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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Zur Hilfslehrerfrage in Preußen

belastung nicht in dem Umfange eingetreten ist, wie sie ursprünglich geplant
war, so hat sie sich die Lehrer noch zur Dankbarkeit verpflichtet.

Daß die Verhältnisse von der Negierung "befriedigend geordnet" seien,
dafür werden folgende Punkte angeführt. Den "remuneratorisch" beschäftigten
Hilfslehrern wird jetzt die Wocheustunde mit 90 Mark jährlich bezahlt. Darin
liegt gewiß ein Fortschritt, und die gute Absicht erkennen die Lehrer dankbar
an. Aber was nützen die besten Absichten, wenn sie nicht durchgängig aus¬
geführt werden? Die Provinzialschulkollegien kümmern sich zum Teil nicht
um die ministerielle Verfügung und regeln die Bezahlung nach den frühern
Bestimmungen. Beweise sind in unsern Händen. Der Gehalt der vollständig
beschäftigten Hilfslehrer betrug früher 1500 Mark, jetzt steigt er nach zweijähriger
Dienstzeit auf 1650, mich drei Jahren auf 1800 Mark. Aber der Gewinn,
der sich aus dieser Erhöhung ergab, ist zum Teil hinfällig geworden durch
die Heranziehung der Lehrer zur höchsten Stundenzahl, dadurch wird eine Reihe
von Kräften verfügbar, und diese müssen erst untergebracht sein, bevor an die
Neuaufteilung von Hilfslehrern gedacht werden kann. Die, die der Anstellung
am nächsten waren, erhalten zwar den.höchsten Gehalt der Hilfslehrer, aber
zu einer Zeit, wo sie ohne jenen Erlaß bereits in den Gehalt und Rang der
Oberlehrer eingerückt wären. Dasselbe gilt für ihre Hintermänner. Zu deu
Verbesserunge" rechnet endlich die Regierung noch die Verfügung, daß die
Hilfslehrerjahre, die die Zahl vier überschreiten, als Dienstjahre in Anrech¬
nung kommen können- Wir verkennen auch hier die gute Absicht nicht, doch
der Potentialis der Verfügung wird bei der Anwendung für einzelne Pro¬
vinzen geradezu zum Irrealis, während den Hilfslehrern doch bloß mit dem
Nealis gedient sein kann. Immerhin hat der Erlaß eine gute Seite, er ent¬
hält die Anerkennung des bestehenden Elends, insofern er mit der Thatsache,
daß Lehrer über vier Jahre eine Hilfslehrerstelle bekleiden, als mit natur¬
gemäßen und selbstverständlichen Verhältnissen rechnet und gesetzliche Bestim¬
mungen dafür schafft. In der Justiz beträgt die Zahl der Hilfsrichter noch
nicht 4 Prozent, und die Richter führen, wie der Ressortminister zugiebt, mit
Recht Klage über dieses Mißverhältnis, die Nnterrichtsbehörde beschäftigt an
Hilfslehrern mit voller Stundenzahl nicht weniger als 14 Prozent! Bei der
Justizverwaltung hat man im Etat für 1895/96 49 (für 1896/97 78) neue
Nichterstellen geschaffen, die Unterrichtsverwaltung hat 7 Hilfslehrerstelleu
in Oberlehrerstellen umgewandelt, dafür aber 7 andre Oberlehrerstelleu ein¬
gezogen! Die Abnormität der 14 Prozent erklärt sich aus dem Grundsatz,
daß an größern Anstalten je zwei, an kleinern je ein Hilfslehrer durchschnittlich
zu beschäftigen ist. Der Minister hat in der oben erwähnten Audienz erklärt,
er werde es mit allem Nachdruck durchsetzen, daß an keiner staatlichen und
nichtstaatlicheu höhern Schule mehr als eine Hilfslehrerstelle geduldet werde.
Aber selbst bei dieser Entscheidung stünden die Verhältnisse mit dem sonst auf


Zur Hilfslehrerfrage in Preußen

belastung nicht in dem Umfange eingetreten ist, wie sie ursprünglich geplant
war, so hat sie sich die Lehrer noch zur Dankbarkeit verpflichtet.

