Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sudermanns neueste Dramen

weniger Rechnung tragen, andrerseits die starken Zweifel, die sich gegen die
letzte' Lösung, namentlich des ..Glücks im Winkel." erheben, durch einen Aus¬
gang, der kein Fragezeichen läßt, überwinden sollen.

Die ..Schmetterlingsschlacht" hat ein Dresdner Kritiker nach der dortigen
ersten Aufführung ganz zutreffend als ein Stück bezeichnet. ..das auf dem
dunkeln Grenzpfade zwischen Tragödie und Schwank nachtwandlerisch einher
gehe." Im wesentlichen handelt es sich darin um ein großstädtisches Sittenbild,
dessen originell amüsante Szenen sich von dem dunkeln Hintergründe des
modernen Elends abheben, das in den gleichen vier Wänden, un Leben derselben
Gestalten die Ansprüche auf Lebensgenuß dicht ueben die härteste Entbehrung
und Arbeit, das die thörichte Verschwendung neben den heroisch erduldeten
Hunger stellt. Die ..Mutter" des Stücks, die Witwe eines Beamten, die mit
640 Mark Pension drei hübsche Tochter großziehn. ihnen standesgemäße Bildung
geben muß, die keinen andern Gedanken hat als den. ihren armen Mädchen
durch eine reiche Heirat künftig ein vergnüglicheres Dasein zu sichern (sich an
diesen Gedanken auch noch klammert, nachdem die älteste Tochter Else einen
Lump genommen hat, der nach wenigen Monaten Bankerott machte und sich
erschoß), die ihre Töchter lügen, heucheln und kokettiren lehrt und ihnen, bis
sie sich für das Wohl der Familie opfern müssen, erlaubte und zweifelhafte
Vergnügungen gönnt, diese Frau Steuerinspektor Hergentheim, die am Schluß,
als der Effekt ihrer Lebenskunst zu Tage kommt, zornig ausruft: "Ob ich mich
Scham, Herr Winkelmann? Wegen all dem Lug und Trug, Herr Winkelmann?
Nein, ich Scham mich schon nicht mehr. Ich hab zu viel betteln und runter-
fchlucken müssen im Leben. Es ist so schwer gewesen, die Kinder so weit zu
bringen. Wissen Sie denn, was ein Pfund Fleisch kostet, Herr Winkelmann?"
ist von einer schneidenden und zugleich kläglichen Wahrheit. Ja das einzige,
was nicht als ganz typisch und echt an der Frau Steuerinspektor und ihren
ältern Töchtern Else und Laura erscheint, ist die brutale Offenheit, mit der
sie ihre Lebensphilosophie der Verkommenheit zur Schein tragen, während im
Leben diese Art der Gesinnung hinter bürgerlich respektabel,,, ja sogar hinter
frommen Redensarten versteckt wird. Diesem Jammer und seinem Verhältnis
zu dem pfiffigen ausbeuterischen Geiz, den der plumpe Kaufmann Winkelmann
vertritt, kann freilich nur die absolute Gemütsrvheit Humor abgewinnen.
Diese Gemütsroheit und die ihr verwandte leichtsinnige Genußsucht trägt der
Bonvivant des Stückes Herr Richard Keßler zur Schau, ein Teufelskerl in
seiner Art, der zwar die junge Witwe Else nicht heiraten, aber lieben will
und im übrigen gutmütig dafür sorgt, daß der gedrückte Sohn seines Prinzipals,
der junge Winkelmann, sich mit einer der Hergentheimschen Töchter verlobt.
Daß es gerade Else sein muß, die sich opfert, verschlägt ihm nicht viel,
macht das Abenteuer um so pikanter. Zwischen all diesen Figuren steht
nun die jüngste Hergentheimsche Tochter Rosi, das kleine Genie, das hübscherfundne Schmetterlingsschlnchten auf Fächer malt und durch ihre Arbeit


Sudermanns neueste Dramen

weniger Rechnung tragen, andrerseits die starken Zweifel, die sich gegen die
letzte' Lösung, namentlich des ..Glücks im Winkel." erheben, durch einen Aus¬
gang, der kein Fragezeichen läßt, überwinden sollen.

