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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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U?ar viirer ein Papist?

immer die Meinung vertreten, daß Dürer zwar persönlich ein Freund und
Bewundrer Luthers gewesen sei, daß er aber als Künstler durchaus auf dein
Boden der katholischen Kirche gestanden habe. Daß sich beides sehr gut mit
einander verträgt, ergiebt sich ans einer ganz einfachen chronologischen Er¬
wägung. Luther schlug seine Thesen an die Thür der Wittenberger Schlo߬
kirche im Jahre 1517 an. Den eigentlichen Bruch mit der päpstlichen Kirche
vollzog er erst 1521. Dürer starb aber schon 1528. Er konnte also höchstens
in seinen letzten sieben Jahren ein lutherischer Künstler sein.

Ju der That läßt sich der Umschwung, der damals mit seiner Kunst vor
sich ging, deutlich daran erkennen, daß er in den letzten Jahren seines Lebens,
abgesehen von den Bildern der Evangelisten und verwandten Kupferstichen, die
eine besondre evangelische Bedeutung haben, nur sehr wenig kirchliche oder
sagen wir besser biblische Darstellungen geschaffen hat. Nicht als ob diese für
ihn als Lutheraner anstößig gewesen wären -- die biblische Malerei ist weder
von Luther noch von seinen Anhängern, sondern nur von den Bilderstürmer"
verachtet worden sondern er hatte in dem lutherisch gewordnen Nürnberg
keine oder nur wenig Gelegenheit mehr zu kirchlichen Schöpfungen. So treten
denn in den letzten Jahren bei ihm die gemalten und gestochnen Bildnisse und
vor allem die theoretischen Studien mehr in den Vordergrund. Dürer hat
also bei weitem die meisten seiner religiösen Bilder, Stiche und Holzschnitte
vor dem Auftreten Luthers geschaffen, und es wäre deshalb ganz vergeblich,
in ihnen irgend einen Hinweis auf die Reformation oder gar irgend eine Spur
lutherischer Gesinnung erkennen zu wollen. Wenn das früher protestantische
Forscher wie Retberg, Thausing, Lützow und andre doch zuWeile" ver¬
sucht haben, so ist das nur ein Beweis, daß diese ganze Frage auch von
protestantischer Seite nicht immer mit der nötigen Besonnenheit behandelt
worden ist, wodurch dann wieder die katholischen Forscher gereizt wurden,
ihrerseits in der andern Richtung über das Ziel hinauszuschießen. Die Sucht,
nach Reformatoren vor der Reformation zu suchen, hat ja überhaupt seit einiger
Zeit sehr abgenommen, und heutzutage fällt es keinem Kenner der Reformations-
zeit und keinem Dürerforscher mehr ein, etwa in den Holzschnitten der Apo¬
kalypse oder im Wiener Allerheiligenbild oder in den genrehaft aufgefaßten
Szenen des Marienlebens irgend einen spezifisch evangelischen Charakter zu
wittern. Realistisch und in gewisser Weise weltlich gehalten sind ja die Bilder
und Kunstblätter Dürers vor der Reformation zum größten Teil. Aber dieser
Realismus hat nichts, was besonders an Luthertum erinnerte, er ist aus Be¬
strebungen hervorgegangen, die in der deutschen Kunst längst vorbereitet
waren, und die man genau mit demselben Recht katholisch wie protestantisch
nennen kann.

Wenn man aber in Dürers Kunstwerken vor dem Jahre 1520 nichts
von lutherischen Ideen erkennen kann, so wird man noch weniger erwarten


U?ar viirer ein Papist?

immer die Meinung vertreten, daß Dürer zwar persönlich ein Freund und
Bewundrer Luthers gewesen sei, daß er aber als Künstler durchaus auf dein
Boden der katholischen Kirche gestanden habe. Daß sich beides sehr gut mit
einander verträgt, ergiebt sich ans einer ganz einfachen chronologischen Er¬
wägung. Luther schlug seine Thesen an die Thür der Wittenberger Schlo߬
kirche im Jahre 1517 an. Den eigentlichen Bruch mit der päpstlichen Kirche
vollzog er erst 1521. Dürer starb aber schon 1528. Er konnte also höchstens
in seinen letzten sieben Jahren ein lutherischer Künstler sein.

Ju der That läßt sich der Umschwung, der damals mit seiner Kunst vor
sich ging, deutlich daran erkennen, daß er in den letzten Jahren seines Lebens,
abgesehen von den Bildern der Evangelisten und verwandten Kupferstichen, die
eine besondre evangelische Bedeutung haben, nur sehr wenig kirchliche oder
sagen wir besser biblische Darstellungen geschaffen hat. Nicht als ob diese für
ihn als Lutheraner anstößig gewesen wären — die biblische Malerei ist weder
von Luther noch von seinen Anhängern, sondern nur von den Bilderstürmer»
verachtet worden sondern er hatte in dem lutherisch gewordnen Nürnberg
keine oder nur wenig Gelegenheit mehr zu kirchlichen Schöpfungen. So treten
denn in den letzten Jahren bei ihm die gemalten und gestochnen Bildnisse und
vor allem die theoretischen Studien mehr in den Vordergrund. Dürer hat
also bei weitem die meisten seiner religiösen Bilder, Stiche und Holzschnitte
vor dem Auftreten Luthers geschaffen, und es wäre deshalb ganz vergeblich,
in ihnen irgend einen Hinweis auf die Reformation oder gar irgend eine Spur
lutherischer Gesinnung erkennen zu wollen. Wenn das früher protestantische
Forscher wie Retberg, Thausing, Lützow und andre doch zuWeile» ver¬
sucht haben, so ist das nur ein Beweis, daß diese ganze Frage auch von
protestantischer Seite nicht immer mit der nötigen Besonnenheit behandelt
worden ist, wodurch dann wieder die katholischen Forscher gereizt wurden,
ihrerseits in der andern Richtung über das Ziel hinauszuschießen. Die Sucht,
nach Reformatoren vor der Reformation zu suchen, hat ja überhaupt seit einiger
Zeit sehr abgenommen, und heutzutage fällt es keinem Kenner der Reformations-
zeit und keinem Dürerforscher mehr ein, etwa in den Holzschnitten der Apo¬
kalypse oder im Wiener Allerheiligenbild oder in den genrehaft aufgefaßten
Szenen des Marienlebens irgend einen spezifisch evangelischen Charakter zu
wittern. Realistisch und in gewisser Weise weltlich gehalten sind ja die Bilder
und Kunstblätter Dürers vor der Reformation zum größten Teil. Aber dieser
Realismus hat nichts, was besonders an Luthertum erinnerte, er ist aus Be¬
strebungen hervorgegangen, die in der deutschen Kunst längst vorbereitet
waren, und die man genau mit demselben Recht katholisch wie protestantisch
nennen kann.

Wenn man aber in Dürers Kunstwerken vor dem Jahre 1520 nichts
von lutherischen Ideen erkennen kann, so wird man noch weniger erwarten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/285>, abgerufen am 25.11.2024.