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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Zur yilfslehrerfrage in Preußen

Diese Zustände sind, für sich allein betrachtet, schon traurig genug; noch
schlimmer aber ist es, daß sich die Folgen der späten Anstellung für das ganze
fernere Leben bemerkbar macheu. Die höhern Lehrer beginnen unter den jetzigen
Verhältnissen mit einem Gehalt, wie ihn gleich niedrig kein Subalternbeamter
in demselben Lebensalter bezieht, das Mißverhältnis zwischen dem hohen
Lebensalter und dem niedrigen Gehalt bleibt dauernd bestehen, die Aussicht,
zum höchsten Gehalt zu gelangen, winkt erst dem Greise, und die Möglichkeit,
ein Dienstalter zu erreichen, das eine auskömmliche Pension verbürgt, ist über¬
haupt nicht vorhanden. Wie solche Zustände und die dadurch geschaffne Stim¬
mung auf das häusliche Leben und die Thätigkeit im Amte einwirken müssen,
mag sich jeder selbst ausmalen.

Erschwerend kommt noch der Umstand hinzu, daß sich der höhere Lehrerstand
durchgängig aus deu weniger bemittelten Kreisen rekrutirt. Die Regierung
kann natürlich die Bezahlung nicht nach den persönlichen Verhältnissen der
einzelnen bemessen. Aber woher kommt es, daß sich aus den hochgestellten und
wohlhabenden Ständen so verschwindend wenig dem Lehrerberufe zuwenden?
Die Fähigkeit und die Liebe zum Unterrichten ist doch nicht ein Privileg der
ärmern Klassen? Die Angehörigen jener Kreise glauben bei diesem Beruf um
eine Stufe herabzusteigen -- das ist es! Einem Stande, dem die Erziehung
der besten Kräfte der Nation zufällt, haftet als solchem doch gewiß kein Makel
an, aber die Regierung hat ihm diesen Makel aufgedrückt, indem sie ihm eine
eigentliche Laufbahn verschloß und pekuniär und sozial eine untergeordnete
Stellung anwies.

Welche Stellung hat nun die Negierung gegenüber der oben geschilderten
Notlage der Hilfslehrer und Kandidaten bisher eingenommen? Bisher mußten
es die Hilfslehrer, die zu vorübergehender Vertretung bald hierhin, bald dorthin
geschickt wurden, als besondre Gunst betrachten, wenn ihnen für entstandne
Unkosten ausnahmsweise eine Entschädigung gewährt wurde. Zu unsrer Freude
ist diesem Übelstande ein Ende gemacht worden durch einen ministeriellen Erlaß
vom 6. Juni 1895, wonach den Hilfslehrern Tagegelder und Reisekosten in
gleicher Höhe wie den Beamten der fünften Rangklasse zugestanden werden.

Zur Vereidigungsfrage hat der Minister in einer Audienz, die er deu
Vertretern der Provinzialvereiue am 1. Juli gewährte, erklärt, sie sei bereits
entschieden, und die nötige Verfügung werde bald erlassen werden. Bis zur
Stunde ist nun zwar von einer solchen Verfügung nichts bekannt; das aber
können wir schon jetzt sagen: wenn eine solche Entscheidung mit ihren prak¬
tischen Folgen getroffen wird, so wäre eine wichtige Forderung der Hilfslehrer
erfüllt, wofür sie dem Minister von ganzen Herzen dankbar sein würden. Was
den Titel anlangt, so war der Vorschlag gemacht worden, die für eine Reihe von
Beamtengrnppen übliche Bezeichnung "Referendar" und "Assessor" auch auf den
Schuldienst zu übertragen. Die Antwort des Ministers lautete, auf einen so


Greiizbote" I 1896 28
Zur yilfslehrerfrage in Preußen

Diese Zustände sind, für sich allein betrachtet, schon traurig genug; noch
schlimmer aber ist es, daß sich die Folgen der späten Anstellung für das ganze
fernere Leben bemerkbar macheu. Die höhern Lehrer beginnen unter den jetzigen
Verhältnissen mit einem Gehalt, wie ihn gleich niedrig kein Subalternbeamter
in demselben Lebensalter bezieht, das Mißverhältnis zwischen dem hohen
Lebensalter und dem niedrigen Gehalt bleibt dauernd bestehen, die Aussicht,
zum höchsten Gehalt zu gelangen, winkt erst dem Greise, und die Möglichkeit,
ein Dienstalter zu erreichen, das eine auskömmliche Pension verbürgt, ist über¬
haupt nicht vorhanden. Wie solche Zustände und die dadurch geschaffne Stim¬
mung auf das häusliche Leben und die Thätigkeit im Amte einwirken müssen,
mag sich jeder selbst ausmalen.

