Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.Englische Bündnisbestrebimgen -- nämlich daß nach der Meinung Frankreichs die Okkupation im Interesse Aber abgesehen von der Frage, ob die Vorschläge ausführbar sind oder Englische Bündnisbestrebimgen — nämlich daß nach der Meinung Frankreichs die Okkupation im Interesse Aber abgesehen von der Frage, ob die Vorschläge ausführbar sind oder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222012"/> <fw type="header" place="top"> Englische Bündnisbestrebimgen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1230" prev="#ID_1229"> — nämlich daß nach der Meinung Frankreichs die Okkupation im Interesse<lb/> der gesetzlichen Ordnung und Ruhe nicht nötig wäre — niemals eintreten wird.<lb/> Wir müssen auseinandersetzen, daß wir genau dasselbe in Ägypten gelernt<lb/> haben, und daß es unsrerseits ein ebenso großes Verbrechen und eine ebenso<lb/> große Thorheit wäre, Ägypten zu verlassen, als es auf seiten Frankreichs sein<lb/> würde, Tunis aufzugeben." Italien darf natürlich nicht im Stich gelassen<lb/> werden. England muß es für Italien der Mühe wert machen, Ersatz dafür<lb/> bieten, sich vom Dreibunde zurückzuziehen, und muß ihm den Schutz seiner<lb/> Küsten verbürgen, und zwar dadurch, daß es sich von Frankreich versprechen<lb/> läßt, keinen Angriff zu machen, und daß es Italien mit seiner Flotte unter¬<lb/> stützt, wenn das Versprechen gebrochen würde. „Es ist nicht wahrscheinlich,<lb/> meint Mr. Stranses, daß Italien ein solches Anerbieten zurückweisen würde.<lb/> Es könnte sich dadurch vor dem Bankrott bewahren und die erdrückenden Un¬<lb/> kosten für das Heer ersparen. Der Gewinn würde in der That außerordent¬<lb/> lich groß sein. Überdies würde es leicht sein, den Wechsel in der Parteistellung<lb/> für Italien durch ein Abkommen noch anziehender zu machen, wonach es ihm<lb/> gestattet würde, Tripolis und die cyrcnäische Halbinsel in Besitz zu nehmen."<lb/> Daß es Italien nicht in den Sinn kommen wird, den wirklichen Schutz, den<lb/> ihm der Dreibund gewährt, für die mehr als problematische Hilfe Englands<lb/> aufzugeben, dieser Gedanke scheint Mr. Strachey nicht gekommen zu sein. Andrer¬<lb/> seits fühlt er aber, daß er mit einfachen Schlußfolgerungen, die sich aus einem<lb/> Vergleich der Stellung Englands zu Ägypten und Frankreichs zu Tunis er¬<lb/> geben, die Freundschaft des französischen Volks nicht gewinnen kann. Er<lb/> rechnet daher darauf, daß sich die Franzosen vielleicht durch die Hoffnung<lb/> ködern lassen, daß ihnen die Isolirung Deutschlands Gelegenheit zur Wieder¬<lb/> gewinnung von Elsaß-Lothringen geben würde, und eröffnet ihnen ferner die<lb/> Aussicht, daß ihnen England bei der zu erwartenden Teilung der Türkei fehr<lb/> gern Syrien und Palästina zusprechen würde. Aber es ist natürlich ebenso<lb/> unwahrscheinlich, daß Frankreich seine Ansprüche auf Ägypten aufgeben und<lb/> sich mit Versprechungen über Dinge, die England nicht zu verschenken hat, ab¬<lb/> speisen lassen wird, wie es gewiß-ist, daß sich Nußland nicht einfach deshalb<lb/> in den Besitz von Konstantinopel setzen kann, weil England nichts da¬<lb/> gegen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1231" next="#ID_1232"> Aber abgesehen von der Frage, ob die Vorschläge ausführbar sind oder<lb/> nicht, ist es an und für sich von großem Interesse, zu beobachten, wie es die<lb/> öffentliche Meinung in England, unter völliger Verleugnung der Grundsätze,<lb/> die ihr sür die britische Politik des ganzen neunzehnten Jahrhunderts als un¬<lb/> umstößlich galten, allgemein und mit anscheinendem Gleichmut als ein unver¬<lb/> meidliches Verhängnis auffaßt, daß Nußland bis an das Mittelmeer vordringt,<lb/> vorläufig allermindestens einen kleinasiatischen Hafen als Flottenstativn vom<lb/> Sultan erhält und andrerseits auch im Stillen Ozean einen eisfreien Hafen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
Englische Bündnisbestrebimgen
— nämlich daß nach der Meinung Frankreichs die Okkupation im Interesse
der gesetzlichen Ordnung und Ruhe nicht nötig wäre — niemals eintreten wird.
