Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

sammenziehung von Landgütern übrig gemachten Menschen müssen in den
Städten zusammenströmen, und dort könnten sie nicht leben, wenn keine Gro߬
betriebe bestünden, die ihnen die Nahrungsmittel nachschickten. Das geht bis
zu dem oben bezeichneten Punkte, den England längst überschritten hat, indem
es aus den angeführten zwei Gründen der ausländischen Nahrungsmitteleinfuhr
bedarf, sodaß für die Jndustriebevölkerung dieses Landes der inländische land¬
wirtschaftliche Großbetrieb heute eigentlich nicht mehr nötig ist. Also der
Großbetrieb erzeugt dieselbe Lebensmittelmasse auf derselben Fläche mit weniger
Menschen, aber er erzeugt auf dieser selben Flüche nicht mehr Nahrungsmittel,
sondern oft weniger als der Kleinbetrieb. Was dem Kleinbetrieb an Kunst¬
mitteln der modernen Ackerbautechnik etwa abgehen mag, das wird reichlich
aufgewogen durch die jedem Fleckchen Acker zugewendete sorgfältige und an¬
haltende Arbeit. Mungs Ausspruch, daß eigner Grundbesitz (und schon ge¬
sicherte Kleinpacht) Sand in Gold verwandle, hat sich noch stets, namentlich
sehr deutlich in England bewährt. Es ist wahr, daß der Kleinbauer nicht
solches Prachtvieh erzeugt wie der rationelle Großwirt (Prachtvieh bloß vom
Standpunkte des allein auf hohen Gelderlös sehenden Kapitalisten aus; an
sich sind die intelligente, frei weidende Alpenkuh und die Kuh des kleinen
Mannes, die ihm als treue Freundin den Acker bestellen hilft und selbst das
nur mäßig gemästete Schwein des armen Mannes weit erfreulichere und in
der Stufenleiter der lebenden Wesen höher stehende Geschöpfe als die im Stall
gezüchtete Kuh des Großguts, die bloß als Milchbereitungsmaschine behandelt
wird, und der unförmige Fettklumpen, der ursprünglich ein Schwein gewesen
ist). Aber dafür war das Vieh vor der Vernichtung der kleinen Wirtschaften
und vor Einhegung der Gemeinweiden weit zahlreicher als jetzt. Jeder tage¬
löhnernde Ackerhäusler hatte seine Kuh, seine paar Schweine, Ziegen, Schafe
und vor allem sein Geflügel; es gab in ganz England keinen kleinen Mann,
der nicht seine gebratnen Tauben, Enten und Gänse, seine Eier und Milch
für seine Kinder gehabt hätte. Heute wäre beim armen Engländer der bloße
Gedanke an Geflügelbraten lächerlich, und statt der Milch hat er schlechten
Thee. Alle diese schönen Dinge wachsen nicht mehr für ihre Pfleger, sondern
werden nur noch "für den Markt produzirt."