Die ..Schmetterlingsschlacht" hat ein Dresdner Kritiker nach der dortigen
ersten Aufführung ganz zutreffend als ein Stück bezeichnet. ..das auf dem
dunkeln Grenzpfade zwischen Tragödie und Schwank nachtwandlerisch einher
gehe." Im wesentlichen handelt es sich darin um ein großstädtisches Sittenbild,
dessen originell amüsante Szenen sich von dem dunkeln Hintergründe des
modernen Elends abheben, das in den gleichen vier Wänden, un Leben derselben
Gestalten die Ansprüche auf Lebensgenuß dicht ueben die härteste Entbehrung
und Arbeit, das die thörichte Verschwendung neben den heroisch erduldeten
Hunger stellt. Die ..Mutter" des Stücks, die Witwe eines Beamten, die mit
640 Mark Pension drei hübsche Tochter großziehn. ihnen standesgemäße Bildung
geben muß, die keinen andern Gedanken hat als den. ihren armen Mädchen
durch eine reiche Heirat künftig ein vergnüglicheres Dasein zu sichern (sich an
diesen Gedanken auch noch klammert, nachdem die älteste Tochter Else einen
Lump genommen hat, der nach wenigen Monaten Bankerott machte und sich
erschoß), die ihre Töchter lügen, heucheln und kokettiren lehrt und ihnen, bis
sie sich für das Wohl der Familie opfern müssen, erlaubte und zweifelhafte
Vergnügungen gönnt, diese Frau Steuerinspektor Hergentheim, die am Schluß,
als der Effekt ihrer Lebenskunst zu Tage kommt, zornig ausruft: „Ob ich mich
Scham, Herr Winkelmann? Wegen all dem Lug und Trug, Herr Winkelmann?
Nein, ich Scham mich schon nicht mehr. Ich hab zu viel betteln und runter-
fchlucken müssen im Leben. Es ist so schwer gewesen, die Kinder so weit zu
bringen. Wissen Sie denn, was ein Pfund Fleisch kostet, Herr Winkelmann?"
ist von einer schneidenden und zugleich kläglichen Wahrheit. Ja das einzige,
was nicht als ganz typisch und echt an der Frau Steuerinspektor und ihren
ältern Töchtern Else und Laura erscheint, ist die brutale Offenheit, mit der
sie ihre Lebensphilosophie der Verkommenheit zur Schein tragen, während im
Leben diese Art der Gesinnung hinter bürgerlich respektabel,,, ja sogar hinter
frommen Redensarten versteckt wird. Diesem Jammer und seinem Verhältnis
zu dem pfiffigen ausbeuterischen Geiz, den der plumpe Kaufmann Winkelmann
vertritt, kann freilich nur die absolute Gemütsrvheit Humor abgewinnen.
Diese Gemütsroheit und die ihr verwandte leichtsinnige Genußsucht trägt der
Bonvivant des Stückes Herr Richard Keßler zur Schau, ein Teufelskerl in
seiner Art, der zwar die junge Witwe Else nicht heiraten, aber lieben will
und im übrigen gutmütig dafür sorgt, daß der gedrückte Sohn seines Prinzipals,
der junge Winkelmann, sich mit einer der Hergentheimschen Töchter verlobt.
