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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dr. Peters im Reichstage.

Der Kolonialetat hat am 13. und 14. d. M.
im Reichstage zu einer Verhandlung Anlaß gegeben, die wieder die schon oft auf¬
getauchte Frage hervorruft: Ist es statthaft, daß in unsern öffentlichen parlamen¬
tarischen Versammlungen über außerhalb stehende Personen in einer Weise verhandelt
und abgeurteilt wird, wie es hier geschehen ist?

Da ist ein Mann von einem Reichsboten schwerer Verbrechen angeklagt worden,
öffentlich, so öffentlich, wie vor keinem Gericht, denn diese Verhandlungen werden
in ganz Deutschland, in der ganzen Welt gelesen, die Verhandlungen selbst des
Reichsgerichts nur von wenigen. Es erheben sich Verteidiger, es erheben sich neue
Ankläger, der Mann wird muss gröbste beleidigt mit Schimpfworten, er wird des
Galgens für wert erklärt, ihm wird Verbrechen auf Verbrechen zur Last gelegt.
Und der Mann ist nicht zur Stelle, er kann sich uicht verteidigen, er hat keinen
berufnen Verteidiger. Wenn sich alles, was wider ihn vorgebracht worden ist,
nachträglich als falsch herausstellte, welche Genugthuung würde ihm werden? So
gut wie keine, denn wenn dann auch gelegentlich im Reichstag seine Unschuld an¬
erkannt, in einigen Blättern davon Notiz genommen würde -- darauf würde man
kaum achten. Aber die mit allem Pomp und Lärm des gesetzgebenden Körpers
erfolgte Verurteilung -- die bliebe im Gedächtnis aller. Wenn elende Zeitungen
verkennte", weil sie wissen: es bleibt doch was hängen, auch wenn nachher ein
Widerruf kommt -- nun, man nennt das Niederträchtigkeit. Aber solche Wir¬
kungen können auch ohne Absicht von verständigen Blättern ausgehen, und auch
von gesetzgebenden Versammlungen. Das müssen wir aufs tiefste bedauern, denn
es tritt alle Gerechtigkeit mit Füßen. Diese Art von angemaßter Rechtsprechung
ist weder mit dem Recht noch mit der Würde des Hauses vereinbar. Das Hans
ist nicht kompetent dazu, in völlig formloser Weise zu Gericht zu sitzen und abzu¬
urteilen in Sachen, ans die sonst die allerpeinlichsten Rechtsformen beim Verfahren
in Anwendung kommen. Daß es thatsächlich aber auf eine Gerichtssitzung hinaus¬
läuft, was wir hier erlebt haben, ist zweifellos, nur ist es eine in den Formen
unsers Volksgerichts vor tausend Jahren oder in den Formen der Gerichte, die
Dr. Peters vielleicht in Afrika gesehen oder vielleicht selbst gar abgehalten hat.
Für unser Land und unsre Zeit ist es unerträglich, zu wissen, daß man um Ehre
und Namen gebracht werdeu kann ohne Form und Recht. Oder soll Dr. Peters
bei den Herren, die ihn Mörder und wie sonst noch nannten, herumgehen und sich
sein Recht suchen?

Nehmen wir an, Dr. Peters sei alles dessen schuldig, was gegen ihn vorge¬
bracht worden ist. Auch dann ist es sein Recht und aller Recht, zu fordern, daß
er vor ein ordentliches Gericht gestellt werde, und es ist zu verdammen, wenn er
statt dessen hier öffentlich - beschimpft wird. Denn weiter ist es nichts, was hier
geschehen ist. Aber Dr. Peters könnte ja auch weniger oder gar nicht dessen schuldig
sein, was vorgebracht worden ist. Was dann? Werden diese Leute, die Ehre und
Moral der Wilden 'in Afrika so schön verteidigen, dem Dr. Peters seine Ehre
wiedergeben? Können das diese Leute? Es wäre zum Lachen, wenn nicht das,
was Dr. Peters geschehen ist, jedem andern auch ganz Unschuldigen geschehen könnte,
über den sich ein Herr Reichsbote Babel oder Richter einmal geärgert hat, Haben
wir noch Richter in Berlin, so mögen diese urteilen, nicht Herr Richter oder
Herr Bebel.

Wie uns scheint, hat sich die Regierung durch frühere ähnliche Fälle auf einen
falschen Boden drängen lassen. Ist es Sache der Regierung, den Verteidiger zu
spielen vor dem Gerichtshof des Reichstags und gegenüber persönlichen Anklagen?
Kann ich meine Ehre als Reichsbeamter für gesichert halten, wenn sie zur Diskussion


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dr. Peters im Reichstage.