Siebentens bestätigt Hasbachs Darstellung unsre Ansicht, daß die Aristo¬
kratie, gleichviel ob die Herrschenden Großgrundbesitzer, Großindustrielle, Gro߬
händler, Finanzbarone oder eine Beamtenkaste oder eine Mischung von cilledem
sind, die schlechteste Regierungsform ist. Die Masse des Volks besteht immer
aus Armen und aus Wenigbemittelten, und da deren Interesse im Gegensatz
zu dem der Reichen und Vornehmen steht, so befindet sich, wenn diese herrschen,
das Volkswohl in den Händen seiner Gegner. Das natürlichste wäre, das;
das gemeine Volk seine Angelegenheiten selbst ordnete. Aus bekannten Gründen
ist das jedoch bloß in kleinen Vauernstaaten möglich, wie heute noch die


Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England

sammenziehung von Landgütern übrig gemachten Menschen müssen in den
Städten zusammenströmen, und dort könnten sie nicht leben, wenn keine Gro߬
betriebe bestünden, die ihnen die Nahrungsmittel nachschickten. Das geht bis
zu dem oben bezeichneten Punkte, den England längst überschritten hat, indem
es aus den angeführten zwei Gründen der ausländischen Nahrungsmitteleinfuhr
bedarf, sodaß für die Jndustriebevölkerung dieses Landes der inländische land¬
wirtschaftliche Großbetrieb heute eigentlich nicht mehr nötig ist. Also der
Großbetrieb erzeugt dieselbe Lebensmittelmasse auf derselben Fläche mit weniger
Menschen, aber er erzeugt auf dieser selben Flüche nicht mehr Nahrungsmittel,
sondern oft weniger als der Kleinbetrieb. Was dem Kleinbetrieb an Kunst¬
mitteln der modernen Ackerbautechnik etwa abgehen mag, das wird reichlich
aufgewogen durch die jedem Fleckchen Acker zugewendete sorgfältige und an¬
haltende Arbeit. Mungs Ausspruch, daß eigner Grundbesitz (und schon ge¬
sicherte Kleinpacht) Sand in Gold verwandle, hat sich noch stets, namentlich
sehr deutlich in England bewährt. Es ist wahr, daß der Kleinbauer nicht
solches Prachtvieh erzeugt wie der rationelle Großwirt (Prachtvieh bloß vom
Standpunkte des allein auf hohen Gelderlös sehenden Kapitalisten aus; an
sich sind die intelligente, frei weidende Alpenkuh und die Kuh des kleinen
Mannes, die ihm als treue Freundin den Acker bestellen hilft und selbst das
nur mäßig gemästete Schwein des armen Mannes weit erfreulichere und in
der Stufenleiter der lebenden Wesen höher stehende Geschöpfe als die im Stall
gezüchtete Kuh des Großguts, die bloß als Milchbereitungsmaschine behandelt
wird, und der unförmige Fettklumpen, der ursprünglich ein Schwein gewesen
ist). Aber dafür war das Vieh vor der Vernichtung der kleinen Wirtschaften
und vor Einhegung der Gemeinweiden weit zahlreicher als jetzt. Jeder tage¬
löhnernde Ackerhäusler hatte seine Kuh, seine paar Schweine, Ziegen, Schafe
und vor allem sein Geflügel; es gab in ganz England keinen kleinen Mann,
der nicht seine gebratnen Tauben, Enten und Gänse, seine Eier und Milch
für seine Kinder gehabt hätte. Heute wäre beim armen Engländer der bloße
Gedanke an Geflügelbraten lächerlich, und statt der Milch hat er schlechten
Thee. Alle diese schönen Dinge wachsen nicht mehr für ihre Pfleger, sondern
werden nur noch „für den Markt produzirt."

