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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

Recht der Kündigung des Anschlusses an den Zollverein*) (§ 14). Zum Trans¬
port von Truppen, Waffen, Kriegsmaterial und Munition können die Bahnen
zu keiner Zeit benutzt werden; im Kriegsfalle sind die Verpflichtungen des neu¬
tralen Landes zu achten. Die Wilhelm-Lnxemburggesellschaft bezieht jetzt,
wie früher, einen jährlichen Pachtzins von 3 Millionen Franks von der deut¬
schen Verwaltung; es ist daher nicht recht begreiflich, daß sie der luxembur¬
gischen Regierung nach Abschluß des Vertrags einen Protest zugestellt und
gerichtliche Verfolgung ihrer verletzten Rechtsansprüche angedroht habe, die
jedoch bis jetzt unterblieben ist. Die deutsche Regierung verzichtet auch nach
dem Vertrage darauf, an dem Reingewinn teilzunehmen, bis die von der
luxemburgischen Regierung der Gesellschaft gewährte Unterstützung von 8 Mil¬
lionen Franks zurückgezahlt sein wird. Servais klagt aber, daß dieser Zeit¬
punkt vielleicht vor dem Ende der Vetriebszeit nicht eintreten werde, da die
deutsche Verwaltung durch Herstellung von Doppelgleisen, Erweiterung der
Bahnhöfe, Verstärkung des Vetriebspersvnals so großen Aufwand verursache,
daß es den Anschein gewinne, als habe Deutschland wenig Interesse, aus dem
Betrieb Nutzen für'das Reich zu ziehen.

Eine Genugthuung, die ihm geworden ist, konnte Servais schon 1873
verzeichnen. Ein Luxemburger hatte sich um den Bau einer Bahn von Luxem¬
burg nach Lvngwy beworben. Die deutsche Regierung erklärte, daß sie in
einer Bewilligung des Baues eine Verletzung der Neutralität erblicken würde,
worauf Servais in Berlin vorstellte, daß Deutschland, da es den Betrieb eines
Bahnnetzes, das nach Diedenhofen und Metz führe, für zulässig gehalten habe,
auch den Neubau irgend einer Bahn nicht mehr beanstanden könne. Aber der
Vergleich zwischen dem Betriebe einer vorhandnen und dem Bau einer neuen
Bahn ist nicht zutreffend. Man verhandelte denn auch von Berlin aus mit
Luxemburg nicht weiter, sondern erledigte die Angelegenheit durch den Vertreter
im Haag mit dein Prinzen-Statthalter unmittelbar; der Bau unterblieb.

Bald darauf, im Dezember 1874, erhielt Servais einen ehrenvollen Ab¬
schied und diente fortan als Präsident des Staatsrnts und als Bürgermeister
von Luxemburg seinem Vaterlande bis zu seinem Tode (1890).

Servais bemüht sich, in seinen Denkwürdigkeiten ein sachliches Bild von
dem Gange der Angelegenheiten zu zeichnen, an deren Gestaltung teilzunehmen
er berufen war; hie und da aber blitzt in der Erzählung ein so unverkenn¬
barer Zug der Abneigung gegen Deutschland und insbesondre gegen Preußen
auf, daß wir uns solche Verstöße gegen das Programm staatsniännischer
Sachlichkeit nur durch die Annahme erklären können, der Bürgermeister



") Nach dem Vertrag vom M./2S. Oktober 1865 sollte der Zollanschlnsz von Luxem¬
burg bis zum 31. Dezember 1877 dauern und als auf weitere zwölf Jahre verlängert angesehen
werden, wenn er uicht spätestens zwei Jahre vor Ablauf des Vertrags gekündigt worden sei.
Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

Recht der Kündigung des Anschlusses an den Zollverein*) (§ 14). Zum Trans¬
port von Truppen, Waffen, Kriegsmaterial und Munition können die Bahnen
zu keiner Zeit benutzt werden; im Kriegsfalle sind die Verpflichtungen des neu¬
tralen Landes zu achten. Die Wilhelm-Lnxemburggesellschaft bezieht jetzt,
wie früher, einen jährlichen Pachtzins von 3 Millionen Franks von der deut¬
schen Verwaltung; es ist daher nicht recht begreiflich, daß sie der luxembur¬
gischen Regierung nach Abschluß des Vertrags einen Protest zugestellt und
gerichtliche Verfolgung ihrer verletzten Rechtsansprüche angedroht habe, die
jedoch bis jetzt unterblieben ist. Die deutsche Regierung verzichtet auch nach
dem Vertrage darauf, an dem Reingewinn teilzunehmen, bis die von der
luxemburgischen Regierung der Gesellschaft gewährte Unterstützung von 8 Mil¬
lionen Franks zurückgezahlt sein wird. Servais klagt aber, daß dieser Zeit¬
punkt vielleicht vor dem Ende der Vetriebszeit nicht eintreten werde, da die
deutsche Verwaltung durch Herstellung von Doppelgleisen, Erweiterung der
Bahnhöfe, Verstärkung des Vetriebspersvnals so großen Aufwand verursache,
daß es den Anschein gewinne, als habe Deutschland wenig Interesse, aus dem
Betrieb Nutzen für'das Reich zu ziehen.

