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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

holen zu können, daß die im Auslande wohnenden Deutschen nicht für das Vater¬
land verloren seien, selbst wenn sie in der Völkerschaft, bei der sie sich nieder¬
gelassen hatten, aufgingen, denn sie blieben wenigstens lange Zeit hindurch "die
besten Förderer der deutschen Industrie und des deutschen Handels, überzeugte und
freiwillige Commis Voyageurs, entschiedne und willige Beschützer, zähe und inter-
essirte Verbreiter."

Auf das interessante und mit vollster wissenschaftlicher Zuverlässigkeit vom Ver¬
fasser dargebotne, sehr umfangreiche statistische Material wollen wir hier nicht ein¬
gehen. Hoffentlich wird die ganze Arbeit nicht zu dem beschaulichen Dasei" verdammt
sein, das neunzig Prozent unsrer statistischen amtlichen "Veröffentlichungen" haben.

Die Gefahren, die für Deutschland aus einer unzureichenden Würdigung der
Übervölkerungsfrage und einer ungenügenden Politik des Naumschaffens nach außen
und im Innern erwachsen müssen, sind dnrch die Benkemcmnsche Arbeit jedenfalls
allen, die es angeht, ernsthaft genug vor Augen geführt.


Ein Schutzvcrband gegen agrarische Übergriffe

ist kürzlich in Berlin
gegründet worden. Nach den darüber vorliegenden Zeitungsberichten scheint sich
der kleine Überrest der deutschen Manchesterschule, wie er in der "Freisinnigen Ver¬
einigung" des Reichstags und in der "Volkswirtschaftlichen Gesellschaft" noch fort¬
besteht und in der Stadt Berlin sogar noch eine herrschende Rolle spielt, in dem
neuen Verbände zur Führerschaft für berufen zu halten. Wer die agrarischen Über¬
griffe ernsthaft bekämpft wissen und der Regierung in ihrem Widerstände gegen
sie einen festen Rückhalt im Volke geschaffen sehen will, kann diese Erscheinung nur
beklagen. Niemand ist weniger berechtigt und weniger befähigt, zum Kampfe gegen
die Jnteressenwirtschast, die besonders scharf in den agrarischen Ansprüchen zum
Ausdruck kommt, aufzurufen, als jene orthodoxen Manchestcrleute. Die Herren
haben sich zur Patenschaft bei dem neuen Verbände gedrängt, sie werden seine
Totengräber werden. Die Wissenschaft ist, Gott sei Dank, mit der Frage fertig,
wie tief die Epigonen Adam Smiths gerade in Deutschland das sittliche Niveau
des Wirtschaftslebens herabgedrückt haben. Für sie sind die Herren von der so¬
genannten "klassischen Nationalökonomie" tot und begraben, sie spricht nicht mehr
von ihnen. Sie hat genug mit der Aufgabe zu thun, in dem Denken, Empfinden
und Gebahren des Volkes die Schäden auszubessern, die in zwei bis drei Menschen¬
altern das Dogma von dem alleinseligmachenden Eigennutz angerichtet hat. Mit
den Ladenhütern der Manchesterdoktrin, wie sie die "Freisinnige Vereinigung" jedem
Fortschritt gegenüber noch immer auf Lager hat, kauu sie sich nicht mehr abgeben.
Aber anch im Volke haben denn doch diese Ladenhüter allmählich jede Zugkraft
verloren. Die Kommune Berlin und die Kaufmannschaft von Berlin sind nicht
das deutsche Volk, uicht einmal das Berliner. Also auch als Wahlmanöver ist es
verkehrt, daß ^sich jene Herren zur Führcrrolle vordrängen. Und vollends als
Stütze der Negierung langen sie gar nicht. Ein Verband soll die Regierung stark
macheu, dessen Führer die orthodoxen Vertreter der Lehre vom "schwachen Staat,"
vom "Nachtwächterstaate" sind? Davor möge uns der Himmel bewahren, daß die
Regierung auf diesen Leim geht. Mehr könnte ihre Stellung und die Sympathien
des deutschen Volkes für den rvouvr av droucv, an dem sich die Wogen eigennütziger
Interessenpolitik mehr als einmal in Preußen gebrochen haben, nichts in der
Welt erschüttern. Herr von Ploetz und seine Leute können sich freuen, daß das
Ungeschick der Berliner nationalökonomischen Orthodoxie den berufnen Kämpfern
gegen die agrarischen Übergriffe, vorläufig wenigstens, die Beteiligung um dem
neuen Schutzverbande gründlich verleidet hat.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

holen zu können, daß die im Auslande wohnenden Deutschen nicht für das Vater¬
land verloren seien, selbst wenn sie in der Völkerschaft, bei der sie sich nieder¬
gelassen hatten, aufgingen, denn sie blieben wenigstens lange Zeit hindurch „die
besten Förderer der deutschen Industrie und des deutschen Handels, überzeugte und
freiwillige Commis Voyageurs, entschiedne und willige Beschützer, zähe und inter-
essirte Verbreiter."