Siebentens bestätigt Hasbachs Darstellung unsre Ansicht, daß die Aristo¬
kratie, gleichviel ob die Herrschenden Großgrundbesitzer, Großindustrielle, Gro߬
händler, Finanzbarone oder eine Beamtenkaste oder eine Mischung von cilledem
sind, die schlechteste Regierungsform ist. Die Masse des Volks besteht immer
aus Armen und aus Wenigbemittelten, und da deren Interesse im Gegensatz
zu dem der Reichen und Vornehmen steht, so befindet sich, wenn diese herrschen,
das Volkswohl in den Händen seiner Gegner. Das natürlichste wäre, das;
das gemeine Volk seine Angelegenheiten selbst ordnete. Aus bekannten Gründen
ist das jedoch bloß in kleinen Vauernstaaten möglich, wie heute noch die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222160"/>
          <fw type="header" place="top"> Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1712" prev="#ID_1711"> sammenziehung von Landgütern übrig gemachten Menschen müssen in den<lb/>
Städten zusammenströmen, und dort könnten sie nicht leben, wenn keine Gro߬<lb/>
betriebe bestünden, die ihnen die Nahrungsmittel nachschickten. Das geht bis<lb/>
zu dem oben bezeichneten Punkte, den England längst überschritten hat, indem<lb/>
es aus den angeführten zwei Gründen der ausländischen Nahrungsmitteleinfuhr<lb/>
bedarf, sodaß für die Jndustriebevölkerung dieses Landes der inländische land¬<lb/>
wirtschaftliche Großbetrieb heute eigentlich nicht mehr nötig ist. Also der<lb/>
Großbetrieb erzeugt dieselbe Lebensmittelmasse auf derselben Fläche mit weniger<lb/>
Menschen, aber er erzeugt auf dieser selben Flüche nicht mehr Nahrungsmittel,<lb/>
sondern oft weniger als der Kleinbetrieb. Was dem Kleinbetrieb an Kunst¬<lb/>
mitteln der modernen Ackerbautechnik etwa abgehen mag, das wird reichlich<lb/>
aufgewogen durch die jedem Fleckchen Acker zugewendete sorgfältige und an¬<lb/>
haltende Arbeit. Mungs Ausspruch, daß eigner Grundbesitz (und schon ge¬<lb/>
sicherte Kleinpacht) Sand in Gold verwandle, hat sich noch stets, namentlich<lb/>
sehr deutlich in England bewährt. Es ist wahr, daß der Kleinbauer nicht<lb/>
solches Prachtvieh erzeugt wie der rationelle Großwirt (Prachtvieh bloß vom<lb/>
Standpunkte des allein auf hohen Gelderlös sehenden Kapitalisten aus; an<lb/>
sich sind die intelligente, frei weidende Alpenkuh und die Kuh des kleinen<lb/>
Mannes, die ihm als treue Freundin den Acker bestellen hilft und selbst das<lb/>
nur mäßig gemästete Schwein des armen Mannes weit erfreulichere und in<lb/>
der Stufenleiter der lebenden Wesen höher stehende Geschöpfe als die im Stall<lb/>
gezüchtete Kuh des Großguts, die bloß als Milchbereitungsmaschine behandelt<lb/>
wird, und der unförmige Fettklumpen, der ursprünglich ein Schwein gewesen<lb/>
ist). Aber dafür war das Vieh vor der Vernichtung der kleinen Wirtschaften<lb/>
und vor Einhegung der Gemeinweiden weit zahlreicher als jetzt. Jeder tage¬<lb/>
löhnernde Ackerhäusler hatte seine Kuh, seine paar Schweine, Ziegen, Schafe<lb/>
und vor allem sein Geflügel; es gab in ganz England keinen kleinen Mann,<lb/>
der nicht seine gebratnen Tauben, Enten und Gänse, seine Eier und Milch<lb/>
für seine Kinder gehabt hätte. Heute wäre beim armen Engländer der bloße<lb/>
Gedanke an Geflügelbraten lächerlich, und statt der Milch hat er schlechten<lb/>
Thee. Alle diese schönen Dinge wachsen nicht mehr für ihre Pfleger, sondern<lb/>
werden nur noch &#x201E;für den Markt produzirt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1713" next="#ID_1714"> Siebentens bestätigt Hasbachs Darstellung unsre Ansicht, daß die Aristo¬<lb/>
kratie, gleichviel ob die Herrschenden Großgrundbesitzer, Großindustrielle, Gro߬<lb/>
händler, Finanzbarone oder eine Beamtenkaste oder eine Mischung von cilledem<lb/>
