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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die erste Liebe

thun, und was sie nicht thun soll. Denn sie machte mich häufig Schulden. Ihren
Man aber schien sie niemals nötig zu haben, weder bei ihren guten noch bei ihren
anfechtbaren Thaten, und deshalb hatten sich alle ihre Bekannten daran gewohnt,
sie ohne ihn einzuladen und ihn niemals bei ihr im Hause zu sehen. Auf der andern
Seite sprach der Stammtisch, an dem der Baron die Hälfte seines Tages verbrachte,
niemals von der Baronin. Aber es gab niemand in der kleinen Stadt, der sich
nicht längst um die beiden Menschen gewöhnt gehabt hätte. Sie waren eben nicht
eins, sondern zwei ganz getrennte Persönlichkeiten, und das erfuhren insbesondre
manchmal die Kaufleute, wenn sie sich etwa an den Baron wandten, um eine Rech¬
nung seiner Frau Gemahlin bezahlt zu bekommen. Er drehte dann sehr nachdenklich
seinen tiefschwarzen Schnurbart und räusperte sich.

Also wieder nicht bezahlt! Wenn ich meine Frau gelegentlich sehe, lieber Herr
Meier, dann will ich es ihr sagen. Ich mache mir einen Knoten ins Taschentuch,
sehen Sie?

Aber der Knoten im Taschentuch half doch nichts, er sagte ihr niemals etwas,
und die Lieferanten mußten schon die Baronin selbst aufsuchen.

Sie wurden dann sehr freundlich angenommen. Ach bitte, sehen Sie sich doch!
Wollen Sie nicht eine Cigarre? Es ist eine gute Sorte -- von Ihnen selbst! Ach,
dabei fällt mir ein, ich habe sie wohl noch gar nicht bezahlt! Wie leichtsinnig! Sind
Sie mir böse?

Der Schuldner war schon lange nicht mehr böse. Er ärgerte sich nur, daß er
nicht den hundertsten Mahnbrief geschrieben hatte, anstatt sich dem Klänge dieser
frischen Stimme und dem harmlos freundlichen Blick dieser Augen auszusetzen. Die
Baronin hatte eine merkwürdig jugendliche Stimme, obgleich sie über vierzig Jahre
alt war. Nun kniete sie vor einem kleinen Schrank nieder, aus dem beim Öffnen
alles mögliche hervorquoll, und holte ganz von unten ein verstaubtes Bild hervor.

Sehen Sie, das ist eine Viehherde, die habe ich gemalt! Sie müssen es nicht
verkehrt halten, dann ist es nicht zu erkennen; aber wenn Sie es gerade vor sich
Hinhalten und das Licht hell darauf fallen lassen, werden Sie doch die Kühe darauf
fehen können! Ich werde das Bild fertig malen und es zu verkaufen suchen. Nicht
wahr, Herr Meier, so lange darf ich noch mit der Bezahlung der alten, dummen
Rechnung warten? Oder muß ich die alten Tassen dort überm Kamin verkaufen?
Sie sind das letzte Andenken von meiner Großmutter!

Nein, erwiderte Herr Meier, die Baronin mochte die Tassen nicht verkaufen. Herr
Meier kam sich Plötzlich wie ein Barbar vor; denn es fiel ihm ein, daß die Baronin
vor einigen Wochen seinen kleinen Jungen auf der Straße mit einem Loch in, Kopfe
gefunden, ihn mitgenommen, ihn gewaschen und verbunden hatte. Weil er zornig
auf Frau von Ravenstein war, hatte er sich nicht bedankt; um stotterte er seinen
Dank und murmelte dabei, daß er gern einen Strich durch die Rechnung machen
wolle, wenn nur keine neuen Schulden ausliefen.

Die Baronin lächelte, ihre kleine Gestalt richtete sich aber sehr gerade in die Höhe.°

Oh, Sie bekommen Ihr Geld schon, sagte sie mit einer Handbewegung. Es
war nämlich einer von den Widersprüchen in ihrem Eharnkter, daß sie sich nichts
schenken lassen wollte, trotz ihrer Neigung zum Schuld eumachen; und wirklich, nach
einiger Zeit bezahlte sie ihre Rechnung. Der Antiquitätenhändler in Frankfurt wußte,
wie sie es machte, und Herr Bieter ärgerte sich, daß er sie gemahnt hatte.

So war es immer mit Fran von Ravenstein. Die Leute fanden allerhand an
ihr auszusetzen, und sie hatte auch ihre unleugbaren Schwächen; aber jeder, der
mit ihr in Berührung kam, mußte ihr doch zugethan sein.