Der Kolonialetat hat am 13. und 14. d. M.
im Reichstage zu einer Verhandlung Anlaß gegeben, die wieder die schon oft auf¬
getauchte Frage hervorruft: Ist es statthaft, daß in unsern öffentlichen parlamen¬
tarischen Versammlungen über außerhalb stehende Personen in einer Weise verhandelt
und abgeurteilt wird, wie es hier geschehen ist?

Da ist ein Mann von einem Reichsboten schwerer Verbrechen angeklagt worden,
öffentlich, so öffentlich, wie vor keinem Gericht, denn diese Verhandlungen werden
in ganz Deutschland, in der ganzen Welt gelesen, die Verhandlungen selbst des
Reichsgerichts nur von wenigen. Es erheben sich Verteidiger, es erheben sich neue
Ankläger, der Mann wird muss gröbste beleidigt mit Schimpfworten, er wird des
Galgens für wert erklärt, ihm wird Verbrechen auf Verbrechen zur Last gelegt.
Und der Mann ist nicht zur Stelle, er kann sich uicht verteidigen, er hat keinen
berufnen Verteidiger. Wenn sich alles, was wider ihn vorgebracht worden ist,
nachträglich als falsch herausstellte, welche Genugthuung würde ihm werden? So
gut wie keine, denn wenn dann auch gelegentlich im Reichstag seine Unschuld an¬
erkannt, in einigen Blättern davon Notiz genommen würde — darauf würde man
kaum achten. Aber die mit allem Pomp und Lärm des gesetzgebenden Körpers
erfolgte Verurteilung — die bliebe im Gedächtnis aller. Wenn elende Zeitungen
verkennte«, weil sie wissen: es bleibt doch was hängen, auch wenn nachher ein
Widerruf kommt — nun, man nennt das Niederträchtigkeit. Aber solche Wir¬
kungen können auch ohne Absicht von verständigen Blättern ausgehen, und auch
von gesetzgebenden Versammlungen. Das müssen wir aufs tiefste bedauern, denn
es tritt alle Gerechtigkeit mit Füßen. Diese Art von angemaßter Rechtsprechung
ist weder mit dem Recht noch mit der Würde des Hauses vereinbar. Das Hans
ist nicht kompetent dazu, in völlig formloser Weise zu Gericht zu sitzen und abzu¬
urteilen in Sachen, ans die sonst die allerpeinlichsten Rechtsformen beim Verfahren
in Anwendung kommen. Daß es thatsächlich aber auf eine Gerichtssitzung hinaus¬
läuft, was wir hier erlebt haben, ist zweifellos, nur ist es eine in den Formen
unsers Volksgerichts vor tausend Jahren oder in den Formen der Gerichte, die
Dr. Peters vielleicht in Afrika gesehen oder vielleicht selbst gar abgehalten hat.
Für unser Land und unsre Zeit ist es unerträglich, zu wissen, daß man um Ehre
und Namen gebracht werdeu kann ohne Form und Recht. Oder soll Dr. Peters
bei den Herren, die ihn Mörder und wie sonst noch nannten, herumgehen und sich
sein Recht suchen?

Nehmen wir an, Dr. Peters sei alles dessen schuldig, was gegen ihn vorge¬
bracht worden ist. Auch dann ist es sein Recht und aller Recht, zu fordern, daß
er vor ein ordentliches Gericht gestellt werde, und es ist zu verdammen, wenn er
statt dessen hier öffentlich - beschimpft wird. Denn weiter ist es nichts, was hier
geschehen ist. Aber Dr. Peters könnte ja auch weniger oder gar nicht dessen schuldig
sein, was vorgebracht worden ist. Was dann? Werden diese Leute, die Ehre und
Moral der Wilden 'in Afrika so schön verteidigen, dem Dr. Peters seine Ehre
wiedergeben? Können das diese Leute? Es wäre zum Lachen, wenn nicht das,
was Dr. Peters geschehen ist, jedem andern auch ganz Unschuldigen geschehen könnte,
über den sich ein Herr Reichsbote Babel oder Richter einmal geärgert hat, Haben
wir noch Richter in Berlin, so mögen diese urteilen, nicht Herr Richter oder
Herr Bebel.

Wie uns scheint, hat sich die Regierung durch frühere ähnliche Fälle auf einen
falschen Boden drängen lassen. Ist es Sache der Regierung, den Verteidiger zu
spielen vor dem Gerichtshof des Reichstags und gegenüber persönlichen Anklagen?
Kann ich meine Ehre als Reichsbeamter für gesichert halten, wenn sie zur Diskussion


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/597>, abgerufen am 27.11.2024.