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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Großvater

In den letzten Jahrzehnten sind bisweilen außerordentlich mühevolle und
künstliche Umarbeitungen älterer Bühnenwerke unternommen worden. Man
denke an die Wiederaufnahme von Webers "Silvana," wo Ernst Pasquö zu
deu einzelnen Nummern des Komponisten ein ausführliches, nagelneues Zauber-
märcheu hinzugedichtet hat, oder an die Neueinrichtung des Haydnschen "Apo¬
thekers" (1^0 Lp6?iÄ"z), wo die drei Akte der Eiseustadter Handschrift in einen
einzigen zusammengezogen worden sind. Auch solche Ausgrabungen sind unter
Umstünden erfolgreich. In einigen Fällen scheint man freilich zuviel Arbeit
an undankbare und unrettbare Dinge verschwendet zu haben. Ein lohnendes
Gebiet dürften gewisse Operetten von Gluck sein. Als vor einigen Jahren auf
der Dresdner Hvfbühne der "Betrogne Kadi," musterhaft vorbereitet, aufge¬
führt wurde, war man allseitig aufs angenehmste überrascht. Wien sah bei
der Enthüllung des Denkmals der Kaiserin Maria Theresia ein Glucksches
Schäferspiel "Die Maienkönigin," das Max Kalbeck frei nach Favart bearbeitet
hatte. Auch dieses Stück wirkte höchst anmutig. Übrigens harren auch noch
die großen Hauptwerke Glucks, obgleich unvergessen, einer glücklich neuerudeu
Hand. Es wäre zu wünschen, daß hier einmal größere Fortschritte sichtbar
würden. So wie von Richard Wagner seinerzeit die "Iphigenie in Antis"
durch einen neuen Schluß vervollkommnet worden ist, müßte auch für die
übrigem Reformopern des Meisters, namentlich für "Alceste," etwas neues ge¬
schehen, wenn auch vielleicht in maßvollerer und minder durchgreifender Weise.
Ob dann endlich auch wieder Cherubinis "Lodoiska" auss Theater kommen
und die Textdichtung zur "Elisci" umgearbeitet werden wird? Wir wollens
hoffen.




Großvater
Lin norwegischer Roman

n der Reihe der neuern norwegischen Erzähler, die neben den fran¬
zösischen und russischen die Ehre haben, von unsern Jüngsten als
mustergiltig angestaunt zu werden, zeichnet sich Jonas Lie, der
Verfasser der Romane "Ein Malstrom," "Der Lotse und sein Weib,"
"Hof Gilje," durch zwei sehr bemerkenswerte Eigenschaften ans. Er
ist kaum weniger Tendcnzschriftsteller, als die Herren Björnson, Kiel¬
land, Hamsun und andre, er haßt Schweden und die Schweden mit herzlichem
Normaunenhaß, er sieht in allen Mensche" und Verhältnissen, die mit den alten
dänischen Überlieferungen des Landes oder der Union mit Schweden zusammen¬
hängen, die Keime zum Bösen und zum Verderben, er vertritt die realistische Bil¬
dung gegenüber der humanistischen als das einzige Heil; aber er hat dabei die


Großvater

In den letzten Jahrzehnten sind bisweilen außerordentlich mühevolle und
künstliche Umarbeitungen älterer Bühnenwerke unternommen worden. Man
denke an die Wiederaufnahme von Webers „Silvana," wo Ernst Pasquö zu
deu einzelnen Nummern des Komponisten ein ausführliches, nagelneues Zauber-
märcheu hinzugedichtet hat, oder an die Neueinrichtung des Haydnschen „Apo¬
thekers" (1^0 Lp6?iīz), wo die drei Akte der Eiseustadter Handschrift in einen
einzigen zusammengezogen worden sind. Auch solche Ausgrabungen sind unter
Umstünden erfolgreich. In einigen Fällen scheint man freilich zuviel Arbeit
an undankbare und unrettbare Dinge verschwendet zu haben. Ein lohnendes
Gebiet dürften gewisse Operetten von Gluck sein. Als vor einigen Jahren auf
der Dresdner Hvfbühne der „Betrogne Kadi," musterhaft vorbereitet, aufge¬
führt wurde, war man allseitig aufs angenehmste überrascht. Wien sah bei
der Enthüllung des Denkmals der Kaiserin Maria Theresia ein Glucksches
Schäferspiel „Die Maienkönigin," das Max Kalbeck frei nach Favart bearbeitet
hatte. Auch dieses Stück wirkte höchst anmutig. Übrigens harren auch noch
die großen Hauptwerke Glucks, obgleich unvergessen, einer glücklich neuerudeu
Hand. Es wäre zu wünschen, daß hier einmal größere Fortschritte sichtbar
würden. So wie von Richard Wagner seinerzeit die „Iphigenie in Antis"
durch einen neuen Schluß vervollkommnet worden ist, müßte auch für die
übrigem Reformopern des Meisters, namentlich für „Alceste," etwas neues ge¬
schehen, wenn auch vielleicht in maßvollerer und minder durchgreifender Weise.
Ob dann endlich auch wieder Cherubinis „Lodoiska" auss Theater kommen
und die Textdichtung zur „Elisci" umgearbeitet werden wird? Wir wollens
hoffen.




