Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.Die Homerische Frage riellen Genüssen hingegebnen Stadt wurden seine Gedichte nicht nach Gebühr Knötel sieht also in Homer eine bestimmt ausgeprägte Persönlichkeit, in Ähnlich denkt und verfährt auch Oskar Jäger in dem oben angeführten *> Man vergleiche das bekannte Distichon: Grenzboicn I 1890 49
Die Homerische Frage riellen Genüssen hingegebnen Stadt wurden seine Gedichte nicht nach Gebühr Knötel sieht also in Homer eine bestimmt ausgeprägte Persönlichkeit, in Ähnlich denkt und verfährt auch Oskar Jäger in dem oben angeführten *> Man vergleiche das bekannte Distichon: Grenzboicn I 1890 49
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Die Homerische Frage
riellen Genüssen hingegebnen Stadt wurden seine Gedichte nicht nach Gebühr
bewundert. So wanderte er weiter und gelangte nach mehreren Zwischen¬
stationen nach Chios, wo er willige Aufnahme und in Krevphylos einen lauten
Bewunderer fand. Ihm, der sein Schwiegersohn wurde, übergab er auch seine
beiden großen Dichtungen, die nun von diesem und seinen Nachkommen weiter
gepflegt und verbreitet wurden. Zur Anerkennung des großen Meisters nannten
sie sich „Homeriden" und stifteten ihm ein Heroon. Von hier gelangten die
Gedichte durch Abschriften — denn der Gebrauch der Schrift ist unbedenklich
für diese Zeit anzunehmen — selbst in ferne Städte, so z. B. durch Lykurg
nach Lakedämon. Der Ruhm dieser Dichtungen überstrahlte allmählich alle
andern, sodaß Dichter und Sänger andrer Dichtungen, namentlich aus dem¬
selben Sagenkreise, zu ihrer Empfehlung nichts besseres thu» konnten, als sie
„homerisch" zu nennen. So ist es zu erklären, daß die sogenannten „kyklischen"
Epen, die die Ilias und die Odyssee ergänzen und teils die Vorgeschichte des
Kriegs, teils die Einnahme der Stadt und die Rückkehr der Helden behandeln,
vielfach Homer zugeschrieben wurden und erst im vierten Jahrhundert und noch
später sicher ihm abgesprochen worden sind.
Knötel sieht also in Homer eine bestimmt ausgeprägte Persönlichkeit, in
Atlas und Odyssee seine großen Werke, deren Einheit und innere Zusammen¬
gehörigkeit er durch eine Reihe vortrefflicher Beobachtungen (II, 332 bis 392)
zu erweisen versucht. Die neuern Untersuchungen hat er völlig unbeachtet ge¬
lassen. Widersprüche läßt er gar nicht als solche gelten oder sucht sie durch
einfache Verbesserung des Textes zu beseitigen.
Ähnlich denkt und verfährt auch Oskar Jäger in dem oben angeführten
Aufsatze. Er glaubt aus den Gedichten — das Lebensbild des Dichters ist
ihm gleichgiltig — ganz bestimmte dichterische Eigentümlichkeiten zu erkennen,
die durchaus nicht einer Vielheit von Dichtern gemein sein konnten; so in der
Anwendung von Gleichnissen oder in der Vorliebe für Tiere, namentlich für
Pferde und Hunde. Während Goethe z. V. ein entschiedner Hundefeind war,*)
zeigt Homer eine entschiede Liebhaberei für Hunde: „Was Ob. 14, 30 steht,
daß Odysseus, als Eumäos Hunde auf ihn losstürzen, sich niedersetzt und klug
berechnend den Stock fallen läßt, wird, wie in der Stelle bei Plinius Natur¬
geschichte 8, 40, so von modernen Hundekundigen bestätigt; eine nicht minder
feine Bemerkung ist 16, 162, wo die Hunde auf die Erscheinung der Göttin
reagiren; nur Odysseus und die Hunde sehen sie, und diese bellen nicht, sondern
Ziehen sich winselnd zurück — Tiere mit scharfen Sinnen merken das Unheim¬
liche, Außergewöhnliche, wo es der Mensch mit seinen stumpfen Sinnen nicht
*> Man vergleiche das bekannte Distichon:
Grenzboicn I 1890 49
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