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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Lin Bnchdruckerstreik?

kauen, soweit sie nicht damals überhaupt aus dem Gewerbe gedrängt worden
und untergegangen sind; allmählich haben sich die tüchtigen wieder in die
guten Stellen emporgearbeitet und warm gesetzt, und wieder sollen sie für die
untüchtigen und für politische Zwecke geopfert werden, mit Hilfe der blöd¬
sinnigen Tarifgleichmacherei. Ob sie wolle" oder nicht, hilft ihnen nichts;
dank der straffen Gewerbeorganisation müssen sie über die Klinge springen,
wenn es der Verbandsvorstand verlangt, und viele thun es mit offnen Augen,
aus idealen Gründen, weil ihnen die Verbandssache ein Heiligtum ist, oder
verzweifelt, weil sie aus Furcht unfreie Männer find.

Im Augenblick ist ja, wie aus den Zeitungsberichten bekannt geworden
ist, die Entscheidung wegen des Streiks hinausgeschoben worden -- die
Zeitungen berichten über eine friedliche Beilegung, von der aber gar keine
Rede ist; es ist jetzt rein aus formellen Gründen überhaupt uoch nicht in die
eigentlichen Verhandlungen eingetreten worden, und die Arbeiter haben sich
dazu bequemen müssen, obgleich sie, oder ihre Leiter, am liebsten sofort los¬
geschlagen hätten, die Verhandlungen bis dahin zu verschieben, wo sie eine
zur Verhandlung als berechtigt anerkannte Kommission gewählt haben werden,
das ist-im April. Darüber wird die nach ihrer Meinung beste Zeit zum
Streik vergangen sein, und die Stimmung ist im Augenblick ziemlich kleinlaut.
Die Führerschaft giebt zu erkennen, daß sie im Mai in keine" Kampf mehr
eintreten würde. Damit ist dieser aber keineswegs aufgegeben, im Gegenteil,
er wird auf alle Fülle im Herbst oder spätestens übers Jahr doch eingeleitet
werden, denn die Führerschaft hat die Kämpfe nötig, wenn ihr nicht die Fäden
aus der Hand gleiten sollen.

Der Streik wird aus alle Fälle versucht werden, so lange die sozial¬
demokratische Partei Interesse daran hat, die Massen in Unruhe zu erhalten
-- früher waren die Buchdruckergchilfeu eine Gewerkschaft, die die Sozial¬
demokraten über die Schulter ansah --, und so lauge die Tarifverhältnisse die
Handhabe dazu bieten. Deshalb werden Verleger und Drnckereibcsitzer ge¬
meinsam zu erwägen haben, wie sie diesen ewigen Beunruhigungen vorbeugen
können, ohne den Vorteil der festen Tarife, die für Arbeiter und Prinzipale
gleich nützlich sind, aufzugeben. Die vernünftigen Arbeiter werden es zufrieden
fein. Und noch eins muß herbeigeführt werden -- es ist die Pflicht der Re¬
gierung darauf hinzuwirken, wenn sie klar sieht, wo das Volk zu seinem
Schaden mißbraucht wird --, daß die Elemente, die am leichtesten der politischen
Irreführung unterliegen, der Sozialdemokratie entzogen werden, und dieser die
Mittel, die sie von diesen Elementen um leichtesten für ihre Zwecke erhält:
die jungen Leute dürfen nicht freie Verfügung über ihren vollen Verdienst
behalten vor ihrer Großjährigkeit.

Auch auf diesem Gebiete haben ja die Dinge und Verhältnisse eine viel
tiefer gehende Wurzel, als die meisten sehen. Die Arbeiterschaft sieht das Elend


Lin Bnchdruckerstreik?

kauen, soweit sie nicht damals überhaupt aus dem Gewerbe gedrängt worden
und untergegangen sind; allmählich haben sich die tüchtigen wieder in die
guten Stellen emporgearbeitet und warm gesetzt, und wieder sollen sie für die
untüchtigen und für politische Zwecke geopfert werden, mit Hilfe der blöd¬
sinnigen Tarifgleichmacherei. Ob sie wolle» oder nicht, hilft ihnen nichts;
dank der straffen Gewerbeorganisation müssen sie über die Klinge springen,
wenn es der Verbandsvorstand verlangt, und viele thun es mit offnen Augen,
aus idealen Gründen, weil ihnen die Verbandssache ein Heiligtum ist, oder
verzweifelt, weil sie aus Furcht unfreie Männer find.

Im Augenblick ist ja, wie aus den Zeitungsberichten bekannt geworden
ist, die Entscheidung wegen des Streiks hinausgeschoben worden — die
Zeitungen berichten über eine friedliche Beilegung, von der aber gar keine
Rede ist; es ist jetzt rein aus formellen Gründen überhaupt uoch nicht in die
eigentlichen Verhandlungen eingetreten worden, und die Arbeiter haben sich
dazu bequemen müssen, obgleich sie, oder ihre Leiter, am liebsten sofort los¬
geschlagen hätten, die Verhandlungen bis dahin zu verschieben, wo sie eine
zur Verhandlung als berechtigt anerkannte Kommission gewählt haben werden,
das ist-im April. Darüber wird die nach ihrer Meinung beste Zeit zum
Streik vergangen sein, und die Stimmung ist im Augenblick ziemlich kleinlaut.
Die Führerschaft giebt zu erkennen, daß sie im Mai in keine» Kampf mehr
eintreten würde. Damit ist dieser aber keineswegs aufgegeben, im Gegenteil,
er wird auf alle Fülle im Herbst oder spätestens übers Jahr doch eingeleitet
werden, denn die Führerschaft hat die Kämpfe nötig, wenn ihr nicht die Fäden
aus der Hand gleiten sollen.

