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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Lmser Legende

Nein, eine Schärfung ist unzweifelhaft vorhanden, sie liegt vor allem un
Tone. War aber deshalb wirklich, wie Liebknecht sagt, "die echte Emser
Depesche der Friede, und die Bismarcksche Kürzung der Krieg"? Nein! Weder
nach Benedettis Auffassung ist der Krieg durch die Veröffentlichung der De¬
pesche notwendig geworden, noch nach der Meinung des französischen Minister-
rath, der am 14. Juli stattfand und fast den ganzen Tag dauerte. Denn
die Emser Depesche war längst bekannt, als um 6 Uhr abends die Mobil¬
machung der französischen Armee rückgängig gemacht wurde. Allerdings ein
Anruf war die Depesche: nehmt euch in Acht! Bismarck hielt ihnen gewisser¬
maßen den Degen hin: seid ihr toll genug, euch darauf festzurennen, nur zu;
ich fürchte mich nicht, sondern stoße euch dann den Degen bis ans Hast in
die Brust. Aber den Degen gezogen hat nicht er zuerst, sondern die Franzosen,
und zugestoßen hat er auch nicht, sondern sie rannten in den Degen hinein.

Was hat sie nun so toll gemacht? Offenbar die Angst, daß der ange¬
fangne Handel doch am Ende nicht in eine Demütigung Preußens auslaufen
werde. Wie man es anfängt, Krieg zu vermeiden, wenn man will, das hat
Bismarck in dem Karolinenstreit gezeigt. Als der Madrider Pöbel das Schild
vom deutschen Botschaftshotel abgerissen und uuter die Füße getreten hatte,
erklärte Bismarck: "Um einer Sachbeschädigung willen führen zwei große
Nationen nicht Krieg mit einander." Frankreich aber konnte sich 1870 nicht
entschließen, wieder gut zu macheu, was es Preußen angethan hatte.

Große Wichtigkeit legt Oncken und ihm folgend Delbrück dem Gespräch
Bismarcks mit dem englischen Botschafter Lord Loftus bei. Die Bedeutung
dieses Gesprächs wollen auch wir nicht verkennen, sie liegt aber doch nur
darin, daß die Franzosen noch deutlicher merkten, die Preußen würden sich
eine Demütigung nicht gefallen lassen. Aber den Krieg unvermeidlich gemacht
hat auch dies Gespräch keineswegs. Lord Loftus gratulirte dem Grafen
Bismarck. daß die Krisis (mit dem Verzicht des Erbprinzen) zu Ende sei.
Bismarck antwortete, daß er das bezweifle, er habe Nachricht, daß sich die
Franzosen mit der Lösung dieser Frage (dem Verzicht des Prinzen von Hohen-
zollern) nicht zufrieden gäben. Frankreich müsse den europäischen Mächten
eine amtliche Erklärung geben, daß es die Lösung der spanische,, Frage als
ausreichend anerkenne. Ferner sei in dieser Erklärung die drohende Sprache
Grcunonts (Kammersitzung vom 6. Juli) zurückzuziehen oder zu erläutern. Ge¬
schehe das nicht, dann sei offenbar der Lärm über die spanische Thronfolge
nur ein Vorwand gewesen.

Dieser Bericht ist es höchst wahrscheinlich gewesen, der am 14. Juli nachts
um 11 Uhr den französischen Ministerrat zum Kriegsbeschluß veranlaßt hat.
Aber diese Folgerung zogen eben nur die Franzosen aus dem Gespräch. Ganz
objektiv betrachtet, folgte daraus durchaus nicht die Notwendigkeit, in den Krieg
zu gehen; denn die verlangten Bürgschaften waren so maßvoll, daß eine Re¬
gierung, die den Frieden wirklich wollte, sie recht gilt hätte geben können.
G


renzboten I 1896 5
Die Lmser Legende

Nein, eine Schärfung ist unzweifelhaft vorhanden, sie liegt vor allem un
Tone. War aber deshalb wirklich, wie Liebknecht sagt, „die echte Emser
Depesche der Friede, und die Bismarcksche Kürzung der Krieg"? Nein! Weder
nach Benedettis Auffassung ist der Krieg durch die Veröffentlichung der De¬
pesche notwendig geworden, noch nach der Meinung des französischen Minister-
rath, der am 14. Juli stattfand und fast den ganzen Tag dauerte. Denn
die Emser Depesche war längst bekannt, als um 6 Uhr abends die Mobil¬
machung der französischen Armee rückgängig gemacht wurde. Allerdings ein
Anruf war die Depesche: nehmt euch in Acht! Bismarck hielt ihnen gewisser¬
maßen den Degen hin: seid ihr toll genug, euch darauf festzurennen, nur zu;
ich fürchte mich nicht, sondern stoße euch dann den Degen bis ans Hast in
die Brust. Aber den Degen gezogen hat nicht er zuerst, sondern die Franzosen,
und zugestoßen hat er auch nicht, sondern sie rannten in den Degen hinein.

Was hat sie nun so toll gemacht? Offenbar die Angst, daß der ange¬
fangne Handel doch am Ende nicht in eine Demütigung Preußens auslaufen
werde. Wie man es anfängt, Krieg zu vermeiden, wenn man will, das hat
Bismarck in dem Karolinenstreit gezeigt. Als der Madrider Pöbel das Schild
vom deutschen Botschaftshotel abgerissen und uuter die Füße getreten hatte,
erklärte Bismarck: „Um einer Sachbeschädigung willen führen zwei große
Nationen nicht Krieg mit einander." Frankreich aber konnte sich 1870 nicht
entschließen, wieder gut zu macheu, was es Preußen angethan hatte.