Auf das interessante und mit vollster wissenschaftlicher Zuverlässigkeit vom Ver¬
fasser dargebotne, sehr umfangreiche statistische Material wollen wir hier nicht ein¬
gehen. Hoffentlich wird die ganze Arbeit nicht zu dem beschaulichen Dasei» verdammt
sein, das neunzig Prozent unsrer statistischen amtlichen „Veröffentlichungen" haben.

Die Gefahren, die für Deutschland aus einer unzureichenden Würdigung der
Übervölkerungsfrage und einer ungenügenden Politik des Naumschaffens nach außen
und im Innern erwachsen müssen, sind dnrch die Benkemcmnsche Arbeit jedenfalls
allen, die es angeht, ernsthaft genug vor Augen geführt.


Ein Schutzvcrband gegen agrarische Übergriffe

ist kürzlich in Berlin
gegründet worden. Nach den darüber vorliegenden Zeitungsberichten scheint sich
der kleine Überrest der deutschen Manchesterschule, wie er in der „Freisinnigen Ver¬
einigung" des Reichstags und in der „Volkswirtschaftlichen Gesellschaft" noch fort¬
besteht und in der Stadt Berlin sogar noch eine herrschende Rolle spielt, in dem
neuen Verbände zur Führerschaft für berufen zu halten. Wer die agrarischen Über¬
griffe ernsthaft bekämpft wissen und der Regierung in ihrem Widerstände gegen
sie einen festen Rückhalt im Volke geschaffen sehen will, kann diese Erscheinung nur
beklagen. Niemand ist weniger berechtigt und weniger befähigt, zum Kampfe gegen
die Jnteressenwirtschast, die besonders scharf in den agrarischen Ansprüchen zum
Ausdruck kommt, aufzurufen, als jene orthodoxen Manchestcrleute. Die Herren
haben sich zur Patenschaft bei dem neuen Verbände gedrängt, sie werden seine
Totengräber werden. Die Wissenschaft ist, Gott sei Dank, mit der Frage fertig,
wie tief die Epigonen Adam Smiths gerade in Deutschland das sittliche Niveau
des Wirtschaftslebens herabgedrückt haben. Für sie sind die Herren von der so¬
genannten „klassischen Nationalökonomie" tot und begraben, sie spricht nicht mehr
von ihnen. Sie hat genug mit der Aufgabe zu thun, in dem Denken, Empfinden
und Gebahren des Volkes die Schäden auszubessern, die in zwei bis drei Menschen¬
altern das Dogma von dem alleinseligmachenden Eigennutz angerichtet hat. Mit
den Ladenhütern der Manchesterdoktrin, wie sie die „Freisinnige Vereinigung" jedem
Fortschritt gegenüber noch immer auf Lager hat, kauu sie sich nicht mehr abgeben.
Aber anch im Volke haben denn doch diese Ladenhüter allmählich jede Zugkraft
verloren. Die Kommune Berlin und die Kaufmannschaft von Berlin sind nicht
das deutsche Volk, uicht einmal das Berliner. Also auch als Wahlmanöver ist es
verkehrt, daß ^sich jene Herren zur Führcrrolle vordrängen. Und vollends als
Stütze der Negierung langen sie gar nicht. Ein Verband soll die Regierung stark
macheu, dessen Führer die orthodoxen Vertreter der Lehre vom „schwachen Staat,"
vom „Nachtwächterstaate" sind? Davor möge uns der Himmel bewahren, daß die
Regierung auf diesen Leim geht. Mehr könnte ihre Stellung und die Sympathien
des deutschen Volkes für den rvouvr av droucv, an dem sich die Wogen eigennütziger
Interessenpolitik mehr als einmal in Preußen gebrochen haben, nichts in der
Welt erschüttern. Herr von Ploetz und seine Leute können sich freuen, daß das
Ungeschick der Berliner nationalökonomischen Orthodoxie den berufnen Kämpfern
gegen die agrarischen Übergriffe, vorläufig wenigstens, die Beteiligung um dem
neuen Schutzverbande gründlich verleidet hat.


