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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Englands Macht

seinen Wohnsitz dauernd in Deutschland genommen hatte, folgendes begegnet.
Er fragte mich, es kann 1867 oder 1868 gewesen sein: "Glauben Sie, daß die
Erfolge Preußens von Dauer sein und zur Einheit Deutschlands führen
werden? -- Gewiß, antwortete ich. ^ Glauben Sie auch, daß Deutschland
eine Seemacht werden wird? -- Allerdings, das glaube ich auch, und zwar
ganz sicher! -- Nein, das glaube ich nicht! -- Verzeihung, aber da tritt der
Engländer zu Tage." Mein Gönner wandte mir den Rücken zu und ließ mich
stehen. Herr Wislieenus sagt mit Recht: "Es ist den Engländern unbequem,
daß wir tüchtige Seeleute und gute Schiffe haben; deshalb ziehen sie vor, sich
selbst zu täuschen und sich weiszumachen, unsre Schiffe wären nur für die
Ostsee gut, aber bis nach England, der Insel im Atlantischen Meere, könnten
sie kaum herüberkommen. Sie fürchten, daß "Festeuropa" unter Deutschlands
kräftiger Führung ihrem Weltreich gefährlich werden könnte."

Geradezu thöricht ist es, wenn sich die Engländer durch die Jusellcige
ihres vereinigten Königreichs für völlig geschützt vor einem Einfall fremder
Truppen in ihrem eignen Lande halten. Sie mögen sich doch nur in der
Geschichte umsehen! Ist nicht Cäsar zwei Jahre hinter einander, 55 und
54 v. Chr., in England gelandet? Haben nicht die Angelsachsen unter Hengist
und Horsa im Jahre 449 n. Chr. einen Einfall in England gemacht und dem
Lande eigentlich durch dauernde Besitznahme seinen Namen gegeben? Sind denn
die Dänen nicht im elften Jahrhundert in England gelandet und haben das
Reich erobert und Knut den Großen zum Könige von England gemacht? Noch
in demselben Jahrhundert kommt der Normanne Wilhelm, später der Eroberer
genannt, landet und schlägt den König Harald bei Hastings 1066. Von den
verschiednen Kronprätendenten, wie dem Herzog von Monmouth u. a., denen
wenigstens die Landung jedesmal gelang, will ich schweigen. Nur Wilhelms
von Oranien will ich noch gedenken, der im November 1688 landete, König
wurde und seinen anfangs Vertriebnen, dann aber in Irland gekanteten Gegner
Jakob II. Stuart am Bohncfluß schlug. An gelungner Landungen hat es
also in der englischen Geschichte nicht gefehlt, und auch Napoleon wäre 1803
nicht davor zurückgeschreckt, wenn ihn nicht die Verhältnisse ans dem Festlande
zurückgehalten hätten. Aber auch heute noch würde eine Landung in Eng¬
land und eine Eroberung des Landes gelingen, denn die englische Flotte kann
nicht überall sein, und daß sie über deutsche, französische und russische Ge¬
schwader, oder auch nur über eines von ihnen siegen wird, ist keineswegs sicher.
Daß aber die englische Landarmee auch nur drei oder vier deutschen Armee¬
korps Widerstand zu leisten vermöchte, das glauben die Engländer selber nicht,
und unsre Leser werden es auch nicht glauben, wenn ich ihnen nun auch noch
das englische Landheer nach englischen und deutschen Quellen schildere.

Da wende ich mich zunächst wieder an Churchill, der in seiner Rede
betont, daß er für alle seine Angaben die Verantwortung übernehme. Nach-


Englands Macht

seinen Wohnsitz dauernd in Deutschland genommen hatte, folgendes begegnet.
Er fragte mich, es kann 1867 oder 1868 gewesen sein: „Glauben Sie, daß die
Erfolge Preußens von Dauer sein und zur Einheit Deutschlands führen
werden? — Gewiß, antwortete ich. ^ Glauben Sie auch, daß Deutschland
eine Seemacht werden wird? — Allerdings, das glaube ich auch, und zwar
ganz sicher! — Nein, das glaube ich nicht! — Verzeihung, aber da tritt der
Engländer zu Tage." Mein Gönner wandte mir den Rücken zu und ließ mich
stehen. Herr Wislieenus sagt mit Recht: „Es ist den Engländern unbequem,
daß wir tüchtige Seeleute und gute Schiffe haben; deshalb ziehen sie vor, sich
selbst zu täuschen und sich weiszumachen, unsre Schiffe wären nur für die
Ostsee gut, aber bis nach England, der Insel im Atlantischen Meere, könnten
sie kaum herüberkommen. Sie fürchten, daß »Festeuropa« unter Deutschlands
kräftiger Führung ihrem Weltreich gefährlich werden könnte."