Daß die Verhältnisse von der Negierung „befriedigend geordnet" seien,
dafür werden folgende Punkte angeführt. Den „remuneratorisch" beschäftigten
Hilfslehrern wird jetzt die Wocheustunde mit 90 Mark jährlich bezahlt. Darin
liegt gewiß ein Fortschritt, und die gute Absicht erkennen die Lehrer dankbar
an. Aber was nützen die besten Absichten, wenn sie nicht durchgängig aus¬
geführt werden? Die Provinzialschulkollegien kümmern sich zum Teil nicht
um die ministerielle Verfügung und regeln die Bezahlung nach den frühern
Bestimmungen. Beweise sind in unsern Händen. Der Gehalt der vollständig
beschäftigten Hilfslehrer betrug früher 1500 Mark, jetzt steigt er nach zweijähriger
Dienstzeit auf 1650, mich drei Jahren auf 1800 Mark. Aber der Gewinn,
der sich aus dieser Erhöhung ergab, ist zum Teil hinfällig geworden durch
die Heranziehung der Lehrer zur höchsten Stundenzahl, dadurch wird eine Reihe
von Kräften verfügbar, und diese müssen erst untergebracht sein, bevor an die
Neuaufteilung von Hilfslehrern gedacht werden kann. Die, die der Anstellung
am nächsten waren, erhalten zwar den.höchsten Gehalt der Hilfslehrer, aber
zu einer Zeit, wo sie ohne jenen Erlaß bereits in den Gehalt und Rang der
Oberlehrer eingerückt wären. Dasselbe gilt für ihre Hintermänner. Zu deu
Verbesserunge» rechnet endlich die Regierung noch die Verfügung, daß die
Hilfslehrerjahre, die die Zahl vier überschreiten, als Dienstjahre in Anrech¬
nung kommen können- Wir verkennen auch hier die gute Absicht nicht, doch
der Potentialis der Verfügung wird bei der Anwendung für einzelne Pro¬
vinzen geradezu zum Irrealis, während den Hilfslehrern doch bloß mit dem
Nealis gedient sein kann. Immerhin hat der Erlaß eine gute Seite, er ent¬
hält die Anerkennung des bestehenden Elends, insofern er mit der Thatsache,
daß Lehrer über vier Jahre eine Hilfslehrerstelle bekleiden, als mit natur¬
gemäßen und selbstverständlichen Verhältnissen rechnet und gesetzliche Bestim¬
mungen dafür schafft. In der Justiz beträgt die Zahl der Hilfsrichter noch
nicht 4 Prozent, und die Richter führen, wie der Ressortminister zugiebt, mit
Recht Klage über dieses Mißverhältnis, die Nnterrichtsbehörde beschäftigt an
Hilfslehrern mit voller Stundenzahl nicht weniger als 14 Prozent! Bei der
Justizverwaltung hat man im Etat für 1895/96 49 (für 1896/97 78) neue
Nichterstellen geschaffen, die Unterrichtsverwaltung hat 7 Hilfslehrerstelleu
in Oberlehrerstellen umgewandelt, dafür aber 7 andre Oberlehrerstelleu ein¬
gezogen! Die Abnormität der 14 Prozent erklärt sich aus dem Grundsatz,
daß an größern Anstalten je zwei, an kleinern je ein Hilfslehrer durchschnittlich
zu beschäftigen ist. Der Minister hat in der oben erwähnten Audienz erklärt,
er werde es mit allem Nachdruck durchsetzen, daß an keiner staatlichen und
nichtstaatlicheu höhern Schule mehr als eine Hilfslehrerstelle geduldet werde.
Aber selbst bei dieser Entscheidung stünden die Verhältnisse mit dem sonst auf