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[0596] Maßgebliches und Unmaßgebliches holen zu können, daß die im Auslande wohnenden Deutschen nicht für das Vater¬ land verloren seien, selbst wenn sie in der Völkerschaft, bei der sie sich nieder¬ gelassen hatten, aufgingen, denn sie blieben wenigstens lange Zeit hindurch „die besten Förderer der deutschen Industrie und des deutschen Handels, überzeugte und freiwillige Commis Voyageurs, entschiedne und willige Beschützer, zähe und inter- essirte Verbreiter." Auf das interessante und mit vollster wissenschaftlicher Zuverlässigkeit vom Ver¬ fasser dargebotne, sehr umfangreiche statistische Material wollen wir hier nicht ein¬ gehen. Hoffentlich wird die ganze Arbeit nicht zu dem beschaulichen Dasei» verdammt sein, das neunzig Prozent unsrer statistischen amtlichen „Veröffentlichungen" haben. Die Gefahren, die für Deutschland aus einer unzureichenden Würdigung der Übervölkerungsfrage und einer ungenügenden Politik des Naumschaffens nach außen und im Innern erwachsen müssen, sind dnrch die Benkemcmnsche Arbeit jedenfalls allen, die es angeht, ernsthaft genug vor Augen geführt. Ein Schutzvcrband gegen agrarische Übergriffe ist kürzlich in Berlin gegründet worden. Nach den darüber vorliegenden Zeitungsberichten scheint sich der kleine Überrest der deutschen Manchesterschule, wie er in der „Freisinnigen Ver¬ einigung" des Reichstags und in der „Volkswirtschaftlichen Gesellschaft" noch fort¬ besteht und in der Stadt Berlin sogar noch eine herrschende Rolle spielt, in dem neuen Verbände zur Führerschaft für berufen zu halten. Wer die agrarischen Über¬ griffe ernsthaft bekämpft wissen und der Regierung in ihrem Widerstände gegen sie einen festen Rückhalt im Volke geschaffen sehen will, kann diese Erscheinung nur beklagen. Niemand ist weniger berechtigt und weniger befähigt, zum Kampfe gegen die Jnteressenwirtschast, die besonders scharf in den agrarischen Ansprüchen zum Ausdruck kommt, aufzurufen, als jene orthodoxen Manchestcrleute. Die Herren haben sich zur Patenschaft bei dem neuen Verbände gedrängt, sie werden seine Totengräber werden. Die Wissenschaft ist, Gott sei Dank, mit der Frage fertig, wie tief die Epigonen Adam Smiths gerade in Deutschland das sittliche Niveau des Wirtschaftslebens herabgedrückt haben. Für sie sind die Herren von der so¬ genannten „klassischen Nationalökonomie" tot und begraben, sie spricht nicht mehr von ihnen. Sie hat genug mit der Aufgabe zu thun, in dem Denken, Empfinden und Gebahren des Volkes die Schäden auszubessern, die in zwei bis drei Menschen¬ altern das Dogma von dem alleinseligmachenden Eigennutz angerichtet hat. Mit den Ladenhütern der Manchesterdoktrin, wie sie die „Freisinnige Vereinigung" jedem Fortschritt gegenüber noch immer auf Lager hat, kauu sie sich nicht mehr abgeben. Aber anch im Volke haben denn doch diese Ladenhüter allmählich jede Zugkraft verloren. Die Kommune Berlin und die Kaufmannschaft von Berlin sind nicht das deutsche Volk, uicht einmal das Berliner. Also auch als Wahlmanöver ist es verkehrt, daß ^sich jene Herren zur Führcrrolle vordrängen. Und vollends als Stütze der Negierung langen sie gar nicht. Ein Verband soll die Regierung stark macheu, dessen Führer die orthodoxen Vertreter der Lehre vom „schwachen Staat," vom „Nachtwächterstaate" sind? Davor möge uns der Himmel bewahren, daß die Regierung auf diesen Leim geht. Mehr könnte ihre Stellung und die Sympathien des deutschen Volkes für den rvouvr av droucv, an dem sich die Wogen eigennütziger Interessenpolitik mehr als einmal in Preußen gebrochen haben, nichts in der Welt erschüttern. Herr von Ploetz und seine Leute können sich freuen, daß das Ungeschick der Berliner nationalökonomischen Orthodoxie den berufnen Kämpfern gegen die agrarischen Übergriffe, vorläufig wenigstens, die Beteiligung um dem neuen Schutzverbande gründlich verleidet hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/596>, abgerufen am 27.11.2024.