Die erste Liebe

thun, und was sie nicht thun soll. Denn sie machte mich häufig Schulden. Ihren
Man aber schien sie niemals nötig zu haben, weder bei ihren guten noch bei ihren
anfechtbaren Thaten, und deshalb hatten sich alle ihre Bekannten daran gewohnt,
sie ohne ihn einzuladen und ihn niemals bei ihr im Hause zu sehen. Auf der andern
Seite sprach der Stammtisch, an dem der Baron die Hälfte seines Tages verbrachte,
niemals von der Baronin. Aber es gab niemand in der kleinen Stadt, der sich
nicht längst um die beiden Menschen gewöhnt gehabt hätte. Sie waren eben nicht
eins, sondern zwei ganz getrennte Persönlichkeiten, und das erfuhren insbesondre
manchmal die Kaufleute, wenn sie sich etwa an den Baron wandten, um eine Rech¬
nung seiner Frau Gemahlin bezahlt zu bekommen. Er drehte dann sehr nachdenklich
seinen tiefschwarzen Schnurbart und räusperte sich.

Also wieder nicht bezahlt! Wenn ich meine Frau gelegentlich sehe, lieber Herr
Meier, dann will ich es ihr sagen. Ich mache mir einen Knoten ins Taschentuch,
sehen Sie?

Aber der Knoten im Taschentuch half doch nichts, er sagte ihr niemals etwas,
und die Lieferanten mußten schon die Baronin selbst aufsuchen.

Sie wurden dann sehr freundlich angenommen. Ach bitte, sehen Sie sich doch!
Wollen Sie nicht eine Cigarre? Es ist eine gute Sorte — von Ihnen selbst! Ach,
dabei fällt mir ein, ich habe sie wohl noch gar nicht bezahlt! Wie leichtsinnig! Sind
Sie mir böse?

Der Schuldner war schon lange nicht mehr böse. Er ärgerte sich nur, daß er
nicht den hundertsten Mahnbrief geschrieben hatte, anstatt sich dem Klänge dieser
frischen Stimme und dem harmlos freundlichen Blick dieser Augen auszusetzen. Die
Baronin hatte eine merkwürdig jugendliche Stimme, obgleich sie über vierzig Jahre
alt war. Nun kniete sie vor einem kleinen Schrank nieder, aus dem beim Öffnen
alles mögliche hervorquoll, und holte ganz von unten ein verstaubtes Bild hervor.

Sehen Sie, das ist eine Viehherde, die habe ich gemalt! Sie müssen es nicht
verkehrt halten, dann ist es nicht zu erkennen; aber wenn Sie es gerade vor sich
Hinhalten und das Licht hell darauf fallen lassen, werden Sie doch die Kühe darauf
fehen können! Ich werde das Bild fertig malen und es zu verkaufen suchen. Nicht
wahr, Herr Meier, so lange darf ich noch mit der Bezahlung der alten, dummen
Rechnung warten? Oder muß ich die alten Tassen dort überm Kamin verkaufen?
Sie sind das letzte Andenken von meiner Großmutter!

Nein, erwiderte Herr Meier, die Baronin mochte die Tassen nicht verkaufen. Herr
Meier kam sich Plötzlich wie ein Barbar vor; denn es fiel ihm ein, daß die Baronin
vor einigen Wochen seinen kleinen Jungen auf der Straße mit einem Loch in, Kopfe
gefunden, ihn mitgenommen, ihn gewaschen und verbunden hatte. Weil er zornig
auf Frau von Ravenstein war, hatte er sich nicht bedankt; um stotterte er seinen
Dank und murmelte dabei, daß er gern einen Strich durch die Rechnung machen
wolle, wenn nur keine neuen Schulden ausliefen.

Die Baronin lächelte, ihre kleine Gestalt richtete sich aber sehr gerade in die Höhe.°

Oh, Sie bekommen Ihr Geld schon, sagte sie mit einer Handbewegung. Es
war nämlich einer von den Widersprüchen in ihrem Eharnkter, daß sie sich nichts
schenken lassen wollte, trotz ihrer Neigung zum Schuld eumachen; und wirklich, nach
einiger Zeit bezahlte sie ihre Rechnung. Der Antiquitätenhändler in Frankfurt wußte,
wie sie es machte, und Herr Bieter ärgerte sich, daß er sie gemahnt hatte.

So war es immer mit Fran von Ravenstein. Die Leute fanden allerhand an
ihr auszusetzen, und sie hatte auch ihre unleugbaren Schwächen; aber jeder, der
mit ihr in Berührung kam, mußte ihr doch zugethan sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/493>, abgerufen am 25.11.2024.