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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Englands Macht

schicdner Art. Zu den neuern Schiffen werden die von 1886 bis 1895, zu
den ältern die von 1865 bis 1886 gebauten und die zwischen 1890 und 1894
umgebauten Schlachtschiffe gerechnet. Im Bau befinden sich noch 4 Panzer¬
schlachtschiffe, 13 Kreuzer und einige kleinere Schiffe. Zum Kanalgeschwader
aber gehören nur 4 Schlachtschiffe, und einschließlich dieser stehen überhaupt
an den Küsten des Vereinigten Königreichs 144 Schiffe aller Art, ohne die
Torpedofahrzengc. Alles übrige ist in den Kolonien verteilt. Das ist freilich
eine gewaltige Flotte, der wir, abgesehen von unsern zahlreichen Torpedo¬
fahrzeugen, im ganzen nur 89 Schiffe und Fahrzeuge, darunter 21 Panzer¬
schiffe, 13 Panzerkanoncnboote und 18 Kreuzer gegenüberzustellen haben. Aber
wenn wir die Angaben Churchills über die Fähigkeit der Schiffe bedenke",
wenn wir ferner aus dem Aussatz von Wislieenus lernen, daß der "Agamemnon"
der englischen Flotte noch hente Vorderladegeschütze führt, wenn wir bedenken,
daß die englische Schiffsmannschaft noch heute durch Werbung ergänzt werden
muß, daß das sogenannte fliegende Geschwader, das England nach der De-
lagoabai entsenden will, um bei weitern Verwicklungen mit Transvaal zur
Stelle zu sein, immer noch nicht fertig und namentlich noch nicht mit der
erforderlichen Mannschaft versehen ist, so braucht man sich vor der englischen
Seemacht nicht allzusehr zu fürchten. Es fällt aber weiter ins Gewicht, das;
Deutschland in einem Seekriege mit England gewiß nicht allein stehen würde,
da ihm Rußland und Frankreich zur Seite sind, der Nvrdvstseekanal die Ver¬
einigung der deutschen und russischen Seestreitkräfte wesentlich erleichtert, und
was vor allem hervorzuheben ist, daß russische, frauzöstsche und namentlich
deutsche Geschwader alljährlich Übungen unternehmen, die ähnlich denen des
Landheeres, Führer und Mannschaften für das Gefecht vorbereiten. Das ist
in England weit weniger der Fall, und nur dadurch erklärt es sich auch, daß
sich bei einer englischen Scedienstübung vor etwa zwei Jahren die beiden Ge¬
schwader, die gegen einander fechten sollten, gar nicht begegneten! Was helfen
also viele und vielleicht auch gute Schiffe, wenn die Kanonen nichts taugen,
die Mannschaften aus allen Ecken zusammengesucht und die Führer mangelhaft
eingeübt sind.

Die Engländer kennen diese Mängel ihrer Seemacht sehr wohl, sie haben
deshalb Deutschlands aufstrebende Macht immer mißtrauisch beobachtet. Das
wissen wir ja am besten aus unsern Kriegen wegen Schleswig-Holstein von
1848 bis 1864. Unverhohlen sprach es in einem Artikel von Palmerstons
Leibjournal, der Norning- 1'o8t vom 6. April 1861, ein Engländer aus, man
dürfe Preußen nicht in den Besitz dieser Länder kommen lassen, weil es da¬
durch den Kieler Hafen, diesen prachtvollsten Kriegshafen und ein Land er¬
werben würde, durch das die Bemannung seiner Schiffe gesichert sei; denn die
Küsten Schleswig-Holsteins wimmelten von tüchtigen Seeleuten. Mir selbst
ist in der Unterhaltung mit einem Engländer aus deu höchsten Kreisen, der


Englands Macht

schicdner Art. Zu den neuern Schiffen werden die von 1886 bis 1895, zu
den ältern die von 1865 bis 1886 gebauten und die zwischen 1890 und 1894
umgebauten Schlachtschiffe gerechnet. Im Bau befinden sich noch 4 Panzer¬
schlachtschiffe, 13 Kreuzer und einige kleinere Schiffe. Zum Kanalgeschwader
aber gehören nur 4 Schlachtschiffe, und einschließlich dieser stehen überhaupt
an den Küsten des Vereinigten Königreichs 144 Schiffe aller Art, ohne die
Torpedofahrzengc. Alles übrige ist in den Kolonien verteilt. Das ist freilich
eine gewaltige Flotte, der wir, abgesehen von unsern zahlreichen Torpedo¬
fahrzeugen, im ganzen nur 89 Schiffe und Fahrzeuge, darunter 21 Panzer¬
schiffe, 13 Panzerkanoncnboote und 18 Kreuzer gegenüberzustellen haben. Aber
wenn wir die Angaben Churchills über die Fähigkeit der Schiffe bedenke»,
wenn wir ferner aus dem Aussatz von Wislieenus lernen, daß der „Agamemnon"
der englischen Flotte noch hente Vorderladegeschütze führt, wenn wir bedenken,
daß die englische Schiffsmannschaft noch heute durch Werbung ergänzt werden
muß, daß das sogenannte fliegende Geschwader, das England nach der De-
lagoabai entsenden will, um bei weitern Verwicklungen mit Transvaal zur
Stelle zu sein, immer noch nicht fertig und namentlich noch nicht mit der
erforderlichen Mannschaft versehen ist, so braucht man sich vor der englischen
Seemacht nicht allzusehr zu fürchten. Es fällt aber weiter ins Gewicht, das;
Deutschland in einem Seekriege mit England gewiß nicht allein stehen würde,
da ihm Rußland und Frankreich zur Seite sind, der Nvrdvstseekanal die Ver¬
einigung der deutschen und russischen Seestreitkräfte wesentlich erleichtert, und
was vor allem hervorzuheben ist, daß russische, frauzöstsche und namentlich
deutsche Geschwader alljährlich Übungen unternehmen, die ähnlich denen des
Landheeres, Führer und Mannschaften für das Gefecht vorbereiten. Das ist
in England weit weniger der Fall, und nur dadurch erklärt es sich auch, daß
sich bei einer englischen Scedienstübung vor etwa zwei Jahren die beiden Ge¬
schwader, die gegen einander fechten sollten, gar nicht begegneten! Was helfen
also viele und vielleicht auch gute Schiffe, wenn die Kanonen nichts taugen,
die Mannschaften aus allen Ecken zusammengesucht und die Führer mangelhaft
eingeübt sind.