sind, die schlechteste Regierungsform ist. Die Masse des Volks besteht immer<lb/>
aus Armen und aus Wenigbemittelten, und da deren Interesse im Gegensatz<lb/>
zu dem der Reichen und Vornehmen steht, so befindet sich, wenn diese herrschen,<lb/>
das Volkswohl in den Händen seiner Gegner. Das natürlichste wäre, das;<lb/>
das gemeine Volk seine Angelegenheiten selbst ordnete. Aus bekannten Gründen<lb/>
ist das jedoch bloß in kleinen Vauernstaaten möglich, wie heute noch die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0514] Grundbesitz, Landwirtschaft und Landarbeiter in England sammenziehung von Landgütern übrig gemachten Menschen müssen in den Städten zusammenströmen, und dort könnten sie nicht leben, wenn keine Gro߬ betriebe bestünden, die ihnen die Nahrungsmittel nachschickten. Das geht bis zu dem oben bezeichneten Punkte, den England längst überschritten hat, indem es aus den angeführten zwei Gründen der ausländischen Nahrungsmitteleinfuhr bedarf, sodaß für die Jndustriebevölkerung dieses Landes der inländische land¬ wirtschaftliche Großbetrieb heute eigentlich nicht mehr nötig ist. Also der Großbetrieb erzeugt dieselbe Lebensmittelmasse auf derselben Fläche mit weniger Menschen, aber er erzeugt auf dieser selben Flüche nicht mehr Nahrungsmittel, sondern oft weniger als der Kleinbetrieb. Was dem Kleinbetrieb an Kunst¬ mitteln der modernen Ackerbautechnik etwa abgehen mag, das wird reichlich aufgewogen durch die jedem Fleckchen Acker zugewendete sorgfältige und an¬ haltende Arbeit. Mungs Ausspruch, daß eigner Grundbesitz (und schon ge¬ sicherte Kleinpacht) Sand in Gold verwandle, hat sich noch stets, namentlich sehr deutlich in England bewährt. Es ist wahr, daß der Kleinbauer nicht solches Prachtvieh erzeugt wie der rationelle Großwirt (Prachtvieh bloß vom Standpunkte des allein auf hohen Gelderlös sehenden Kapitalisten aus; an sich sind die intelligente, frei weidende Alpenkuh und die Kuh des kleinen Mannes, die ihm als treue Freundin den Acker bestellen hilft und selbst das nur mäßig gemästete Schwein des armen Mannes weit erfreulichere und in der Stufenleiter der lebenden Wesen höher stehende Geschöpfe als die im Stall gezüchtete Kuh des Großguts, die bloß als Milchbereitungsmaschine behandelt wird, und der unförmige Fettklumpen, der ursprünglich ein Schwein gewesen ist). Aber dafür war das Vieh vor der Vernichtung der kleinen Wirtschaften und vor Einhegung der Gemeinweiden weit zahlreicher als jetzt. Jeder tage¬ löhnernde Ackerhäusler hatte seine Kuh, seine paar Schweine, Ziegen, Schafe und vor allem sein Geflügel; es gab in ganz England keinen kleinen Mann, der nicht seine gebratnen Tauben, Enten und Gänse, seine Eier und Milch für seine Kinder gehabt hätte. Heute wäre beim armen Engländer der bloße Gedanke an Geflügelbraten lächerlich, und statt der Milch hat er schlechten Thee. Alle diese schönen Dinge wachsen nicht mehr für ihre Pfleger, sondern werden nur noch „für den Markt produzirt." Siebentens bestätigt Hasbachs Darstellung unsre Ansicht, daß die Aristo¬ kratie, gleichviel ob die Herrschenden Großgrundbesitzer, Großindustrielle, Gro߬ händler, Finanzbarone oder eine Beamtenkaste oder eine Mischung von cilledem sind, die schlechteste Regierungsform ist. Die Masse des Volks besteht immer aus Armen und aus Wenigbemittelten, und da deren Interesse im Gegensatz zu dem der Reichen und Vornehmen steht, so befindet sich, wenn diese herrschen, das Volkswohl in den Händen seiner Gegner. Das natürlichste wäre, das; das gemeine Volk seine Angelegenheiten selbst ordnete. Aus bekannten Gründen ist das jedoch bloß in kleinen Vauernstaaten möglich, wie heute noch die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/514
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/514>, abgerufen am 01.09.2024.