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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Die Runst

können, daß der andre spielend über das hinweggehen würde, was er für die
Hauptfrage gehalten hatte! Nicht einmal eine Bitte hatte er vorgebracht,
keinerlei Ausweg vorgeschlagen. Und er und Biermcm hatten so fest darauf
gerechnet, daß sich ein Mann wie Vanrile, dem sich nun doch in einer Stadt
wie Dresden vielfache Gelegenheit zu guten Partien bieten müßte, nicht dazu
verstehen würde, eine Frau zu nehmen, die keinen Pfennig Mitgift und keinen
Pfennig Erbe zu erwarten hatte. Sie hatten beide angenommen, daß er sich
unter irgend welchem Vorwande zurückziehen würde, daß gerade dadurch Erika
geheilt werden würde, und daß dann der frühere Plan später wieder auf¬
genommen werden könnte. Vielleicht, hatten sie gemeint, wäre dies sogar ein
Mittel, sie recht rasch zu bewegen, Herrn Albert Biermcm zu nehmen. Es
wäre zwar zunächst eine Ehe aus Trotz und Ärger gewesen, sie Hütte ihn
zunächst nur genommen, um dem andern, um Vanrile zu zeigen, daß er ihr
ganz und gar nicht das Herz gebrochen hätte, aber daran Hütte sich Herr
Biermcm nicht gestoßen, er konnte zuweilen auch bescheiden sein,

Mit alledem war es nun nichts. Herr Moller kam sich vor wie ein
Händler, der darauf gerechnet hat, daß man ihn zurückrufen werde, wenn
er nur wegginge, und der nun draußen an der Thür steht und vergeblich
horcht.

Er knirschte. Aber die Damen wurden gerufen. Er sah es seiner Frau
beim Eintritt an, daß sie sich inzwischen längst hatte überreden lassen, daß sie
schon vollständig auf Seiten ihrer Nichte stand. Das verbitterte ihn noch
mehr. Und diesmal kam er auch nicht dazu, die Führung zu übernehmen,
deun mit dem Rufe: Lieber, lieber Erich! war Erika dem Mann im Frack um
den Hals geflogen.

Und Erich sagte lächelnd, indem er sie küßte: Kleine Maus, dein Onkel
hat seine Einwilligung gegeben.

Schon wollte sich Erika losreißen, um den alten Onkel dankbar abzu¬
küssen, aber sie fühlte sich festgehalten.

Doch unter einer Bedingung, fuhr Erich fort, du bekommst keine Aus¬
stattung, keine Mitgift und wirst enterbe. Ich muß also das Geld für unser
herrliches Leben alles selber verdienen. Du wirst, namentlich zuerst, etwas
vorsichtig sein müssen, besonders im Bestellen neuer Kleider, und kannst keinen
unbegrenzten Kredit beanspruchen für deine Hüte, vielleicht mußt du sogar
etwas sparsamer werden mit deinen Handschuhen, und vor allem werden mir
keine Villa an der Wiener Straße, sondern ein Häuschen in Plauen oder in
Königswald bewohnen. Willst du um, bitte, deinem Herrn Onkel erklären,
ob du trotzdem auf dem thörichten Vorsatze beharrst, Erich Vanrile heiraten
zu wollen?

Sie richtete sich auf, sah ihren Onkel fest an und sagte kurz und bestimmt:
Allerdings, Onkel.

Die Verachtung, die in ihrer Stimme lag, that ihm doch weh. Und noch
weher that es ihm, daß sie jetzt zu ihrer kleinen Tante ging und sie streichelte,
beruhigte und tröstete: Aber, Tauenden, das ist doch ganz Nebensache. Komm,
gräme dich nicht, freue dich über mein großes, großes Glück!