Wir müssen auseinandersetzen, daß wir genau dasselbe in Ägypten gelernt
haben, und daß es unsrerseits ein ebenso großes Verbrechen und eine ebenso
große Thorheit wäre, Ägypten zu verlassen, als es auf seiten Frankreichs sein
würde, Tunis aufzugeben." Italien darf natürlich nicht im Stich gelassen
werden. England muß es für Italien der Mühe wert machen, Ersatz dafür
bieten, sich vom Dreibunde zurückzuziehen, und muß ihm den Schutz seiner
Küsten verbürgen, und zwar dadurch, daß es sich von Frankreich versprechen
läßt, keinen Angriff zu machen, und daß es Italien mit seiner Flotte unter¬
stützt, wenn das Versprechen gebrochen würde. „Es ist nicht wahrscheinlich,
meint Mr. Stranses, daß Italien ein solches Anerbieten zurückweisen würde.
Es könnte sich dadurch vor dem Bankrott bewahren und die erdrückenden Un¬
kosten für das Heer ersparen. Der Gewinn würde in der That außerordent¬
lich groß sein. Überdies würde es leicht sein, den Wechsel in der Parteistellung
für Italien durch ein Abkommen noch anziehender zu machen, wonach es ihm
gestattet würde, Tripolis und die cyrcnäische Halbinsel in Besitz zu nehmen."
Daß es Italien nicht in den Sinn kommen wird, den wirklichen Schutz, den
ihm der Dreibund gewährt, für die mehr als problematische Hilfe Englands
aufzugeben, dieser Gedanke scheint Mr. Strachey nicht gekommen zu sein. Andrer¬
seits fühlt er aber, daß er mit einfachen Schlußfolgerungen, die sich aus einem
Vergleich der Stellung Englands zu Ägypten und Frankreichs zu Tunis er¬
geben, die Freundschaft des französischen Volks nicht gewinnen kann. Er
rechnet daher darauf, daß sich die Franzosen vielleicht durch die Hoffnung
ködern lassen, daß ihnen die Isolirung Deutschlands Gelegenheit zur Wieder¬
gewinnung von Elsaß-Lothringen geben würde, und eröffnet ihnen ferner die
Aussicht, daß ihnen England bei der zu erwartenden Teilung der Türkei fehr
gern Syrien und Palästina zusprechen würde. Aber es ist natürlich ebenso
unwahrscheinlich, daß Frankreich seine Ansprüche auf Ägypten aufgeben und
sich mit Versprechungen über Dinge, die England nicht zu verschenken hat, ab¬
speisen lassen wird, wie es gewiß-ist, daß sich Nußland nicht einfach deshalb
in den Besitz von Konstantinopel setzen kann, weil England nichts da¬
gegen hat.
Aber abgesehen von der Frage, ob die Vorschläge ausführbar sind oder
nicht, ist es an und für sich von großem Interesse, zu beobachten, wie es die
öffentliche Meinung in England, unter völliger Verleugnung der Grundsätze,
die ihr sür die britische Politik des ganzen neunzehnten Jahrhunderts als un¬
umstößlich galten, allgemein und mit anscheinendem Gleichmut als ein unver¬
meidliches Verhängnis auffaßt, daß Nußland bis an das Mittelmeer vordringt,
vorläufig allermindestens einen kleinasiatischen Hafen als Flottenstativn vom
Sultan erhält und andrerseits auch im Stillen Ozean einen eisfreien Hafen
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