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[0227] Zur Hilfslehrerfrage in Preußen belastung nicht in dem Umfange eingetreten ist, wie sie ursprünglich geplant war, so hat sie sich die Lehrer noch zur Dankbarkeit verpflichtet. Daß die Verhältnisse von der Negierung „befriedigend geordnet" seien, dafür werden folgende Punkte angeführt. Den „remuneratorisch" beschäftigten Hilfslehrern wird jetzt die Wocheustunde mit 90 Mark jährlich bezahlt. Darin liegt gewiß ein Fortschritt, und die gute Absicht erkennen die Lehrer dankbar an. Aber was nützen die besten Absichten, wenn sie nicht durchgängig aus¬ geführt werden? Die Provinzialschulkollegien kümmern sich zum Teil nicht um die ministerielle Verfügung und regeln die Bezahlung nach den frühern Bestimmungen. Beweise sind in unsern Händen. Der Gehalt der vollständig beschäftigten Hilfslehrer betrug früher 1500 Mark, jetzt steigt er nach zweijähriger Dienstzeit auf 1650, mich drei Jahren auf 1800 Mark. Aber der Gewinn, der sich aus dieser Erhöhung ergab, ist zum Teil hinfällig geworden durch die Heranziehung der Lehrer zur höchsten Stundenzahl, dadurch wird eine Reihe von Kräften verfügbar, und diese müssen erst untergebracht sein, bevor an die Neuaufteilung von Hilfslehrern gedacht werden kann. Die, die der Anstellung am nächsten waren, erhalten zwar den.höchsten Gehalt der Hilfslehrer, aber zu einer Zeit, wo sie ohne jenen Erlaß bereits in den Gehalt und Rang der Oberlehrer eingerückt wären. Dasselbe gilt für ihre Hintermänner. Zu deu Verbesserunge» rechnet endlich die Regierung noch die Verfügung, daß die Hilfslehrerjahre, die die Zahl vier überschreiten, als Dienstjahre in Anrech¬ nung kommen können- Wir verkennen auch hier die gute Absicht nicht, doch der Potentialis der Verfügung wird bei der Anwendung für einzelne Pro¬ vinzen geradezu zum Irrealis, während den Hilfslehrern doch bloß mit dem Nealis gedient sein kann. Immerhin hat der Erlaß eine gute Seite, er ent¬ hält die Anerkennung des bestehenden Elends, insofern er mit der Thatsache, daß Lehrer über vier Jahre eine Hilfslehrerstelle bekleiden, als mit natur¬ gemäßen und selbstverständlichen Verhältnissen rechnet und gesetzliche Bestim¬ mungen dafür schafft. In der Justiz beträgt die Zahl der Hilfsrichter noch nicht 4 Prozent, und die Richter führen, wie der Ressortminister zugiebt, mit Recht Klage über dieses Mißverhältnis, die Nnterrichtsbehörde beschäftigt an Hilfslehrern mit voller Stundenzahl nicht weniger als 14 Prozent! Bei der Justizverwaltung hat man im Etat für 1895/96 49 (für 1896/97 78) neue Nichterstellen geschaffen, die Unterrichtsverwaltung hat 7 Hilfslehrerstelleu in Oberlehrerstellen umgewandelt, dafür aber 7 andre Oberlehrerstelleu ein¬ gezogen! Die Abnormität der 14 Prozent erklärt sich aus dem Grundsatz, daß an größern Anstalten je zwei, an kleinern je ein Hilfslehrer durchschnittlich zu beschäftigen ist. Der Minister hat in der oben erwähnten Audienz erklärt, er werde es mit allem Nachdruck durchsetzen, daß an keiner staatlichen und nichtstaatlicheu höhern Schule mehr als eine Hilfslehrerstelle geduldet werde. Aber selbst bei dieser Entscheidung stünden die Verhältnisse mit dem sonst auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/227>, abgerufen am 01.09.2024.