Bahn, die nicht die seine war,
ans der sich ihm in Farbe und größern Maßstab Schwierigkeiten entgegen¬
stellten, die er nicht mehr bewältigen konnte. Soweit diese Ölbilder nichts
andres sind als künstlerisch verhüllte Portrütgrnppen, wie der "Federball,"
eine bürgerliche Gruppe im Parke, auf der unter andern er selbst und seine
Frau, diese deu Federball schlagend, dargestellt ist, oder das "Charpiezupfen"
oder der "Winterabend," die durchaus auf seinen Studien beruhen und fast
nur Menschen darstellen, denen er nahe stand und für die er deu wahren
Ausdruck in sich fand, so weit leistete er auch hier erfreuliches. Seinen übrigen
Gesellschaftsstückcn kaun man nachsagen, daß sie zu französisch und doch nicht
französisch genug sind, auch der "Abschied des Jean Calas von seiner Familie"
hat nicht aus technischen Rücksichten ein berühmtes Bild werden können, sondern
seines Inhalts und seiner seelischen Auffassung wegen. Berühmt und bekannt
geworden ist er aber auch nicht als Ölbild, sondern in den beiden Rndirnngen
Chodowieckis.

Etwa gleichzeitig mit dem Beginn seiner Ölmalerei hatte sich Chodowiecki
zuerst mit der Radirnadel versucht, doch hatte er das Radiren lauge nur als
künstlerische Zerstreuung getrieben, fast während des ganzen siebenjährigen
Krieges. Von da an aber, als ihm die Aufträge von Miniaturen etwas mehr
Zeit ließen, als er begann, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß
er zu einer großen Historienmalerei nicht berufen sei, "ahn er die Nadel öfter
zur Hand. Und rasch trat sie nun fast ganz an die Stelle des Bleistifts.
Die reizenden Blättchen der Skizzenbücher werden seltner, dafür mehren sich
die Radirungen entsprechender Gegenstände. Den ersten großen Erfolg beim


Grenzboten 1 1896 77
Daniel Chodowiecki

Emaille», der ältere, zugleich der begabtere und fleißigere, erhielt auch bald
Aufträge, Tabatiereu für den Hof des .Königs und der Prinzen zu malen.
Aber neben der Beschäftigung in diesem nach französischen Mustern arbeitenden
Kunsthandwerk und unter ihr wurde der Drang nach einer selbständigem und
wahrem Kunst in Chodowiecki immer energischer. Immer fleißiger machte er
sich daran, die Natur selbst, namentlich die Menschen aller Stände und Alter
in unablässigen Privatstudien und Skizzen nachzubilden, in die nächsten Jahre
fallen auch seine Abzeichnungen, immer entschiedncr trieb es ihn, den Schritt
vom Kunsthandwerker zum Künstler zu thun. Deutlich im Begriff dazu er¬
scheint er uns zum erstenmal in drei Miniaturporträts, die um 1760 ent¬
standen sind und von denen eins ihn selbst darstellt: sie tragen zum erstenmal
in voller Ehrlichkeit den Stempel jener schlichten, unmittelbaren Auffassung,
die allen seineu spätern gelungner Werken zu Grunde liegt.

Freilich sollte es ihn immer noch einmal von dem Pfade abdrängen, den
ihm. der bürgerlich aufklärende Geist der Zeit, der auf breite Schichten wirken
wollte, und seine eigne nur in der Kleinkunst geübte Entwicklung wiesen. Das
Ideal, in höheren Stile zu schaffen, ein Meister der Tafelmalerei, des historischen
Ölgemäldes zu werden, zog ihn abseits auf eine Bahn, die nicht die seine war,
ans der sich ihm in Farbe und größern Maßstab Schwierigkeiten entgegen¬
stellten, die er nicht mehr bewältigen konnte. Soweit diese Ölbilder nichts
andres sind als künstlerisch verhüllte Portrütgrnppen, wie der „Federball,"
eine bürgerliche Gruppe im Parke, auf der unter andern er selbst und seine
Frau, diese deu Federball schlagend, dargestellt ist, oder das „Charpiezupfen"
oder der „Winterabend," die durchaus auf seinen Studien beruhen und fast
nur Menschen darstellen, denen er nahe stand und für die er deu wahren
Ausdruck in sich fand, so weit leistete er auch hier erfreuliches. Seinen übrigen
Gesellschaftsstückcn kaun man nachsagen, daß sie zu französisch und doch nicht
französisch genug sind, auch der „Abschied des Jean Calas von seiner Familie"
hat nicht aus technischen Rücksichten ein berühmtes Bild werden können, sondern
seines Inhalts und seiner seelischen Auffassung wegen. Berühmt und bekannt
geworden ist er aber auch nicht als Ölbild, sondern in den beiden Rndirnngen
Chodowieckis.

