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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Englische Bündnisbestrebungen

Flotte zu haben! Schiffe zu bauen ist heutzutage einfach eine Geldsache. Nu߬
land wird seine Seemacht in einer von England zu fürchtenden Weise nur
dann verstärken, wenn es die Ausgaben für der Mühe wert hält. Aber ich
bin entschieden der Ansicht, daß Nußland diese Ausgaben viel mehr für der
Mühe wert halten wird, wenn es Konstantinipel nicht besitzt, als wenn es
Konstantinopel besetzt hält." Über verschiedne andre Rücksichten setzt sich Mr.
Stranses leicht hinweg, u. ni. auch über den EinWurf, daß Rußlands Vor-
schreiten bis Konstantinopel eine Bedrohung des britischen Handels bedeuten
könnte- Er kommt zu dein Schluß, daß England, wenn es die moskowitische
Macht nicht durch Waffengewalt an der Besetzung Konstantinopels verhindern
wolle, gar nicht besser thun könne, als Rußland gegenüber freimütig zu be¬
kennen, daß die britische Politik eine Frontverändernng vollzogen habe, und
daß England mit wohlwollendster Miene zuschauen würde, wenn sich Rußland
des begehrten Preises bemächtigte; nur müßte Rußland gestatten, daß England
im Besitz von Ägypten bliebe, und wenn es sür nötig erachtet würde, von
einer griechischen Insel, die als Marinestation dienen könnte, Besitz ergriffe.
Ans die Frage, wie Österreich zu behandeln sei, erwidert Mr. Stranses: "Das
scheint allerdings eine sehr harte Nuß zu sein; aber wir können nicht davon
abstehen, Maßregeln zur Abwehr des feindlichen Auftretens Deutschlands zu
treffen, nur weil Deutschland gerade ein Bündnis mit unserm guten Freunde
dem Kaiser von Österreich hat. Alles, was wir thun können -- und das
würde wohl auch genügen--, besteht darin, daß wir Österreich erklären, daß
wenn das türkische Reich dnrch die Besetzung Konstantinopels durch Rußland
unabwendbar zerstört wird, unser Einfluß entschieden zur Unterstützung seiner
Ansprüche auf Salonichi und Makedonien geltend gemacht werden soll. Indem
wir dies thun, würden wir Österreich alles geben, was es in Wirklichkeit
braucht und würden ihm die kleinen diplomatischen Dienste, die es uns, un¬
gleich Deutschland, stets in loyalster Weise erwiesen hat, dadurch zugleich wieder
vergelten. Zwar ist es nicht imstande gewesen, uns irgend welche besonders
wesentliche Hilfe zu leiste", aber das war nicht sein Fehler, sondern nur die
Folge seiner geographischen Lage." Aber wie wird England die Freundschaft
Frankreichs und Italiens gewinnen? Ägypten darf unter keiner Bedingung
aufgegeben werden, und Mr. Strachey giebt nun folgenden Rat: "Wir sollten
zu Frankreich sagen, daß wir in Ägypten denselben Fehler begangen haben,
den es in Tunis gemacht hat. Als Frankreich Tunis besetzte, erklärte es Eng¬
land und Italien und Europa im allgemeinen, daß es nicht beabsichtige, Tunis
zu nnnektiren oder es dauernd besetzt zu halten, und es schloß einen Vertrag
mit dem Bey ab, in dem gewisse Bedingungen für die Räumung ausdrücklich
borgesehen waren. Aber Frankreich hat gefunden, gerade wie wir es in Ägypten
gefunden haben, daß es leichter ist, ein orientalisches Land zu besetzen, als es
zu räumen, und es weiß jetzt, daß die mit dem Bey vereinbarte Bedingung