Daß es gerade Else sein muß, die sich opfert, verschlägt ihm nicht viel,
macht das Abenteuer um so pikanter. Zwischen all diesen Figuren steht
nun die jüngste Hergentheimsche Tochter Rosi, das kleine Genie, das hübscherfundne Schmetterlingsschlnchten auf Fächer malt und durch ihre Arbeit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221693"/>
          <fw type="header" place="top"> Sudermanns neueste Dramen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_117" prev="#ID_116"> weniger Rechnung tragen, andrerseits die starken Zweifel, die sich gegen die<lb/>
letzte' Lösung, namentlich des ..Glücks im Winkel." erheben, durch einen Aus¬<lb/>
gang, der kein Fragezeichen läßt, überwinden sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_118" next="#ID_119"> Die ..Schmetterlingsschlacht" hat ein Dresdner Kritiker nach der dortigen<lb/>
ersten Aufführung ganz zutreffend als ein Stück bezeichnet. ..das auf dem<lb/>
dunkeln Grenzpfade zwischen Tragödie und Schwank nachtwandlerisch einher<lb/>
gehe." Im wesentlichen handelt es sich darin um ein großstädtisches Sittenbild,<lb/>
dessen originell amüsante Szenen sich von dem dunkeln Hintergründe des<lb/>
modernen Elends abheben, das in den gleichen vier Wänden, un Leben derselben<lb/>
Gestalten die Ansprüche auf Lebensgenuß dicht ueben die härteste Entbehrung<lb/>
und Arbeit, das die thörichte Verschwendung neben den heroisch erduldeten<lb/>
Hunger stellt. Die ..Mutter" des Stücks, die Witwe eines Beamten, die mit<lb/>
640 Mark Pension drei hübsche Tochter großziehn. ihnen standesgemäße Bildung<lb/>
geben muß, die keinen andern Gedanken hat als den. ihren armen Mädchen<lb/>
durch eine reiche Heirat künftig ein vergnüglicheres Dasein zu sichern (sich an<lb/>
diesen Gedanken auch noch klammert, nachdem die älteste Tochter Else einen<lb/>
Lump genommen hat, der nach wenigen Monaten Bankerott machte und sich<lb/>
erschoß), die ihre Töchter lügen, heucheln und kokettiren lehrt und ihnen, bis<lb/>
sie sich für das Wohl der Familie opfern müssen, erlaubte und zweifelhafte<lb/>
Vergnügungen gönnt, diese Frau Steuerinspektor Hergentheim, die am Schluß,<lb/>
als der Effekt ihrer Lebenskunst zu Tage kommt, zornig ausruft: &#x201E;Ob ich mich<lb/>
Scham, Herr Winkelmann? Wegen all dem Lug und Trug, Herr Winkelmann?<lb/>
Nein, ich Scham mich schon nicht mehr.  Ich hab zu viel betteln und runter-<lb/>
fchlucken müssen im Leben. Es ist so schwer gewesen, die Kinder so weit zu<lb/>
bringen. Wissen Sie denn, was ein Pfund Fleisch kostet, Herr Winkelmann?"<lb/>
ist von einer schneidenden und zugleich kläglichen Wahrheit.  Ja das einzige,<lb/>
was nicht als ganz typisch und echt an der Frau Steuerinspektor und ihren<lb/>
ältern Töchtern Else und Laura erscheint, ist die brutale Offenheit, mit der<lb/>
sie ihre Lebensphilosophie der Verkommenheit zur Schein tragen, während im<lb/>
Leben diese Art der Gesinnung hinter bürgerlich respektabel,,, ja sogar hinter<lb/>
frommen Redensarten versteckt wird. Diesem Jammer und seinem Verhältnis<lb/>
zu dem pfiffigen ausbeuterischen Geiz, den der plumpe Kaufmann Winkelmann<lb/>
vertritt, kann freilich nur die absolute Gemütsrvheit Humor abgewinnen.<lb/>
Diese Gemütsroheit und die ihr verwandte leichtsinnige Genußsucht trägt der<lb/>
Bonvivant des Stückes Herr Richard Keßler zur Schau, ein Teufelskerl in<lb/>
seiner Art, der zwar die junge Witwe Else nicht heiraten, aber lieben will<lb/>
und im übrigen gutmütig dafür sorgt, daß der gedrückte Sohn seines Prinzipals,<lb/>
der junge Winkelmann, sich mit einer der Hergentheimschen Töchter verlobt.<lb/>