Etwa gleichzeitig mit dem Beginn seiner Ölmalerei hatte sich Chodowiecki
zuerst mit der Radirnadel versucht, doch hatte er das Radiren lauge nur als
künstlerische Zerstreuung getrieben, fast während des ganzen siebenjährigen
Krieges. Von da an aber, als ihm die Aufträge von Miniaturen etwas mehr
Zeit ließen, als er begann, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß
er zu einer großen Historienmalerei nicht berufen sei, »ahn er die Nadel öfter
zur Hand. Und rasch trat sie nun fast ganz an die Stelle des Bleistifts.
Die reizenden Blättchen der Skizzenbücher werden seltner, dafür mehren sich
die Radirungen entsprechender Gegenstände. Den ersten großen Erfolg beim


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[0617] Daniel Chodowiecki Emaille», der ältere, zugleich der begabtere und fleißigere, erhielt auch bald Aufträge, Tabatiereu für den Hof des .Königs und der Prinzen zu malen. Aber neben der Beschäftigung in diesem nach französischen Mustern arbeitenden Kunsthandwerk und unter ihr wurde der Drang nach einer selbständigem und wahrem Kunst in Chodowiecki immer energischer. Immer fleißiger machte er sich daran, die Natur selbst, namentlich die Menschen aller Stände und Alter in unablässigen Privatstudien und Skizzen nachzubilden, in die nächsten Jahre fallen auch seine Abzeichnungen, immer entschiedncr trieb es ihn, den Schritt vom Kunsthandwerker zum Künstler zu thun. Deutlich im Begriff dazu er¬ scheint er uns zum erstenmal in drei Miniaturporträts, die um 1760 ent¬ standen sind und von denen eins ihn selbst darstellt: sie tragen zum erstenmal in voller Ehrlichkeit den Stempel jener schlichten, unmittelbaren Auffassung, die allen seineu spätern gelungner Werken zu Grunde liegt. Freilich sollte es ihn immer noch einmal von dem Pfade abdrängen, den ihm. der bürgerlich aufklärende Geist der Zeit, der auf breite Schichten wirken wollte, und seine eigne nur in der Kleinkunst geübte Entwicklung wiesen. Das Ideal, in höheren Stile zu schaffen, ein Meister der Tafelmalerei, des historischen Ölgemäldes zu werden, zog ihn abseits auf eine Bahn, die nicht die seine war, ans der sich ihm in Farbe und größern Maßstab Schwierigkeiten entgegen¬ stellten, die er nicht mehr bewältigen konnte. Soweit diese Ölbilder nichts andres sind als künstlerisch verhüllte Portrütgrnppen, wie der „Federball," eine bürgerliche Gruppe im Parke, auf der unter andern er selbst und seine Frau, diese deu Federball schlagend, dargestellt ist, oder das „Charpiezupfen" oder der „Winterabend," die durchaus auf seinen Studien beruhen und fast nur Menschen darstellen, denen er nahe stand und für die er deu wahren Ausdruck in sich fand, so weit leistete er auch hier erfreuliches. Seinen übrigen Gesellschaftsstückcn kaun man nachsagen, daß sie zu französisch und doch nicht französisch genug sind, auch der „Abschied des Jean Calas von seiner Familie" hat nicht aus technischen Rücksichten ein berühmtes Bild werden können, sondern seines Inhalts und seiner seelischen Auffassung wegen. Berühmt und bekannt geworden ist er aber auch nicht als Ölbild, sondern in den beiden Rndirnngen Chodowieckis. Etwa gleichzeitig mit dem Beginn seiner Ölmalerei hatte sich Chodowiecki zuerst mit der Radirnadel versucht, doch hatte er das Radiren lauge nur als künstlerische Zerstreuung getrieben, fast während des ganzen siebenjährigen Krieges. Von da an aber, als ihm die Aufträge von Miniaturen etwas mehr Zeit ließen, als er begann, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß er zu einer großen Historienmalerei nicht berufen sei, »ahn er die Nadel öfter zur Hand. Und rasch trat sie nun fast ganz an die Stelle des Bleistifts. Die reizenden Blättchen der Skizzenbücher werden seltner, dafür mehren sich die Radirungen entsprechender Gegenstände. Den ersten großen Erfolg beim Grenzboten 1 1896 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/617>, abgerufen am 01.09.2024.