Englische Bündnisbestrebungen

Flotte zu haben! Schiffe zu bauen ist heutzutage einfach eine Geldsache. Nu߬
land wird seine Seemacht in einer von England zu fürchtenden Weise nur
dann verstärken, wenn es die Ausgaben für der Mühe wert hält. Aber ich
bin entschieden der Ansicht, daß Nußland diese Ausgaben viel mehr für der
Mühe wert halten wird, wenn es Konstantinipel nicht besitzt, als wenn es
Konstantinopel besetzt hält." Über verschiedne andre Rücksichten setzt sich Mr.
Stranses leicht hinweg, u. ni. auch über den EinWurf, daß Rußlands Vor-
schreiten bis Konstantinopel eine Bedrohung des britischen Handels bedeuten
könnte- Er kommt zu dein Schluß, daß England, wenn es die moskowitische
Macht nicht durch Waffengewalt an der Besetzung Konstantinopels verhindern
wolle, gar nicht besser thun könne, als Rußland gegenüber freimütig zu be¬
kennen, daß die britische Politik eine Frontverändernng vollzogen habe, und
daß England mit wohlwollendster Miene zuschauen würde, wenn sich Rußland
des begehrten Preises bemächtigte; nur müßte Rußland gestatten, daß England
im Besitz von Ägypten bliebe, und wenn es sür nötig erachtet würde, von
einer griechischen Insel, die als Marinestation dienen könnte, Besitz ergriffe.
Ans die Frage, wie Österreich zu behandeln sei, erwidert Mr. Stranses: „Das
scheint allerdings eine sehr harte Nuß zu sein; aber wir können nicht davon
abstehen, Maßregeln zur Abwehr des feindlichen Auftretens Deutschlands zu
treffen, nur weil Deutschland gerade ein Bündnis mit unserm guten Freunde
dem Kaiser von Österreich hat. Alles, was wir thun können — und das
würde wohl auch genügen—, besteht darin, daß wir Österreich erklären, daß
wenn das türkische Reich dnrch die Besetzung Konstantinopels durch Rußland
unabwendbar zerstört wird, unser Einfluß entschieden zur Unterstützung seiner
Ansprüche auf Salonichi und Makedonien geltend gemacht werden soll. Indem
wir dies thun, würden wir Österreich alles geben, was es in Wirklichkeit
braucht und würden ihm die kleinen diplomatischen Dienste, die es uns, un¬
gleich Deutschland, stets in loyalster Weise erwiesen hat, dadurch zugleich wieder
vergelten. Zwar ist es nicht imstande gewesen, uns irgend welche besonders
wesentliche Hilfe zu leiste«, aber das war nicht sein Fehler, sondern nur die
Folge seiner geographischen Lage." Aber wie wird England die Freundschaft
Frankreichs und Italiens gewinnen? Ägypten darf unter keiner Bedingung
aufgegeben werden, und Mr. Strachey giebt nun folgenden Rat: „Wir sollten
zu Frankreich sagen, daß wir in Ägypten denselben Fehler begangen haben,
den es in Tunis gemacht hat. Als Frankreich Tunis besetzte, erklärte es Eng¬
land und Italien und Europa im allgemeinen, daß es nicht beabsichtige, Tunis
zu nnnektiren oder es dauernd besetzt zu halten, und es schloß einen Vertrag
mit dem Bey ab, in dem gewisse Bedingungen für die Räumung ausdrücklich
borgesehen waren. Aber Frankreich hat gefunden, gerade wie wir es in Ägypten
gefunden haben, daß es leichter ist, ein orientalisches Land zu besetzen, als es
zu räumen, und es weiß jetzt, daß die mit dem Bey vereinbarte Bedingung


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[0365] Englische Bündnisbestrebungen Flotte zu haben! Schiffe zu bauen ist heutzutage einfach eine Geldsache. Nu߬ land wird seine Seemacht in einer von England zu fürchtenden Weise nur dann verstärken, wenn es die Ausgaben für der Mühe wert hält. Aber ich bin entschieden der Ansicht, daß Nußland diese Ausgaben viel mehr für der Mühe wert halten wird, wenn es Konstantinipel nicht besitzt, als wenn es Konstantinopel besetzt hält." Über verschiedne andre Rücksichten setzt sich Mr. Stranses leicht hinweg, u. ni. auch über den EinWurf, daß Rußlands Vor- schreiten bis Konstantinopel eine Bedrohung des britischen Handels bedeuten könnte- Er kommt zu dein Schluß, daß England, wenn es die moskowitische Macht nicht durch Waffengewalt an der Besetzung Konstantinopels verhindern wolle, gar nicht besser thun könne, als Rußland gegenüber freimütig zu be¬ kennen, daß die britische Politik eine Frontverändernng vollzogen habe, und daß England mit wohlwollendster Miene zuschauen würde, wenn sich Rußland des begehrten Preises bemächtigte; nur müßte Rußland gestatten, daß England im Besitz von Ägypten bliebe, und wenn es sür nötig erachtet würde, von einer griechischen Insel, die als Marinestation dienen könnte, Besitz ergriffe. Ans die Frage, wie Österreich zu behandeln sei, erwidert Mr. Stranses: „Das scheint allerdings eine sehr harte Nuß zu sein; aber wir können nicht davon abstehen, Maßregeln zur Abwehr des feindlichen Auftretens Deutschlands zu treffen, nur weil Deutschland gerade ein Bündnis mit unserm guten Freunde dem Kaiser von Österreich hat. Alles, was wir thun können — und das würde wohl auch genügen—, besteht darin, daß wir Österreich erklären, daß wenn das türkische Reich dnrch die Besetzung Konstantinopels durch Rußland unabwendbar zerstört wird, unser Einfluß entschieden zur Unterstützung seiner Ansprüche auf Salonichi und Makedonien geltend gemacht werden soll. Indem wir dies thun, würden wir Österreich alles geben, was es in Wirklichkeit braucht und würden ihm die kleinen diplomatischen Dienste, die es uns, un¬ gleich Deutschland, stets in loyalster Weise erwiesen hat, dadurch zugleich wieder vergelten. Zwar ist es nicht imstande gewesen, uns irgend welche besonders wesentliche Hilfe zu leiste«, aber das war nicht sein Fehler, sondern nur die Folge seiner geographischen Lage." Aber wie wird England die Freundschaft Frankreichs und Italiens gewinnen? Ägypten darf unter keiner Bedingung aufgegeben werden, und Mr. Strachey giebt nun folgenden Rat: „Wir sollten zu Frankreich sagen, daß wir in Ägypten denselben Fehler begangen haben, den es in Tunis gemacht hat. Als Frankreich Tunis besetzte, erklärte es Eng¬ land und Italien und Europa im allgemeinen, daß es nicht beabsichtige, Tunis zu nnnektiren oder es dauernd besetzt zu halten, und es schloß einen Vertrag mit dem Bey ab, in dem gewisse Bedingungen für die Räumung ausdrücklich borgesehen waren. Aber Frankreich hat gefunden, gerade wie wir es in Ägypten gefunden haben, daß es leichter ist, ein orientalisches Land zu besetzen, als es zu räumen, und es weiß jetzt, daß die mit dem Bey vereinbarte Bedingung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/365>, abgerufen am 01.09.2024.