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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

Demokratie noch die Monarchie, jedes für sich allein, helfen können, so wird
die Verbindung von beiden das beste sein: eine Verfassung, die, ohne die Großen
ohnmächtig und mundtot zu machen, dem gemeinen Volke eine gesetzliche Ver¬
tretung seiner Interessen gewährt, dem Monarchen die Entscheidung vorbehält
und Verwaltung und Negierung unter die Kontrolle einer durch keine Polizei-
und Justizchikanen beschränkten Öffentlichkeit stellt. Die Erhaltung des deutschen
Bauernstandes verdanken wir ohne Zweifel hauptsächlich zwei Umständen:
dem Fehlen einer herrschenden Aristokratie in den letzten Jahrhunderten und
der kontinentalen, zur Unterhaltung stehender Heere zwingenden Lage unsers
Landes. Die deutschen Krautjunker waren zu arm und zu unwissend, eine
ganz Deutschland umfassende organisirte politische Macht bilden zu können;
kaum daß der Adel einer kleinen Landschaft fest zusammenhielt. Die großen
deutschen Adlichen aber wurden Souveräne und kamen dadurch zu ihren Bauern
in ein ganz andres Verhältnis als die englischen Lords; während diese auf
privatwirtschaftliche Ausnützung ihres Bodens angewiesen waren und die
Bauern als Konkurrenten Vertrieben, mußten sich die kleinen deutschen Sou¬
veräne auf ihre Bauern als auf Steuerzahler, Soldaten und Pferdezüchter
stützen und auf deren Erhaltung bedacht sein. Am meisten Energie haben darauf
bekanntlich die Hohenzollern verwandt, in deren Gebieten es auch am nötigsten
war; ist es ihnen doch trotz aller aufgewandten Mühe nicht gelungen, zu ver¬
hüten, daß wenigstens strichweise, in Pommern, in Ost- und Westpreußen, in
Posen, in einem Teile Oberschlesiens annähernd englische Zustände entstanden
sind. In England ist es mit dem Bauernstande reißend bergab gegangen
von der Zeit an, wo man keine Landmacht mehr brauchte, weder für Kriege
gegen Frankreich, noch für Bürgerkriege, und wo die Aristokratie dem König
alle Macht nahm. Es ist aber wohl zu beachten, daß die englischen Aristo¬
kraten eben unter dem starken Königtum, das sie hinderte, Souveräne zu werden,
das geworden sind, was sie zu einem Landschaden gemacht hat: Großgrund¬
besitzer, und daß die Dinge bei uns in Deutschland ganz ebenso, nur der Zeit¬
folge nach umgekehrt, verlaufen können. Das heißt, nachdem die ehemaligen
kleinen Souveräne zu bloßen Großgrundbesitzern herabgedrückt worden sind,
können sie sich durch privatwirtschaftliche Ausbeutung ihres Besitzes schadlos
halten und den Bauernstand, an dessen Erhaltung sie kein unmittelbares Inter¬
esse mehr haben, vernichten.

Das wären so die hauptsächlichsten unsrer Ansichten, die wir bei Hasbach
bestätigt finden. Über den eigentlichen Gegenstand seiner Arbeit mögen sich
die Leser aus dem Buche selbst unterrichten. Wir beschränken uns hier auf
ein paar Bemerkungen. Das eigentümliche des englischen Arbeiterwesens im
vorigen Jahrhundert und im Beginn des laufenden besteht in seiner Verquickung
mit dem Armenwesen. Der vom Boden losgelöste Arme ist vimxsr, Kirch¬
spielarmer. Das Kirchspiel ist zu seiner Erhaltung verpflichtet und gewährt


Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

Demokratie noch die Monarchie, jedes für sich allein, helfen können, so wird
die Verbindung von beiden das beste sein: eine Verfassung, die, ohne die Großen
ohnmächtig und mundtot zu machen, dem gemeinen Volke eine gesetzliche Ver¬
tretung seiner Interessen gewährt, dem Monarchen die Entscheidung vorbehält
und Verwaltung und Negierung unter die Kontrolle einer durch keine Polizei-
und Justizchikanen beschränkten Öffentlichkeit stellt. Die Erhaltung des deutschen
Bauernstandes verdanken wir ohne Zweifel hauptsächlich zwei Umständen:
dem Fehlen einer herrschenden Aristokratie in den letzten Jahrhunderten und
der kontinentalen, zur Unterhaltung stehender Heere zwingenden Lage unsers
Landes. Die deutschen Krautjunker waren zu arm und zu unwissend, eine
ganz Deutschland umfassende organisirte politische Macht bilden zu können;
kaum daß der Adel einer kleinen Landschaft fest zusammenhielt. Die großen
deutschen Adlichen aber wurden Souveräne und kamen dadurch zu ihren Bauern
in ein ganz andres Verhältnis als die englischen Lords; während diese auf
privatwirtschaftliche Ausnützung ihres Bodens angewiesen waren und die
Bauern als Konkurrenten Vertrieben, mußten sich die kleinen deutschen Sou¬
veräne auf ihre Bauern als auf Steuerzahler, Soldaten und Pferdezüchter
stützen und auf deren Erhaltung bedacht sein. Am meisten Energie haben darauf
bekanntlich die Hohenzollern verwandt, in deren Gebieten es auch am nötigsten
war; ist es ihnen doch trotz aller aufgewandten Mühe nicht gelungen, zu ver¬
hüten, daß wenigstens strichweise, in Pommern, in Ost- und Westpreußen, in
Posen, in einem Teile Oberschlesiens annähernd englische Zustände entstanden
sind. In England ist es mit dem Bauernstande reißend bergab gegangen
von der Zeit an, wo man keine Landmacht mehr brauchte, weder für Kriege
gegen Frankreich, noch für Bürgerkriege, und wo die Aristokratie dem König
alle Macht nahm. Es ist aber wohl zu beachten, daß die englischen Aristo¬
kraten eben unter dem starken Königtum, das sie hinderte, Souveräne zu werden,
das geworden sind, was sie zu einem Landschaden gemacht hat: Großgrund¬
besitzer, und daß die Dinge bei uns in Deutschland ganz ebenso, nur der Zeit¬
folge nach umgekehrt, verlaufen können. Das heißt, nachdem die ehemaligen
kleinen Souveräne zu bloßen Großgrundbesitzern herabgedrückt worden sind,
können sie sich durch privatwirtschaftliche Ausbeutung ihres Besitzes schadlos
halten und den Bauernstand, an dessen Erhaltung sie kein unmittelbares Inter¬
esse mehr haben, vernichten.

Das wären so die hauptsächlichsten unsrer Ansichten, die wir bei Hasbach
bestätigt finden. Über den eigentlichen Gegenstand seiner Arbeit mögen sich
die Leser aus dem Buche selbst unterrichten. Wir beschränken uns hier auf
ein paar Bemerkungen. Das eigentümliche des englischen Arbeiterwesens im
vorigen Jahrhundert und im Beginn des laufenden besteht in seiner Verquickung
mit dem Armenwesen. Der vom Boden losgelöste Arme ist vimxsr, Kirch¬
spielarmer. Das Kirchspiel ist zu seiner Erhaltung verpflichtet und gewährt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/516>, abgerufen am 01.09.2024.