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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Aunst

es würde doch sehr einsam werden, ganz ohne sie. Was sollte er schließlich
mit seinem Gelde? Und wenn Vcmrile wirklich ein großer Künstler würde --
Herrn Vierman könnte man ja wohl beruhigen, wenn es nicht anders ginge,
man brauchte sich deshalb nicht mit ihm zu verfeinden. Aber sie sollten we¬
nigstens einlenken, die beiden, und nicht thun, als ob es ganz gleichgiltig wäre,
ob sie sein Geld bekämen oder nicht.

Es ist selbstverständlich, sagte Herr Moller endlich scharf, und Sie werden
darüber selbst nicht im Zweifel sein, daß Fräulein von Haltern nicht von meinem
Hause aus die Hochzeit feiern kann. Sie werden die Güte haben, mir recht¬
zeitig mitzuteilen, welche Familie Fräulein von Haltern zu diesem Zweck auf¬
nehmen wird.

Erika wurde doch etwas bleich, und Tante Jda begann herzbrechend zu
schluchzen.

Ich habe mir so etwas gedacht, Verehrtester, ich komme vom Geheimrat
Boden. Man hat mir eine sehr gute Laufbahn angeboten, und ich habe die
Vorschläge angenommen, ich bleibe in Dresden. Ich habe ihm und seiner Frau
-- es sind außerordentlich liebe Leute -- anch von meinem Geschick und von
meiner Liebe erzählt und von der hohen Wahrscheinlichkeit, daß es so kommen
würde, wie es jetzt gekommen ist.

Damit wandte er sich halb zu Erika. Frau Geheimrnt stellt sich uns
zur Verfügung, Liebling. Sie hat mich ermächtigt, Herr Senator, Ihnen zu
erklären, daß sie es sich zur Ehre schätzen würde, meine Vraut aufzunehmen.
Ich werde sie benachrichtigen, und sie wird sie heute Nachmittag noch persön-
lich bei Ihnen abholen.

So fiel auch Onkel Möllers letzter Pfeil vor dem Ziele in den Sand,
und damit endete Herrn Albert Biermans Brautreise. --

Seitdem ist Jahr und Tag vergangen. Vanrile ist ein sehr berühmter
Künstler geworden und auch ein Lehrer von großem Ruf. Seine Schüler
hängen an ihrem Meister, wie die akademische Jugend nur hängt um denen, die
große Künstler und zugleich große Menschen sind. Die Bevorzugtesten unter
ihnen verkehren in seinem Hanse und helfen ihm seine Frau anbeten. Wird
er geliebt und verehrt, so wird sie vergöttert.

Aber nicht nur aus die Vertrauten wirkt er. Denn wer anch immer die
große Eingangshalle des Ausstellungsgebäudes auf der Brühlschen Terrasse
betritt, den bannt sein Werk. Ans einer Nische des Vestibulnms, dem Haupt-
portal gegenüber, tritt sie heraus, wie aus den innern Räumen kommend, die
ihre Schütze bergen. Hehr, blond, Sieg und Herrlichkeit in dem Blick der blauen
Augen, will sie'herabsteigen zu den armen Sterblichen. Nicht Attribute, nicht
hilflose Abzeichen entweihen ihre heilige Größe, nichts steht an dem Sockel ge¬
schrieben. Hinreißend schön schimmert der Götterleib durch die zarten Falten
des lichtblauen Marmvrgcwandes, ein Zauber strömt aus von ihren Segen
spendenden Händen, und die draußen dumm, plump, niedrig waren im Schein
der Werkeltagssonne, suhlen sich erbeben in frohen, erhebenden Schauern, und
leise flüstert es durch die hohe Halle: Die Kunst!




Die Aunst

es würde doch sehr einsam werden, ganz ohne sie. Was sollte er schließlich
mit seinem Gelde? Und wenn Vcmrile wirklich ein großer Künstler würde —
Herrn Vierman könnte man ja wohl beruhigen, wenn es nicht anders ginge,
man brauchte sich deshalb nicht mit ihm zu verfeinden. Aber sie sollten we¬
nigstens einlenken, die beiden, und nicht thun, als ob es ganz gleichgiltig wäre,
ob sie sein Geld bekämen oder nicht.

Es ist selbstverständlich, sagte Herr Moller endlich scharf, und Sie werden
darüber selbst nicht im Zweifel sein, daß Fräulein von Haltern nicht von meinem
Hause aus die Hochzeit feiern kann. Sie werden die Güte haben, mir recht¬
zeitig mitzuteilen, welche Familie Fräulein von Haltern zu diesem Zweck auf¬
nehmen wird.

Erika wurde doch etwas bleich, und Tante Jda begann herzbrechend zu
schluchzen.

Ich habe mir so etwas gedacht, Verehrtester, ich komme vom Geheimrat
Boden. Man hat mir eine sehr gute Laufbahn angeboten, und ich habe die
Vorschläge angenommen, ich bleibe in Dresden. Ich habe ihm und seiner Frau
— es sind außerordentlich liebe Leute — anch von meinem Geschick und von
meiner Liebe erzählt und von der hohen Wahrscheinlichkeit, daß es so kommen
würde, wie es jetzt gekommen ist.

Damit wandte er sich halb zu Erika. Frau Geheimrnt stellt sich uns
zur Verfügung, Liebling. Sie hat mich ermächtigt, Herr Senator, Ihnen zu
erklären, daß sie es sich zur Ehre schätzen würde, meine Vraut aufzunehmen.
Ich werde sie benachrichtigen, und sie wird sie heute Nachmittag noch persön-
lich bei Ihnen abholen.

