Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.Litteratur Die soziale Lage der deutschen Ärzte und ihre Verbesserung durch die Verstaat¬ Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß es sich in allen Ständen regt, So sehr wie wir aber den Grundgedanken der vorliegenden Arbeit, die ein¬ Trotz dieser Einwände wünschen wir dem fiir seinen Stand begeisterten Verfasser Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig Litteratur Die soziale Lage der deutschen Ärzte und ihre Verbesserung durch die Verstaat¬ Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß es sich in allen Ständen regt, So sehr wie wir aber den Grundgedanken der vorliegenden Arbeit, die ein¬ Trotz dieser Einwände wünschen wir dem fiir seinen Stand begeisterten Verfasser Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0504" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222150"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <p xml:id="ID_1693"> Die soziale Lage der deutschen Ärzte und ihre Verbesserung durch die Verstaat¬<lb/> lichung der kassenärzilichcn Praxis mit Einschluß aller Familienangehörigen. Von Dr. oval.<lb/> Ed. Trilling. Leipzig, Gustav Font, 1395</p><lb/> <p xml:id="ID_1694"> Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß es sich in allen Ständen regt,<lb/> um für den eignen Stand bessere Lebensbedingungen zu erkämpfen unter gleich¬<lb/> zeitiger Berücksichtigung der Bedürfnisse andrer oder des Ganzen. In diesem Sinne<lb/> will anch die bortreffliche Schrift Trillings wirken. Der Verfasser schildert die<lb/> Nöte der ärztlichen Standes in oft recht kräftiger Weise und weist mit berechtigter<lb/> Schärfe auf die Gefahr für die Allgemeinheit hin, die in einem Niedergange des<lb/> ärztlichen Standes liegen würde. Er will die Folgen übermäßiger Konkurrenz und<lb/> besonders der Abhängigkeit gewisser ärzlicher Kreise von den oft nur halbgebildeter,<lb/> oft geradezu sozialdemokratischen Mitgliedern der Krankenkassenvorstände beseitigen<lb/> durch die Verstaatlichung der kassenärzlichen Praxis. Den von ihm vorgeschlagnen<lb/> Einschluß aller Familienangehörigen können wir nicht billigen, da wir, so not¬<lb/> wendig uns die staatliche Fürsorge für die Erhaltung des erkrankten und erwerbs¬<lb/> unfähigen Familicnernährers erscheint, doch davor warnen müssen, dem Arbeiter<lb/> jegliche eigne Willensbethätigung zur Bewahrung seiner Familie vor Not und Elend<lb/> abzunehmen. Wir thun nicht nnr gut, solche Geschwindschritte in den kommunistischen<lb/> Staat hinein möglichst zu vermeiden, sondern wir müssen uns auch hüten, die<lb/> Charakterentwicklung des Einzelnen, die durch unsre ganze heutige raschlebige Zeit<lb/> sowieso schon Einbuße genug erleidet, durch übermäßige Bevormundung noch mehr<lb/> zu schwächen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1695"> So sehr wie wir aber den Grundgedanken der vorliegenden Arbeit, die ein¬<lb/> heitliche staatliche Zusammenfassung der Krankenversicherung, billigen, so wenig können<lb/> wir dem Verfasser folgen in seinen Ausführungen über die Art des Verhältnisses,<lb/> in das die Ärzte zu dieser Staalskrankenknsse treten würden. Sein Vorschlag, den<lb/> Ärzten, die an der Krankenkasse teilzunehmen wünschten — und das würden bei<lb/> der Niesenausdehnung der Versicherung, mit Ausnahme einiger Koryphäen der<lb/> Wissenschaft, wohl sämtliche deutsche Ärzte sein —, zu gleichen Teilen, unabhängig<lb/> von ihren Leistungen, ein einmal festgesetztes Honorar, gleichsam eine staatlich ver¬<lb/> bürgte Einnahme zuzusichern, mag ja manchem dnrch die Natur und die Verhältnisse<lb/> zurückgesetzten, auch manchem trägen und nachlässigen Arzte wie Engelsmusik in den<lb/> Ohren klingen; der ganze Vorschlag sieht aber dem Antrag Kanitz so ähnlich, wie<lb/> ein El dem andern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1696"> Trotz dieser Einwände wünschen wir dem fiir seinen Stand begeisterten Verfasser<lb/> zahlreiche Leser und empfehlen seine Schrift unsern ärztlichen Freunden, wie auch<lb/> den Verwaltungsbeamten und Abgeordneten, die sich für den Gegenstand interessiren,<lb/> ganz besonders aber auch Herrn Staatsminister von Bötticher, der daraus vielleicht<lb/> manche Belehrung über den Wert des Kurpfuschertums im Verhältnis zur Thätigkeit<lb/> unsrer staatlich approbirtcn Ärzte schöpfen wird.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0504]
Litteratur
Die soziale Lage der deutschen Ärzte und ihre Verbesserung durch die Verstaat¬
lichung der kassenärzilichcn Praxis mit Einschluß aller Familienangehörigen. Von Dr. oval.