Große Wichtigkeit legt Oncken und ihm folgend Delbrück dem Gespräch
Bismarcks mit dem englischen Botschafter Lord Loftus bei. Die Bedeutung
dieses Gesprächs wollen auch wir nicht verkennen, sie liegt aber doch nur
darin, daß die Franzosen noch deutlicher merkten, die Preußen würden sich
eine Demütigung nicht gefallen lassen. Aber den Krieg unvermeidlich gemacht
hat auch dies Gespräch keineswegs. Lord Loftus gratulirte dem Grafen
Bismarck. daß die Krisis (mit dem Verzicht des Erbprinzen) zu Ende sei.
Bismarck antwortete, daß er das bezweifle, er habe Nachricht, daß sich die
Franzosen mit der Lösung dieser Frage (dem Verzicht des Prinzen von Hohen-
zollern) nicht zufrieden gäben. Frankreich müsse den europäischen Mächten
eine amtliche Erklärung geben, daß es die Lösung der spanische,, Frage als
ausreichend anerkenne. Ferner sei in dieser Erklärung die drohende Sprache
Grcunonts (Kammersitzung vom 6. Juli) zurückzuziehen oder zu erläutern. Ge¬
schehe das nicht, dann sei offenbar der Lärm über die spanische Thronfolge
nur ein Vorwand gewesen.

Dieser Bericht ist es höchst wahrscheinlich gewesen, der am 14. Juli nachts
um 11 Uhr den französischen Ministerrat zum Kriegsbeschluß veranlaßt hat.
Aber diese Folgerung zogen eben nur die Franzosen aus dem Gespräch. Ganz
objektiv betrachtet, folgte daraus durchaus nicht die Notwendigkeit, in den Krieg
zu gehen; denn die verlangten Bürgschaften waren so maßvoll, daß eine Re¬
gierung, die den Frieden wirklich wollte, sie recht gilt hätte geben können.
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renzboten I 1896 5
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[0041] Die Lmser Legende Nein, eine Schärfung ist unzweifelhaft vorhanden, sie liegt vor allem un Tone. War aber deshalb wirklich, wie Liebknecht sagt, „die echte Emser Depesche der Friede, und die Bismarcksche Kürzung der Krieg"? Nein! Weder nach Benedettis Auffassung ist der Krieg durch die Veröffentlichung der De¬ pesche notwendig geworden, noch nach der Meinung des französischen Minister- rath, der am 14. Juli stattfand und fast den ganzen Tag dauerte. Denn die Emser Depesche war längst bekannt, als um 6 Uhr abends die Mobil¬ machung der französischen Armee rückgängig gemacht wurde. Allerdings ein Anruf war die Depesche: nehmt euch in Acht! Bismarck hielt ihnen gewisser¬ maßen den Degen hin: seid ihr toll genug, euch darauf festzurennen, nur zu; ich fürchte mich nicht, sondern stoße euch dann den Degen bis ans Hast in die Brust. Aber den Degen gezogen hat nicht er zuerst, sondern die Franzosen, und zugestoßen hat er auch nicht, sondern sie rannten in den Degen hinein. Was hat sie nun so toll gemacht? Offenbar die Angst, daß der ange¬ fangne Handel doch am Ende nicht in eine Demütigung Preußens auslaufen werde. Wie man es anfängt, Krieg zu vermeiden, wenn man will, das hat Bismarck in dem Karolinenstreit gezeigt. Als der Madrider Pöbel das Schild vom deutschen Botschaftshotel abgerissen und uuter die Füße getreten hatte, erklärte Bismarck: „Um einer Sachbeschädigung willen führen zwei große Nationen nicht Krieg mit einander." Frankreich aber konnte sich 1870 nicht entschließen, wieder gut zu macheu, was es Preußen angethan hatte. Große Wichtigkeit legt Oncken und ihm folgend Delbrück dem Gespräch Bismarcks mit dem englischen Botschafter Lord Loftus bei. Die Bedeutung dieses Gesprächs wollen auch wir nicht verkennen, sie liegt aber doch nur darin, daß die Franzosen noch deutlicher merkten, die Preußen würden sich eine Demütigung nicht gefallen lassen. Aber den Krieg unvermeidlich gemacht hat auch dies Gespräch keineswegs. Lord Loftus gratulirte dem Grafen Bismarck. daß die Krisis (mit dem Verzicht des Erbprinzen) zu Ende sei. Bismarck antwortete, daß er das bezweifle, er habe Nachricht, daß sich die Franzosen mit der Lösung dieser Frage (dem Verzicht des Prinzen von Hohen- zollern) nicht zufrieden gäben. Frankreich müsse den europäischen Mächten eine amtliche Erklärung geben, daß es die Lösung der spanische,, Frage als ausreichend anerkenne. Ferner sei in dieser Erklärung die drohende Sprache Grcunonts (Kammersitzung vom 6. Juli) zurückzuziehen oder zu erläutern. Ge¬ schehe das nicht, dann sei offenbar der Lärm über die spanische Thronfolge nur ein Vorwand gewesen. Dieser Bericht ist es höchst wahrscheinlich gewesen, der am 14. Juli nachts um 11 Uhr den französischen Ministerrat zum Kriegsbeschluß veranlaßt hat. Aber diese Folgerung zogen eben nur die Franzosen aus dem Gespräch. Ganz objektiv betrachtet, folgte daraus durchaus nicht die Notwendigkeit, in den Krieg zu gehen; denn die verlangten Bürgschaften waren so maßvoll, daß eine Re¬ gierung, die den Frieden wirklich wollte, sie recht gilt hätte geben können. G renzboten I 1896 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/41>, abgerufen am 01.09.2024.