Daß es gerade Else sein muß, die sich opfert, verschlägt ihm nicht viel,<lb/>
macht das Abenteuer um so pikanter.  Zwischen all diesen Figuren steht<lb/>
nun die jüngste Hergentheimsche Tochter Rosi, das kleine Genie, das hübscherfundne Schmetterlingsschlnchten auf Fächer malt und durch ihre Arbeit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] Sudermanns neueste Dramen weniger Rechnung tragen, andrerseits die starken Zweifel, die sich gegen die letzte' Lösung, namentlich des ..Glücks im Winkel." erheben, durch einen Aus¬ gang, der kein Fragezeichen läßt, überwinden sollen. Die ..Schmetterlingsschlacht" hat ein Dresdner Kritiker nach der dortigen ersten Aufführung ganz zutreffend als ein Stück bezeichnet. ..das auf dem dunkeln Grenzpfade zwischen Tragödie und Schwank nachtwandlerisch einher gehe." Im wesentlichen handelt es sich darin um ein großstädtisches Sittenbild, dessen originell amüsante Szenen sich von dem dunkeln Hintergründe des modernen Elends abheben, das in den gleichen vier Wänden, un Leben derselben Gestalten die Ansprüche auf Lebensgenuß dicht ueben die härteste Entbehrung und Arbeit, das die thörichte Verschwendung neben den heroisch erduldeten Hunger stellt. Die ..Mutter" des Stücks, die Witwe eines Beamten, die mit 640 Mark Pension drei hübsche Tochter großziehn. ihnen standesgemäße Bildung geben muß, die keinen andern Gedanken hat als den. ihren armen Mädchen durch eine reiche Heirat künftig ein vergnüglicheres Dasein zu sichern (sich an diesen Gedanken auch noch klammert, nachdem die älteste Tochter Else einen Lump genommen hat, der nach wenigen Monaten Bankerott machte und sich erschoß), die ihre Töchter lügen, heucheln und kokettiren lehrt und ihnen, bis sie sich für das Wohl der Familie opfern müssen, erlaubte und zweifelhafte Vergnügungen gönnt, diese Frau Steuerinspektor Hergentheim, die am Schluß, als der Effekt ihrer Lebenskunst zu Tage kommt, zornig ausruft: „Ob ich mich Scham, Herr Winkelmann? Wegen all dem Lug und Trug, Herr Winkelmann? Nein, ich Scham mich schon nicht mehr. Ich hab zu viel betteln und runter- fchlucken müssen im Leben. Es ist so schwer gewesen, die Kinder so weit zu bringen. Wissen Sie denn, was ein Pfund Fleisch kostet, Herr Winkelmann?" ist von einer schneidenden und zugleich kläglichen Wahrheit. Ja das einzige, was nicht als ganz typisch und echt an der Frau Steuerinspektor und ihren ältern Töchtern Else und Laura erscheint, ist die brutale Offenheit, mit der sie ihre Lebensphilosophie der Verkommenheit zur Schein tragen, während im Leben diese Art der Gesinnung hinter bürgerlich respektabel,,, ja sogar hinter frommen Redensarten versteckt wird. Diesem Jammer und seinem Verhältnis zu dem pfiffigen ausbeuterischen Geiz, den der plumpe Kaufmann Winkelmann vertritt, kann freilich nur die absolute Gemütsrvheit Humor abgewinnen. Diese Gemütsroheit und die ihr verwandte leichtsinnige Genußsucht trägt der Bonvivant des Stückes Herr Richard Keßler zur Schau, ein Teufelskerl in seiner Art, der zwar die junge Witwe Else nicht heiraten, aber lieben will und im übrigen gutmütig dafür sorgt, daß der gedrückte Sohn seines Prinzipals, der junge Winkelmann, sich mit einer der Hergentheimschen Töchter verlobt. Daß es gerade Else sein muß, die sich opfert, verschlägt ihm nicht viel, macht das Abenteuer um so pikanter. Zwischen all diesen Figuren steht nun die jüngste Hergentheimsche Tochter Rosi, das kleine Genie, das hübscherfundne Schmetterlingsschlnchten auf Fächer malt und durch ihre Arbeit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/47
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/47>, abgerufen am 01.09.2024.