Ed. Trilling. Leipzig, Gustav Font, 1395
Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß es sich in allen Ständen regt,
um für den eignen Stand bessere Lebensbedingungen zu erkämpfen unter gleich¬
zeitiger Berücksichtigung der Bedürfnisse andrer oder des Ganzen. In diesem Sinne
will anch die bortreffliche Schrift Trillings wirken. Der Verfasser schildert die
Nöte der ärztlichen Standes in oft recht kräftiger Weise und weist mit berechtigter
Schärfe auf die Gefahr für die Allgemeinheit hin, die in einem Niedergange des
ärztlichen Standes liegen würde. Er will die Folgen übermäßiger Konkurrenz und
besonders der Abhängigkeit gewisser ärzlicher Kreise von den oft nur halbgebildeter,
oft geradezu sozialdemokratischen Mitgliedern der Krankenkassenvorstände beseitigen
durch die Verstaatlichung der kassenärzlichen Praxis. Den von ihm vorgeschlagnen
Einschluß aller Familienangehörigen können wir nicht billigen, da wir, so not¬
wendig uns die staatliche Fürsorge für die Erhaltung des erkrankten und erwerbs¬
unfähigen Familicnernährers erscheint, doch davor warnen müssen, dem Arbeiter
jegliche eigne Willensbethätigung zur Bewahrung seiner Familie vor Not und Elend
abzunehmen. Wir thun nicht nnr gut, solche Geschwindschritte in den kommunistischen
Staat hinein möglichst zu vermeiden, sondern wir müssen uns auch hüten, die
Charakterentwicklung des Einzelnen, die durch unsre ganze heutige raschlebige Zeit
sowieso schon Einbuße genug erleidet, durch übermäßige Bevormundung noch mehr
zu schwächen.
So sehr wie wir aber den Grundgedanken der vorliegenden Arbeit, die ein¬
heitliche staatliche Zusammenfassung der Krankenversicherung, billigen, so wenig können
wir dem Verfasser folgen in seinen Ausführungen über die Art des Verhältnisses,
in das die Ärzte zu dieser Staalskrankenknsse treten würden. Sein Vorschlag, den
Ärzten, die an der Krankenkasse teilzunehmen wünschten — und das würden bei
der Niesenausdehnung der Versicherung, mit Ausnahme einiger Koryphäen der
Wissenschaft, wohl sämtliche deutsche Ärzte sein —, zu gleichen Teilen, unabhängig
von ihren Leistungen, ein einmal festgesetztes Honorar, gleichsam eine staatlich ver¬
bürgte Einnahme zuzusichern, mag ja manchem dnrch die Natur und die Verhältnisse
zurückgesetzten, auch manchem trägen und nachlässigen Arzte wie Engelsmusik in den
Ohren klingen; der ganze Vorschlag sieht aber dem Antrag Kanitz so ähnlich, wie
ein El dem andern.
Trotz dieser Einwände wünschen wir dem fiir seinen Stand begeisterten Verfasser
zahlreiche Leser und empfehlen seine Schrift unsern ärztlichen Freunden, wie auch
den Verwaltungsbeamten und Abgeordneten, die sich für den Gegenstand interessiren,
ganz besonders aber auch Herrn Staatsminister von Bötticher, der daraus vielleicht
manche Belehrung über den Wert des Kurpfuschertums im Verhältnis zur Thätigkeit
unsrer staatlich approbirtcn Ärzte schöpfen wird.
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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