Die Engländer kennen diese Mängel ihrer Seemacht sehr wohl, sie haben
deshalb Deutschlands aufstrebende Macht immer mißtrauisch beobachtet. Das
wissen wir ja am besten aus unsern Kriegen wegen Schleswig-Holstein von
1848 bis 1864. Unverhohlen sprach es in einem Artikel von Palmerstons
Leibjournal, der Norning- 1'o8t vom 6. April 1861, ein Engländer aus, man
dürfe Preußen nicht in den Besitz dieser Länder kommen lassen, weil es da¬
durch den Kieler Hafen, diesen prachtvollsten Kriegshafen und ein Land er¬
werben würde, durch das die Bemannung seiner Schiffe gesichert sei; denn die
Küsten Schleswig-Holsteins wimmelten von tüchtigen Seeleuten. Mir selbst
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[0556] Englands Macht schicdner Art. Zu den neuern Schiffen werden die von 1886 bis 1895, zu den ältern die von 1865 bis 1886 gebauten und die zwischen 1890 und 1894 umgebauten Schlachtschiffe gerechnet. Im Bau befinden sich noch 4 Panzer¬ schlachtschiffe, 13 Kreuzer und einige kleinere Schiffe. Zum Kanalgeschwader aber gehören nur 4 Schlachtschiffe, und einschließlich dieser stehen überhaupt an den Küsten des Vereinigten Königreichs 144 Schiffe aller Art, ohne die Torpedofahrzengc. Alles übrige ist in den Kolonien verteilt. Das ist freilich eine gewaltige Flotte, der wir, abgesehen von unsern zahlreichen Torpedo¬ fahrzeugen, im ganzen nur 89 Schiffe und Fahrzeuge, darunter 21 Panzer¬ schiffe, 13 Panzerkanoncnboote und 18 Kreuzer gegenüberzustellen haben. Aber wenn wir die Angaben Churchills über die Fähigkeit der Schiffe bedenke», wenn wir ferner aus dem Aussatz von Wislieenus lernen, daß der „Agamemnon" der englischen Flotte noch hente Vorderladegeschütze führt, wenn wir bedenken, daß die englische Schiffsmannschaft noch heute durch Werbung ergänzt werden muß, daß das sogenannte fliegende Geschwader, das England nach der De- lagoabai entsenden will, um bei weitern Verwicklungen mit Transvaal zur Stelle zu sein, immer noch nicht fertig und namentlich noch nicht mit der erforderlichen Mannschaft versehen ist, so braucht man sich vor der englischen Seemacht nicht allzusehr zu fürchten. Es fällt aber weiter ins Gewicht, das; Deutschland in einem Seekriege mit England gewiß nicht allein stehen würde, da ihm Rußland und Frankreich zur Seite sind, der Nvrdvstseekanal die Ver¬ einigung der deutschen und russischen Seestreitkräfte wesentlich erleichtert, und was vor allem hervorzuheben ist, daß russische, frauzöstsche und namentlich deutsche Geschwader alljährlich Übungen unternehmen, die ähnlich denen des Landheeres, Führer und Mannschaften für das Gefecht vorbereiten. Das ist in England weit weniger der Fall, und nur dadurch erklärt es sich auch, daß sich bei einer englischen Scedienstübung vor etwa zwei Jahren die beiden Ge¬ schwader, die gegen einander fechten sollten, gar nicht begegneten! Was helfen also viele und vielleicht auch gute Schiffe, wenn die Kanonen nichts taugen, die Mannschaften aus allen Ecken zusammengesucht und die Führer mangelhaft eingeübt sind. Die Engländer kennen diese Mängel ihrer Seemacht sehr wohl, sie haben deshalb Deutschlands aufstrebende Macht immer mißtrauisch beobachtet. Das wissen wir ja am besten aus unsern Kriegen wegen Schleswig-Holstein von 1848 bis 1864. Unverhohlen sprach es in einem Artikel von Palmerstons Leibjournal, der Norning- 1'o8t vom 6. April 1861, ein Engländer aus, man dürfe Preußen nicht in den Besitz dieser Länder kommen lassen, weil es da¬ durch den Kieler Hafen, diesen prachtvollsten Kriegshafen und ein Land er¬ werben würde, durch das die Bemannung seiner Schiffe gesichert sei; denn die Küsten Schleswig-Holsteins wimmelten von tüchtigen Seeleuten. Mir selbst ist in der Unterhaltung mit einem Engländer aus deu höchsten Kreisen, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/556>, abgerufen am 23.11.2024.