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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Kampf in den Vstmarken

werde. Aber selbst bei diesem Gedankengange hat sich der Deutsche schon zu
viel vergeben. Woher hast du, Deutscher, denn Ursache, dich ohne weiteres
dem Moskowitertum gleich niedrig zu achten? Hast du nicht Anlaß, ohne
Überhebung zu behaupten, daß die Eindeutschung der Ballen ein Rückschritt
der Gesittung sei, dagegen die Verdeutschung der Polen keines einzelnen Polen
Nachteil, sondern ihr Segen, derart, daß der polnische Widerstand dawider
dem Trotzen des Kindes gegen die Erziehung gleich geachtet werden darf?
Ja noch weiter: Woher nimmst du dir, Deutscher, denn das Recht, so als
Richter des Guten und Bösen über den Völkern zu sitzen, in einer Sache,
wo du doch selbst beteiligt bist? Ist es nicht dein Recht wie deine Pflicht,
dich unter die Parteien zu setzen, dich dann aber auch für edler und besser zu
halten und zu erklären als alle andern Parteien, nämlich die andern Völker?
Das thun doch selbst die kümmerlichsten Völker, ja gerade die Polen selbst.
Und da willst du, Deutscher, darauf verzichten, dein Volkstum so weit und
so lange auszudehnen, als du es kannst? Gefühlvoller Narr! Bedenke doch,
daß es im Streite der Völker uicht um Mein und Dein geht, sondern daß es
ein Ringen um den Sieg der höhern Gesittung ist, womit niemandem an
seinem Leib oder Gut ein Schaden geschieht. Oder war es ein Unrecht, daß
Alexander die Perser besiegte und Asien dem griechischen Geiste erschloß?
So ergreife doch Partei, rücksichtslos Partei, du deutscher griechenbegeisterter
Schwärmer, und erkünstle nicht eine Gleichgiltigkeit, die den Namen Verrat
verdient!

Denn bei dem Kampf um die Ostmarken ist es unser deutsches Dasein,
das auf dem Spiele steht.

Das Gebiet des deutschen Reichs ist im Verhältnis zu den riesenhaften
Anballungen des nordamerikanischen, des britischen und vor allem des russischen
Reichs sehr klein; und gar verschwindend, wenn man erwägt, welche Aus¬
dehnungsmöglichkeiten jenen Reichen noch offen stehen, während sie dem unsrigen
verschlossen sind. Um so dringender ist für uns das Gebot, alles Land, das
wir einmal haben, auch ganz und gar zu dem unsrigen zu machen. Deutsch¬
land ist heute mindestens in demselben Maße darauf angewiesen, wie Preußen
im achtzehnten Jahrhundert, stets seine ganze Kraft zum Einsatz bereit zu
halten und immer gute Führer zu haben. Denn wenn die Kraft des deutschen
Staates seit der preußischen Zeit auch stark gewachsen ist, so ist doch die
Kraft unsrer Nachbarn noch viel stärker gewachsen. Wenn uns nun einmal im
Ernstfall eine thatkräftige Leitung fehlen sollte, glaubt man, daß dann die jetzt
polnischen Ostmarken getreu zu uns halten werden? Sie werden unsichere
Neutrale sein, so lange die Zuchtrute über ihnen hängt; sobald sich aber die
kleinste, für uns unglückliche Gelegenheit bietet, werden sie unsre offnen Feinde
sein. Dadurch wird aber das Gebiet, auf dem wir unsre Kräfte entwickeln,
aus dem wir neue Kräfte ziehen, und auf das wir bei Unglücksfällen zeitweise


Der Kampf in den Vstmarken

werde. Aber selbst bei diesem Gedankengange hat sich der Deutsche schon zu
viel vergeben. Woher hast du, Deutscher, denn Ursache, dich ohne weiteres
dem Moskowitertum gleich niedrig zu achten? Hast du nicht Anlaß, ohne
Überhebung zu behaupten, daß die Eindeutschung der Ballen ein Rückschritt
der Gesittung sei, dagegen die Verdeutschung der Polen keines einzelnen Polen
Nachteil, sondern ihr Segen, derart, daß der polnische Widerstand dawider
dem Trotzen des Kindes gegen die Erziehung gleich geachtet werden darf?
Ja noch weiter: Woher nimmst du dir, Deutscher, denn das Recht, so als
Richter des Guten und Bösen über den Völkern zu sitzen, in einer Sache,
wo du doch selbst beteiligt bist? Ist es nicht dein Recht wie deine Pflicht,
dich unter die Parteien zu setzen, dich dann aber auch für edler und besser zu
halten und zu erklären als alle andern Parteien, nämlich die andern Völker?
Das thun doch selbst die kümmerlichsten Völker, ja gerade die Polen selbst.
Und da willst du, Deutscher, darauf verzichten, dein Volkstum so weit und
so lange auszudehnen, als du es kannst? Gefühlvoller Narr! Bedenke doch,
daß es im Streite der Völker uicht um Mein und Dein geht, sondern daß es
ein Ringen um den Sieg der höhern Gesittung ist, womit niemandem an
seinem Leib oder Gut ein Schaden geschieht. Oder war es ein Unrecht, daß
Alexander die Perser besiegte und Asien dem griechischen Geiste erschloß?
So ergreife doch Partei, rücksichtslos Partei, du deutscher griechenbegeisterter
Schwärmer, und erkünstle nicht eine Gleichgiltigkeit, die den Namen Verrat
verdient!