So fiel auch Onkel Möllers letzter Pfeil vor dem Ziele in den Sand,
und damit endete Herrn Albert Biermans Brautreise. —

Seitdem ist Jahr und Tag vergangen. Vanrile ist ein sehr berühmter
Künstler geworden und auch ein Lehrer von großem Ruf. Seine Schüler
hängen an ihrem Meister, wie die akademische Jugend nur hängt um denen, die
große Künstler und zugleich große Menschen sind. Die Bevorzugtesten unter
ihnen verkehren in seinem Hanse und helfen ihm seine Frau anbeten. Wird
er geliebt und verehrt, so wird sie vergöttert.

Aber nicht nur aus die Vertrauten wirkt er. Denn wer anch immer die
große Eingangshalle des Ausstellungsgebäudes auf der Brühlschen Terrasse
betritt, den bannt sein Werk. Ans einer Nische des Vestibulnms, dem Haupt-
portal gegenüber, tritt sie heraus, wie aus den innern Räumen kommend, die
ihre Schütze bergen. Hehr, blond, Sieg und Herrlichkeit in dem Blick der blauen
Augen, will sie'herabsteigen zu den armen Sterblichen. Nicht Attribute, nicht
hilflose Abzeichen entweihen ihre heilige Größe, nichts steht an dem Sockel ge¬
schrieben. Hinreißend schön schimmert der Götterleib durch die zarten Falten
des lichtblauen Marmvrgcwandes, ein Zauber strömt aus von ihren Segen
spendenden Händen, und die draußen dumm, plump, niedrig waren im Schein
der Werkeltagssonne, suhlen sich erbeben in frohen, erhebenden Schauern, und
leise flüstert es durch die hohe Halle: Die Kunst!




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[0347] Die Aunst es würde doch sehr einsam werden, ganz ohne sie. Was sollte er schließlich mit seinem Gelde? Und wenn Vcmrile wirklich ein großer Künstler würde — Herrn Vierman könnte man ja wohl beruhigen, wenn es nicht anders ginge, man brauchte sich deshalb nicht mit ihm zu verfeinden. Aber sie sollten we¬ nigstens einlenken, die beiden, und nicht thun, als ob es ganz gleichgiltig wäre, ob sie sein Geld bekämen oder nicht. Es ist selbstverständlich, sagte Herr Moller endlich scharf, und Sie werden darüber selbst nicht im Zweifel sein, daß Fräulein von Haltern nicht von meinem Hause aus die Hochzeit feiern kann. Sie werden die Güte haben, mir recht¬ zeitig mitzuteilen, welche Familie Fräulein von Haltern zu diesem Zweck auf¬ nehmen wird. Erika wurde doch etwas bleich, und Tante Jda begann herzbrechend zu schluchzen. Ich habe mir so etwas gedacht, Verehrtester, ich komme vom Geheimrat Boden. Man hat mir eine sehr gute Laufbahn angeboten, und ich habe die Vorschläge angenommen, ich bleibe in Dresden. Ich habe ihm und seiner Frau — es sind außerordentlich liebe Leute — anch von meinem Geschick und von meiner Liebe erzählt und von der hohen Wahrscheinlichkeit, daß es so kommen würde, wie es jetzt gekommen ist. Damit wandte er sich halb zu Erika. Frau Geheimrnt stellt sich uns zur Verfügung, Liebling. Sie hat mich ermächtigt, Herr Senator, Ihnen zu erklären, daß sie es sich zur Ehre schätzen würde, meine Vraut aufzunehmen. Ich werde sie benachrichtigen, und sie wird sie heute Nachmittag noch persön- lich bei Ihnen abholen. So fiel auch Onkel Möllers letzter Pfeil vor dem Ziele in den Sand, und damit endete Herrn Albert Biermans Brautreise. — Seitdem ist Jahr und Tag vergangen. Vanrile ist ein sehr berühmter Künstler geworden und auch ein Lehrer von großem Ruf. Seine Schüler hängen an ihrem Meister, wie die akademische Jugend nur hängt um denen, die große Künstler und zugleich große Menschen sind. Die Bevorzugtesten unter ihnen verkehren in seinem Hanse und helfen ihm seine Frau anbeten. Wird er geliebt und verehrt, so wird sie vergöttert. Aber nicht nur aus die Vertrauten wirkt er. Denn wer anch immer die große Eingangshalle des Ausstellungsgebäudes auf der Brühlschen Terrasse betritt, den bannt sein Werk. Ans einer Nische des Vestibulnms, dem Haupt- portal gegenüber, tritt sie heraus, wie aus den innern Räumen kommend, die ihre Schütze bergen. Hehr, blond, Sieg und Herrlichkeit in dem Blick der blauen Augen, will sie'herabsteigen zu den armen Sterblichen. Nicht Attribute, nicht hilflose Abzeichen entweihen ihre heilige Größe, nichts steht an dem Sockel ge¬ schrieben. Hinreißend schön schimmert der Götterleib durch die zarten Falten des lichtblauen Marmvrgcwandes, ein Zauber strömt aus von ihren Segen spendenden Händen, und die draußen dumm, plump, niedrig waren im Schein der Werkeltagssonne, suhlen sich erbeben in frohen, erhebenden Schauern, und leise flüstert es durch die hohe Halle: Die Kunst!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/347>, abgerufen am 25.11.2024.