Eine Genugthuung, die ihm geworden ist, konnte Servais schon 1873
verzeichnen. Ein Luxemburger hatte sich um den Bau einer Bahn von Luxem¬
burg nach Lvngwy beworben. Die deutsche Regierung erklärte, daß sie in
einer Bewilligung des Baues eine Verletzung der Neutralität erblicken würde,
worauf Servais in Berlin vorstellte, daß Deutschland, da es den Betrieb eines
Bahnnetzes, das nach Diedenhofen und Metz führe, für zulässig gehalten habe,
auch den Neubau irgend einer Bahn nicht mehr beanstanden könne. Aber der
Vergleich zwischen dem Betriebe einer vorhandnen und dem Bau einer neuen
Bahn ist nicht zutreffend. Man verhandelte denn auch von Berlin aus mit
Luxemburg nicht weiter, sondern erledigte die Angelegenheit durch den Vertreter
im Haag mit dein Prinzen-Statthalter unmittelbar; der Bau unterblieb.

Bald darauf, im Dezember 1874, erhielt Servais einen ehrenvollen Ab¬
schied und diente fortan als Präsident des Staatsrnts und als Bürgermeister
von Luxemburg seinem Vaterlande bis zu seinem Tode (1890).

Servais bemüht sich, in seinen Denkwürdigkeiten ein sachliches Bild von
dem Gange der Angelegenheiten zu zeichnen, an deren Gestaltung teilzunehmen
er berufen war; hie und da aber blitzt in der Erzählung ein so unverkenn¬
barer Zug der Abneigung gegen Deutschland und insbesondre gegen Preußen
auf, daß wir uns solche Verstöße gegen das Programm staatsniännischer
Sachlichkeit nur durch die Annahme erklären können, der Bürgermeister



») Nach dem Vertrag vom M./2S. Oktober 1865 sollte der Zollanschlnsz von Luxem¬
burg bis zum 31. Dezember 1877 dauern und als auf weitere zwölf Jahre verlängert angesehen
werden, wenn er uicht spätestens zwei Jahre vor Ablauf des Vertrags gekündigt worden sei.
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[0244] Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais Recht der Kündigung des Anschlusses an den Zollverein*) (§ 14). Zum Trans¬ port von Truppen, Waffen, Kriegsmaterial und Munition können die Bahnen zu keiner Zeit benutzt werden; im Kriegsfalle sind die Verpflichtungen des neu¬ tralen Landes zu achten. Die Wilhelm-Lnxemburggesellschaft bezieht jetzt, wie früher, einen jährlichen Pachtzins von 3 Millionen Franks von der deut¬ schen Verwaltung; es ist daher nicht recht begreiflich, daß sie der luxembur¬ gischen Regierung nach Abschluß des Vertrags einen Protest zugestellt und gerichtliche Verfolgung ihrer verletzten Rechtsansprüche angedroht habe, die jedoch bis jetzt unterblieben ist. Die deutsche Regierung verzichtet auch nach dem Vertrage darauf, an dem Reingewinn teilzunehmen, bis die von der luxemburgischen Regierung der Gesellschaft gewährte Unterstützung von 8 Mil¬ lionen Franks zurückgezahlt sein wird. Servais klagt aber, daß dieser Zeit¬ punkt vielleicht vor dem Ende der Vetriebszeit nicht eintreten werde, da die deutsche Verwaltung durch Herstellung von Doppelgleisen, Erweiterung der Bahnhöfe, Verstärkung des Vetriebspersvnals so großen Aufwand verursache, daß es den Anschein gewinne, als habe Deutschland wenig Interesse, aus dem Betrieb Nutzen für'das Reich zu ziehen. Eine Genugthuung, die ihm geworden ist, konnte Servais schon 1873 verzeichnen. Ein Luxemburger hatte sich um den Bau einer Bahn von Luxem¬ burg nach Lvngwy beworben. Die deutsche Regierung erklärte, daß sie in einer Bewilligung des Baues eine Verletzung der Neutralität erblicken würde, worauf Servais in Berlin vorstellte, daß Deutschland, da es den Betrieb eines Bahnnetzes, das nach Diedenhofen und Metz führe, für zulässig gehalten habe, auch den Neubau irgend einer Bahn nicht mehr beanstanden könne. Aber der Vergleich zwischen dem Betriebe einer vorhandnen und dem Bau einer neuen Bahn ist nicht zutreffend. Man verhandelte denn auch von Berlin aus mit Luxemburg nicht weiter, sondern erledigte die Angelegenheit durch den Vertreter im Haag mit dein Prinzen-Statthalter unmittelbar; der Bau unterblieb. Bald darauf, im Dezember 1874, erhielt Servais einen ehrenvollen Ab¬ schied und diente fortan als Präsident des Staatsrnts und als Bürgermeister von Luxemburg seinem Vaterlande bis zu seinem Tode (1890). Servais bemüht sich, in seinen Denkwürdigkeiten ein sachliches Bild von dem Gange der Angelegenheiten zu zeichnen, an deren Gestaltung teilzunehmen er berufen war; hie und da aber blitzt in der Erzählung ein so unverkenn¬ barer Zug der Abneigung gegen Deutschland und insbesondre gegen Preußen auf, daß wir uns solche Verstöße gegen das Programm staatsniännischer Sachlichkeit nur durch die Annahme erklären können, der Bürgermeister ») Nach dem Vertrag vom M./2S. Oktober 1865 sollte der Zollanschlnsz von Luxem¬ burg bis zum 31. Dezember 1877 dauern und als auf weitere zwölf Jahre verlängert angesehen werden, wenn er uicht spätestens zwei Jahre vor Ablauf des Vertrags gekündigt worden sei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/244>, abgerufen am 01.09.2024.