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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Vsten und der kochten des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

braucht Maschinen, Werkzeuge, Kohlen, Düngemittel: die erhält er vom Westen.
Daß in der Verbindung beider ein Vorteil liegt, das wird keine künstliche
Fracht- und Absatzverrechnung verdunkeln können. Ja, wenn man Kanäle
baute, die das fremde Getreide hereinbrachte" an Stellen, die ihm bisher nicht
offen standen! Aber ein Kanal, der einen Wasserweg mitten aus dem Agrar-
gebiet mitten ins Industriegebiet schasst innerhalb einer Umrahmung von Schutz¬
zöllen, muß beiden Teilen Nutzen bringen. Wodurch soll denn der Landwirt¬
schaft geholfen werden? Etwa durch die sogenannten kleinen Mittel? Wer
glaubt das noch heute? Aber es kann ihr geholfen werden, wenn man sie
aus ihrer Verkehrsisolirung herausholt, wenn man sie dem Verbrauchsgebiete
näherrückt, wenn man ein Zuströmen der Bevölkerung, eine Steigerung des
Verkehrs an der Grenze ihres Gebiets und bis weit hinein bewirkt, sodaß auch
ihre Werte steigen, auch ihre Erzeugnisse bessere und willigere Nachfrage
finden. Ich sagte schon: die Vorbereitung der Regierungsvorlage war unter
anderm auch nach dieser Richtung mangelhaft und die Beschränkung auf den
Westteil der Vorlage ein Mißgriff. Aber dieser Mißgriff läßt sich verbessern, und
die Landwirte des Ostens werden wohl zu gewinnen sein. Ich habe irgendwo die
Ansicht aussprechen hören, durch den Kanal werde Industrie in Mitteldeutschland
geschaffen werden, diese werde neue Arbeitskräfte an sich ziehen, und diese würden
der östlichen Landwirtschaft verloren gehen. Ich glaube, das Gegenteil von
dem wird eintreten. Oder strömen vielleicht die östlichen Landarbeiter nach
Oberschlesien? Nein, lasse man das gelobte Land der Jndustriearbeit nur näher
an sich heranrücken, dann werden manchem die Augen aufgehen, wenn er es
von nahe sieht, und mancher Sachsengänger wird daheim bleiben, daheim,
wohin sich so mancher zurücksehnt, der fortzog, und dem um Entfernung und
Geldbeutel die Rückkehr zur väterlichen Pflugschar versagen. Der Verkehr
bringt nicht nur den Ausgleich, er bringt auch deu Wohlstand. Bahnen wir ihm
die Wege, auf daß bessere Tage kommen.

Daß wir zwei getrennte Kanalnetze und unter den wirtschaftlichen Nach¬
teilen dieser Einrichtung Gegensätze entwickelt haben, die nicht bestehen sollten,
das ist nur möglich gewesen durch unsre nationale Zersplitterung. Daß wir
jetzt, wo sich die Brücke bietet, zu ihrem Bau wieder nicht einmütig sind,
erinnert an den Grundfehler unsers Volkes. Möge der Osten Wünsche und
Anschlußpläne vortragen, er wird im Westen offne Ohren und Herzen finden.
Aber zunächst helfe er mit an dem großen Werke, das die Brüder des Ostens
und Westens einander nähern soll. "Wer prozessirt, verarmt; wer streitet, wird
ein karger Schlucker." Frankreich ist reich durch das einheitliche Netz seiner
Wasserstraßen. Streben wir ihm nach, nicht indem wir uns bekämpfen, sondern
indem wir uns ergänzen und ausgleichen in Nord und Süd, in Ost und West.




Der Vsten und der kochten des Reichs und der wirtschaftliche Ausgleich

braucht Maschinen, Werkzeuge, Kohlen, Düngemittel: die erhält er vom Westen.
Daß in der Verbindung beider ein Vorteil liegt, das wird keine künstliche
Fracht- und Absatzverrechnung verdunkeln können. Ja, wenn man Kanäle
baute, die das fremde Getreide hereinbrachte» an Stellen, die ihm bisher nicht
offen standen! Aber ein Kanal, der einen Wasserweg mitten aus dem Agrar-
gebiet mitten ins Industriegebiet schasst innerhalb einer Umrahmung von Schutz¬
zöllen, muß beiden Teilen Nutzen bringen. Wodurch soll denn der Landwirt¬
schaft geholfen werden? Etwa durch die sogenannten kleinen Mittel? Wer
glaubt das noch heute? Aber es kann ihr geholfen werden, wenn man sie
aus ihrer Verkehrsisolirung herausholt, wenn man sie dem Verbrauchsgebiete
näherrückt, wenn man ein Zuströmen der Bevölkerung, eine Steigerung des
Verkehrs an der Grenze ihres Gebiets und bis weit hinein bewirkt, sodaß auch
ihre Werte steigen, auch ihre Erzeugnisse bessere und willigere Nachfrage
finden. Ich sagte schon: die Vorbereitung der Regierungsvorlage war unter
anderm auch nach dieser Richtung mangelhaft und die Beschränkung auf den
Westteil der Vorlage ein Mißgriff. Aber dieser Mißgriff läßt sich verbessern, und
die Landwirte des Ostens werden wohl zu gewinnen sein. Ich habe irgendwo die
Ansicht aussprechen hören, durch den Kanal werde Industrie in Mitteldeutschland
geschaffen werden, diese werde neue Arbeitskräfte an sich ziehen, und diese würden
der östlichen Landwirtschaft verloren gehen. Ich glaube, das Gegenteil von
dem wird eintreten. Oder strömen vielleicht die östlichen Landarbeiter nach
Oberschlesien? Nein, lasse man das gelobte Land der Jndustriearbeit nur näher
an sich heranrücken, dann werden manchem die Augen aufgehen, wenn er es
von nahe sieht, und mancher Sachsengänger wird daheim bleiben, daheim,
wohin sich so mancher zurücksehnt, der fortzog, und dem um Entfernung und
Geldbeutel die Rückkehr zur väterlichen Pflugschar versagen. Der Verkehr
bringt nicht nur den Ausgleich, er bringt auch deu Wohlstand. Bahnen wir ihm
die Wege, auf daß bessere Tage kommen.

Daß wir zwei getrennte Kanalnetze und unter den wirtschaftlichen Nach¬
teilen dieser Einrichtung Gegensätze entwickelt haben, die nicht bestehen sollten,
das ist nur möglich gewesen durch unsre nationale Zersplitterung. Daß wir
jetzt, wo sich die Brücke bietet, zu ihrem Bau wieder nicht einmütig sind,
erinnert an den Grundfehler unsers Volkes. Möge der Osten Wünsche und
Anschlußpläne vortragen, er wird im Westen offne Ohren und Herzen finden.
Aber zunächst helfe er mit an dem großen Werke, das die Brüder des Ostens
und Westens einander nähern soll. „Wer prozessirt, verarmt; wer streitet, wird
ein karger Schlucker." Frankreich ist reich durch das einheitliche Netz seiner
Wasserstraßen. Streben wir ihm nach, nicht indem wir uns bekämpfen, sondern
indem wir uns ergänzen und ausgleichen in Nord und Süd, in Ost und West.




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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/26>, abgerufen am 01.09.2024.