Der Streik wird aus alle Fälle versucht werden, so lange die sozial¬
demokratische Partei Interesse daran hat, die Massen in Unruhe zu erhalten
— früher waren die Buchdruckergchilfeu eine Gewerkschaft, die die Sozial¬
demokraten über die Schulter ansah —, und so lauge die Tarifverhältnisse die
Handhabe dazu bieten. Deshalb werden Verleger und Drnckereibcsitzer ge¬
meinsam zu erwägen haben, wie sie diesen ewigen Beunruhigungen vorbeugen
können, ohne den Vorteil der festen Tarife, die für Arbeiter und Prinzipale
gleich nützlich sind, aufzugeben. Die vernünftigen Arbeiter werden es zufrieden
fein. Und noch eins muß herbeigeführt werden — es ist die Pflicht der Re¬
gierung darauf hinzuwirken, wenn sie klar sieht, wo das Volk zu seinem
Schaden mißbraucht wird —, daß die Elemente, die am leichtesten der politischen
Irreführung unterliegen, der Sozialdemokratie entzogen werden, und dieser die
Mittel, die sie von diesen Elementen um leichtesten für ihre Zwecke erhält:
die jungen Leute dürfen nicht freie Verfügung über ihren vollen Verdienst
behalten vor ihrer Großjährigkeit.

Auch auf diesem Gebiete haben ja die Dinge und Verhältnisse eine viel
tiefer gehende Wurzel, als die meisten sehen. Die Arbeiterschaft sieht das Elend


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[0567] Lin Bnchdruckerstreik? kauen, soweit sie nicht damals überhaupt aus dem Gewerbe gedrängt worden und untergegangen sind; allmählich haben sich die tüchtigen wieder in die guten Stellen emporgearbeitet und warm gesetzt, und wieder sollen sie für die untüchtigen und für politische Zwecke geopfert werden, mit Hilfe der blöd¬ sinnigen Tarifgleichmacherei. Ob sie wolle» oder nicht, hilft ihnen nichts; dank der straffen Gewerbeorganisation müssen sie über die Klinge springen, wenn es der Verbandsvorstand verlangt, und viele thun es mit offnen Augen, aus idealen Gründen, weil ihnen die Verbandssache ein Heiligtum ist, oder verzweifelt, weil sie aus Furcht unfreie Männer find. Im Augenblick ist ja, wie aus den Zeitungsberichten bekannt geworden ist, die Entscheidung wegen des Streiks hinausgeschoben worden — die Zeitungen berichten über eine friedliche Beilegung, von der aber gar keine Rede ist; es ist jetzt rein aus formellen Gründen überhaupt uoch nicht in die eigentlichen Verhandlungen eingetreten worden, und die Arbeiter haben sich dazu bequemen müssen, obgleich sie, oder ihre Leiter, am liebsten sofort los¬ geschlagen hätten, die Verhandlungen bis dahin zu verschieben, wo sie eine zur Verhandlung als berechtigt anerkannte Kommission gewählt haben werden, das ist-im April. Darüber wird die nach ihrer Meinung beste Zeit zum Streik vergangen sein, und die Stimmung ist im Augenblick ziemlich kleinlaut. Die Führerschaft giebt zu erkennen, daß sie im Mai in keine» Kampf mehr eintreten würde. Damit ist dieser aber keineswegs aufgegeben, im Gegenteil, er wird auf alle Fülle im Herbst oder spätestens übers Jahr doch eingeleitet werden, denn die Führerschaft hat die Kämpfe nötig, wenn ihr nicht die Fäden aus der Hand gleiten sollen. Der Streik wird aus alle Fälle versucht werden, so lange die sozial¬ demokratische Partei Interesse daran hat, die Massen in Unruhe zu erhalten — früher waren die Buchdruckergchilfeu eine Gewerkschaft, die die Sozial¬ demokraten über die Schulter ansah —, und so lauge die Tarifverhältnisse die Handhabe dazu bieten. Deshalb werden Verleger und Drnckereibcsitzer ge¬ meinsam zu erwägen haben, wie sie diesen ewigen Beunruhigungen vorbeugen können, ohne den Vorteil der festen Tarife, die für Arbeiter und Prinzipale gleich nützlich sind, aufzugeben. Die vernünftigen Arbeiter werden es zufrieden fein. Und noch eins muß herbeigeführt werden — es ist die Pflicht der Re¬ gierung darauf hinzuwirken, wenn sie klar sieht, wo das Volk zu seinem Schaden mißbraucht wird —, daß die Elemente, die am leichtesten der politischen Irreführung unterliegen, der Sozialdemokratie entzogen werden, und dieser die Mittel, die sie von diesen Elementen um leichtesten für ihre Zwecke erhält: die jungen Leute dürfen nicht freie Verfügung über ihren vollen Verdienst behalten vor ihrer Großjährigkeit. Auch auf diesem Gebiete haben ja die Dinge und Verhältnisse eine viel tiefer gehende Wurzel, als die meisten sehen. Die Arbeiterschaft sieht das Elend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/567>, abgerufen am 27.11.2024.