Denn bei dem Kampf um die Ostmarken ist es unser deutsches Dasein,
das auf dem Spiele steht.

Das Gebiet des deutschen Reichs ist im Verhältnis zu den riesenhaften
Anballungen des nordamerikanischen, des britischen und vor allem des russischen
Reichs sehr klein; und gar verschwindend, wenn man erwägt, welche Aus¬
dehnungsmöglichkeiten jenen Reichen noch offen stehen, während sie dem unsrigen
verschlossen sind. Um so dringender ist für uns das Gebot, alles Land, das
wir einmal haben, auch ganz und gar zu dem unsrigen zu machen. Deutsch¬
land ist heute mindestens in demselben Maße darauf angewiesen, wie Preußen
im achtzehnten Jahrhundert, stets seine ganze Kraft zum Einsatz bereit zu
halten und immer gute Führer zu haben. Denn wenn die Kraft des deutschen
Staates seit der preußischen Zeit auch stark gewachsen ist, so ist doch die
Kraft unsrer Nachbarn noch viel stärker gewachsen. Wenn uns nun einmal im
Ernstfall eine thatkräftige Leitung fehlen sollte, glaubt man, daß dann die jetzt
polnischen Ostmarken getreu zu uns halten werden? Sie werden unsichere
Neutrale sein, so lange die Zuchtrute über ihnen hängt; sobald sich aber die
kleinste, für uns unglückliche Gelegenheit bietet, werden sie unsre offnen Feinde
sein. Dadurch wird aber das Gebiet, auf dem wir unsre Kräfte entwickeln,
aus dem wir neue Kräfte ziehen, und auf das wir bei Unglücksfällen zeitweise


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[0458] Der Kampf in den Vstmarken werde. Aber selbst bei diesem Gedankengange hat sich der Deutsche schon zu viel vergeben. Woher hast du, Deutscher, denn Ursache, dich ohne weiteres dem Moskowitertum gleich niedrig zu achten? Hast du nicht Anlaß, ohne Überhebung zu behaupten, daß die Eindeutschung der Ballen ein Rückschritt der Gesittung sei, dagegen die Verdeutschung der Polen keines einzelnen Polen Nachteil, sondern ihr Segen, derart, daß der polnische Widerstand dawider dem Trotzen des Kindes gegen die Erziehung gleich geachtet werden darf? Ja noch weiter: Woher nimmst du dir, Deutscher, denn das Recht, so als Richter des Guten und Bösen über den Völkern zu sitzen, in einer Sache, wo du doch selbst beteiligt bist? Ist es nicht dein Recht wie deine Pflicht, dich unter die Parteien zu setzen, dich dann aber auch für edler und besser zu halten und zu erklären als alle andern Parteien, nämlich die andern Völker? Das thun doch selbst die kümmerlichsten Völker, ja gerade die Polen selbst. Und da willst du, Deutscher, darauf verzichten, dein Volkstum so weit und so lange auszudehnen, als du es kannst? Gefühlvoller Narr! Bedenke doch, daß es im Streite der Völker uicht um Mein und Dein geht, sondern daß es ein Ringen um den Sieg der höhern Gesittung ist, womit niemandem an seinem Leib oder Gut ein Schaden geschieht. Oder war es ein Unrecht, daß Alexander die Perser besiegte und Asien dem griechischen Geiste erschloß? So ergreife doch Partei, rücksichtslos Partei, du deutscher griechenbegeisterter Schwärmer, und erkünstle nicht eine Gleichgiltigkeit, die den Namen Verrat verdient! Denn bei dem Kampf um die Ostmarken ist es unser deutsches Dasein, das auf dem Spiele steht. Das Gebiet des deutschen Reichs ist im Verhältnis zu den riesenhaften Anballungen des nordamerikanischen, des britischen und vor allem des russischen Reichs sehr klein; und gar verschwindend, wenn man erwägt, welche Aus¬ dehnungsmöglichkeiten jenen Reichen noch offen stehen, während sie dem unsrigen verschlossen sind. Um so dringender ist für uns das Gebot, alles Land, das wir einmal haben, auch ganz und gar zu dem unsrigen zu machen. Deutsch¬ land ist heute mindestens in demselben Maße darauf angewiesen, wie Preußen im achtzehnten Jahrhundert, stets seine ganze Kraft zum Einsatz bereit zu halten und immer gute Führer zu haben. Denn wenn die Kraft des deutschen Staates seit der preußischen Zeit auch stark gewachsen ist, so ist doch die Kraft unsrer Nachbarn noch viel stärker gewachsen. Wenn uns nun einmal im Ernstfall eine thatkräftige Leitung fehlen sollte, glaubt man, daß dann die jetzt polnischen Ostmarken getreu zu uns halten werden? Sie werden unsichere Neutrale sein, so lange die Zuchtrute über ihnen hängt; sobald sich aber die kleinste, für uns unglückliche Gelegenheit bietet, werden sie unsre offnen Feinde sein. Dadurch wird aber das Gebiet, auf dem wir unsre Kräfte entwickeln, aus dem wir neue Kräfte ziehen, und auf das wir bei Unglücksfällen zeitweise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/458>, abgerufen am 01.09.2024.