Geradezu thöricht ist es, wenn sich die Engländer durch die Jusellcige
ihres vereinigten Königreichs für völlig geschützt vor einem Einfall fremder
Truppen in ihrem eignen Lande halten. Sie mögen sich doch nur in der
Geschichte umsehen! Ist nicht Cäsar zwei Jahre hinter einander, 55 und
54 v. Chr., in England gelandet? Haben nicht die Angelsachsen unter Hengist
und Horsa im Jahre 449 n. Chr. einen Einfall in England gemacht und dem
Lande eigentlich durch dauernde Besitznahme seinen Namen gegeben? Sind denn
die Dänen nicht im elften Jahrhundert in England gelandet und haben das
Reich erobert und Knut den Großen zum Könige von England gemacht? Noch
in demselben Jahrhundert kommt der Normanne Wilhelm, später der Eroberer
genannt, landet und schlägt den König Harald bei Hastings 1066. Von den
verschiednen Kronprätendenten, wie dem Herzog von Monmouth u. a., denen
wenigstens die Landung jedesmal gelang, will ich schweigen. Nur Wilhelms
von Oranien will ich noch gedenken, der im November 1688 landete, König
wurde und seinen anfangs Vertriebnen, dann aber in Irland gekanteten Gegner
Jakob II. Stuart am Bohncfluß schlug. An gelungner Landungen hat es
also in der englischen Geschichte nicht gefehlt, und auch Napoleon wäre 1803
nicht davor zurückgeschreckt, wenn ihn nicht die Verhältnisse ans dem Festlande
zurückgehalten hätten. Aber auch heute noch würde eine Landung in Eng¬
land und eine Eroberung des Landes gelingen, denn die englische Flotte kann
nicht überall sein, und daß sie über deutsche, französische und russische Ge¬
schwader, oder auch nur über eines von ihnen siegen wird, ist keineswegs sicher.
Daß aber die englische Landarmee auch nur drei oder vier deutschen Armee¬
korps Widerstand zu leisten vermöchte, das glauben die Engländer selber nicht,
und unsre Leser werden es auch nicht glauben, wenn ich ihnen nun auch noch
das englische Landheer nach englischen und deutschen Quellen schildere.

Da wende ich mich zunächst wieder an Churchill, der in seiner Rede
betont, daß er für alle seine Angaben die Verantwortung übernehme. Nach-


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[0557] Englands Macht seinen Wohnsitz dauernd in Deutschland genommen hatte, folgendes begegnet. Er fragte mich, es kann 1867 oder 1868 gewesen sein: „Glauben Sie, daß die Erfolge Preußens von Dauer sein und zur Einheit Deutschlands führen werden? — Gewiß, antwortete ich. ^ Glauben Sie auch, daß Deutschland eine Seemacht werden wird? — Allerdings, das glaube ich auch, und zwar ganz sicher! — Nein, das glaube ich nicht! — Verzeihung, aber da tritt der Engländer zu Tage." Mein Gönner wandte mir den Rücken zu und ließ mich stehen. Herr Wislieenus sagt mit Recht: „Es ist den Engländern unbequem, daß wir tüchtige Seeleute und gute Schiffe haben; deshalb ziehen sie vor, sich selbst zu täuschen und sich weiszumachen, unsre Schiffe wären nur für die Ostsee gut, aber bis nach England, der Insel im Atlantischen Meere, könnten sie kaum herüberkommen. Sie fürchten, daß »Festeuropa« unter Deutschlands kräftiger Führung ihrem Weltreich gefährlich werden könnte." Geradezu thöricht ist es, wenn sich die Engländer durch die Jusellcige ihres vereinigten Königreichs für völlig geschützt vor einem Einfall fremder Truppen in ihrem eignen Lande halten. Sie mögen sich doch nur in der Geschichte umsehen! Ist nicht Cäsar zwei Jahre hinter einander, 55 und 54 v. Chr., in England gelandet? Haben nicht die Angelsachsen unter Hengist und Horsa im Jahre 449 n. Chr. einen Einfall in England gemacht und dem Lande eigentlich durch dauernde Besitznahme seinen Namen gegeben? Sind denn die Dänen nicht im elften Jahrhundert in England gelandet und haben das Reich erobert und Knut den Großen zum Könige von England gemacht? Noch in demselben Jahrhundert kommt der Normanne Wilhelm, später der Eroberer genannt, landet und schlägt den König Harald bei Hastings 1066. Von den verschiednen Kronprätendenten, wie dem Herzog von Monmouth u. a., denen wenigstens die Landung jedesmal gelang, will ich schweigen. Nur Wilhelms von Oranien will ich noch gedenken, der im November 1688 landete, König wurde und seinen anfangs Vertriebnen, dann aber in Irland gekanteten Gegner Jakob II. Stuart am Bohncfluß schlug. An gelungner Landungen hat es also in der englischen Geschichte nicht gefehlt, und auch Napoleon wäre 1803 nicht davor zurückgeschreckt, wenn ihn nicht die Verhältnisse ans dem Festlande zurückgehalten hätten. Aber auch heute noch würde eine Landung in Eng¬ land und eine Eroberung des Landes gelingen, denn die englische Flotte kann nicht überall sein, und daß sie über deutsche, französische und russische Ge¬ schwader, oder auch nur über eines von ihnen siegen wird, ist keineswegs sicher. Daß aber die englische Landarmee auch nur drei oder vier deutschen Armee¬ korps Widerstand zu leisten vermöchte, das glauben die Engländer selber nicht, und unsre Leser werden es auch nicht glauben, wenn ich ihnen nun auch noch das englische Landheer nach englischen und deutschen Quellen schildere. Da wende ich mich zunächst wieder an Churchill, der in seiner Rede betont, daß er für alle seine Angaben die Verantwortung übernehme. Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/557>, abgerufen am 01.09.2024.