Großvater
Lin norwegischer Roman

n der Reihe der neuern norwegischen Erzähler, die neben den fran¬
zösischen und russischen die Ehre haben, von unsern Jüngsten als
mustergiltig angestaunt zu werden, zeichnet sich Jonas Lie, der
Verfasser der Romane „Ein Malstrom," „Der Lotse und sein Weib,"
„Hof Gilje," durch zwei sehr bemerkenswerte Eigenschaften ans. Er
ist kaum weniger Tendcnzschriftsteller, als die Herren Björnson, Kiel¬
land, Hamsun und andre, er haßt Schweden und die Schweden mit herzlichem
Normaunenhaß, er sieht in allen Mensche» und Verhältnissen, die mit den alten
dänischen Überlieferungen des Landes oder der Union mit Schweden zusammen¬
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[0572] Großvater In den letzten Jahrzehnten sind bisweilen außerordentlich mühevolle und künstliche Umarbeitungen älterer Bühnenwerke unternommen worden. Man denke an die Wiederaufnahme von Webers „Silvana," wo Ernst Pasquö zu deu einzelnen Nummern des Komponisten ein ausführliches, nagelneues Zauber- märcheu hinzugedichtet hat, oder an die Neueinrichtung des Haydnschen „Apo¬ thekers" (1^0 Lp6?iÄ«z), wo die drei Akte der Eiseustadter Handschrift in einen einzigen zusammengezogen worden sind. Auch solche Ausgrabungen sind unter Umstünden erfolgreich. In einigen Fällen scheint man freilich zuviel Arbeit an undankbare und unrettbare Dinge verschwendet zu haben. Ein lohnendes Gebiet dürften gewisse Operetten von Gluck sein. Als vor einigen Jahren auf der Dresdner Hvfbühne der „Betrogne Kadi," musterhaft vorbereitet, aufge¬ führt wurde, war man allseitig aufs angenehmste überrascht. Wien sah bei der Enthüllung des Denkmals der Kaiserin Maria Theresia ein Glucksches Schäferspiel „Die Maienkönigin," das Max Kalbeck frei nach Favart bearbeitet hatte. Auch dieses Stück wirkte höchst anmutig. Übrigens harren auch noch die großen Hauptwerke Glucks, obgleich unvergessen, einer glücklich neuerudeu Hand. Es wäre zu wünschen, daß hier einmal größere Fortschritte sichtbar würden. So wie von Richard Wagner seinerzeit die „Iphigenie in Antis" durch einen neuen Schluß vervollkommnet worden ist, müßte auch für die übrigem Reformopern des Meisters, namentlich für „Alceste," etwas neues ge¬ schehen, wenn auch vielleicht in maßvollerer und minder durchgreifender Weise. Ob dann endlich auch wieder Cherubinis „Lodoiska" auss Theater kommen und die Textdichtung zur „Elisci" umgearbeitet werden wird? Wir wollens hoffen. Großvater Lin norwegischer Roman n der Reihe der neuern norwegischen Erzähler, die neben den fran¬ zösischen und russischen die Ehre haben, von unsern Jüngsten als mustergiltig angestaunt zu werden, zeichnet sich Jonas Lie, der Verfasser der Romane „Ein Malstrom," „Der Lotse und sein Weib," „Hof Gilje," durch zwei sehr bemerkenswerte Eigenschaften ans. Er ist kaum weniger Tendcnzschriftsteller, als die Herren Björnson, Kiel¬ land, Hamsun und andre, er haßt Schweden und die Schweden mit herzlichem Normaunenhaß, er sieht in allen Mensche» und Verhältnissen, die mit den alten dänischen Überlieferungen des Landes oder der Union mit Schweden zusammen¬ hängen, die Keime zum Bösen und zum Verderben, er vertritt die realistische Bil¬ dung gegenüber der humanistischen als das einzige Heil; aber er hat dabei die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/572>, abgerufen am 28.11.2024.