Da kam dem Onkel noch ein Gedanke, die andern wenigstens dazu zu
bringen, daß sie ihn um einigen guten Willen bäten und ihm dadurch Gelegen¬
heit gäben, sein so schroff gegebnes Wort zurückzunehmen und wieder Einfluß
auf den Gang der Ereignisse zu gewinnen. Wenn sie noch etwas warteten --


Die Runst

können, daß der andre spielend über das hinweggehen würde, was er für die
Hauptfrage gehalten hatte! Nicht einmal eine Bitte hatte er vorgebracht,
keinerlei Ausweg vorgeschlagen. Und er und Biermcm hatten so fest darauf
gerechnet, daß sich ein Mann wie Vanrile, dem sich nun doch in einer Stadt
wie Dresden vielfache Gelegenheit zu guten Partien bieten müßte, nicht dazu
verstehen würde, eine Frau zu nehmen, die keinen Pfennig Mitgift und keinen
Pfennig Erbe zu erwarten hatte. Sie hatten beide angenommen, daß er sich
unter irgend welchem Vorwande zurückziehen würde, daß gerade dadurch Erika
geheilt werden würde, und daß dann der frühere Plan später wieder auf¬
genommen werden könnte. Vielleicht, hatten sie gemeint, wäre dies sogar ein
Mittel, sie recht rasch zu bewegen, Herrn Albert Biermcm zu nehmen. Es
wäre zwar zunächst eine Ehe aus Trotz und Ärger gewesen, sie Hütte ihn
zunächst nur genommen, um dem andern, um Vanrile zu zeigen, daß er ihr
ganz und gar nicht das Herz gebrochen hätte, aber daran Hütte sich Herr
Biermcm nicht gestoßen, er konnte zuweilen auch bescheiden sein,

Mit alledem war es nun nichts. Herr Moller kam sich vor wie ein
Händler, der darauf gerechnet hat, daß man ihn zurückrufen werde, wenn
er nur wegginge, und der nun draußen an der Thür steht und vergeblich
horcht.

Er knirschte. Aber die Damen wurden gerufen. Er sah es seiner Frau
beim Eintritt an, daß sie sich inzwischen längst hatte überreden lassen, daß sie
schon vollständig auf Seiten ihrer Nichte stand. Das verbitterte ihn noch
mehr. Und diesmal kam er auch nicht dazu, die Führung zu übernehmen,
deun mit dem Rufe: Lieber, lieber Erich! war Erika dem Mann im Frack um
den Hals geflogen.

Und Erich sagte lächelnd, indem er sie küßte: Kleine Maus, dein Onkel
hat seine Einwilligung gegeben.

Schon wollte sich Erika losreißen, um den alten Onkel dankbar abzu¬
küssen, aber sie fühlte sich festgehalten.

Doch unter einer Bedingung, fuhr Erich fort, du bekommst keine Aus¬
stattung, keine Mitgift und wirst enterbe. Ich muß also das Geld für unser
herrliches Leben alles selber verdienen. Du wirst, namentlich zuerst, etwas
vorsichtig sein müssen, besonders im Bestellen neuer Kleider, und kannst keinen
unbegrenzten Kredit beanspruchen für deine Hüte, vielleicht mußt du sogar
etwas sparsamer werden mit deinen Handschuhen, und vor allem werden mir
keine Villa an der Wiener Straße, sondern ein Häuschen in Plauen oder in
Königswald bewohnen. Willst du um, bitte, deinem Herrn Onkel erklären,
ob du trotzdem auf dem thörichten Vorsatze beharrst, Erich Vanrile heiraten
zu wollen?

Sie richtete sich auf, sah ihren Onkel fest an und sagte kurz und bestimmt:
Allerdings, Onkel.

Die Verachtung, die in ihrer Stimme lag, that ihm doch weh. Und noch
weher that es ihm, daß sie jetzt zu ihrer kleinen Tante ging und sie streichelte,
beruhigte und tröstete: Aber, Tauenden, das ist doch ganz Nebensache. Komm,
gräme dich nicht, freue dich über mein großes, großes Glück!

Da kam dem Onkel noch ein Gedanke, die andern wenigstens dazu zu
bringen, daß sie ihn um einigen guten Willen bäten und ihm dadurch Gelegen¬
heit gäben, sein so schroff gegebnes Wort zurückzunehmen und wieder Einfluß
auf den Gang der Ereignisse zu gewinnen. Wenn sie noch etwas warteten —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/346>, abgerufen am 25.11.2024.