Erschwerend kommt noch der Umstand hinzu, daß sich der höhere Lehrerstand
durchgängig aus deu weniger bemittelten Kreisen rekrutirt. Die Regierung
kann natürlich die Bezahlung nicht nach den persönlichen Verhältnissen der
einzelnen bemessen. Aber woher kommt es, daß sich aus den hochgestellten und
wohlhabenden Ständen so verschwindend wenig dem Lehrerberufe zuwenden?
Die Fähigkeit und die Liebe zum Unterrichten ist doch nicht ein Privileg der
ärmern Klassen? Die Angehörigen jener Kreise glauben bei diesem Beruf um
eine Stufe herabzusteigen — das ist es! Einem Stande, dem die Erziehung
der besten Kräfte der Nation zufällt, haftet als solchem doch gewiß kein Makel
an, aber die Regierung hat ihm diesen Makel aufgedrückt, indem sie ihm eine
eigentliche Laufbahn verschloß und pekuniär und sozial eine untergeordnete
Stellung anwies.

Welche Stellung hat nun die Negierung gegenüber der oben geschilderten
Notlage der Hilfslehrer und Kandidaten bisher eingenommen? Bisher mußten
es die Hilfslehrer, die zu vorübergehender Vertretung bald hierhin, bald dorthin
geschickt wurden, als besondre Gunst betrachten, wenn ihnen für entstandne
Unkosten ausnahmsweise eine Entschädigung gewährt wurde. Zu unsrer Freude
ist diesem Übelstande ein Ende gemacht worden durch einen ministeriellen Erlaß
vom 6. Juni 1895, wonach den Hilfslehrern Tagegelder und Reisekosten in
gleicher Höhe wie den Beamten der fünften Rangklasse zugestanden werden.

Zur Vereidigungsfrage hat der Minister in einer Audienz, die er deu
Vertretern der Provinzialvereiue am 1. Juli gewährte, erklärt, sie sei bereits
entschieden, und die nötige Verfügung werde bald erlassen werden. Bis zur
Stunde ist nun zwar von einer solchen Verfügung nichts bekannt; das aber
können wir schon jetzt sagen: wenn eine solche Entscheidung mit ihren prak¬
tischen Folgen getroffen wird, so wäre eine wichtige Forderung der Hilfslehrer
erfüllt, wofür sie dem Minister von ganzen Herzen dankbar sein würden. Was
den Titel anlangt, so war der Vorschlag gemacht worden, die für eine Reihe von
Beamtengrnppen übliche Bezeichnung „Referendar" und „Assessor" auch auf den
Schuldienst zu übertragen. Die Antwort des Ministers lautete, auf einen so


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[0225] Zur yilfslehrerfrage in Preußen Diese Zustände sind, für sich allein betrachtet, schon traurig genug; noch schlimmer aber ist es, daß sich die Folgen der späten Anstellung für das ganze fernere Leben bemerkbar macheu. Die höhern Lehrer beginnen unter den jetzigen Verhältnissen mit einem Gehalt, wie ihn gleich niedrig kein Subalternbeamter in demselben Lebensalter bezieht, das Mißverhältnis zwischen dem hohen Lebensalter und dem niedrigen Gehalt bleibt dauernd bestehen, die Aussicht, zum höchsten Gehalt zu gelangen, winkt erst dem Greise, und die Möglichkeit, ein Dienstalter zu erreichen, das eine auskömmliche Pension verbürgt, ist über¬ haupt nicht vorhanden. Wie solche Zustände und die dadurch geschaffne Stim¬ mung auf das häusliche Leben und die Thätigkeit im Amte einwirken müssen, mag sich jeder selbst ausmalen. Erschwerend kommt noch der Umstand hinzu, daß sich der höhere Lehrerstand durchgängig aus deu weniger bemittelten Kreisen rekrutirt. Die Regierung kann natürlich die Bezahlung nicht nach den persönlichen Verhältnissen der einzelnen bemessen. Aber woher kommt es, daß sich aus den hochgestellten und wohlhabenden Ständen so verschwindend wenig dem Lehrerberufe zuwenden? Die Fähigkeit und die Liebe zum Unterrichten ist doch nicht ein Privileg der ärmern Klassen? Die Angehörigen jener Kreise glauben bei diesem Beruf um eine Stufe herabzusteigen — das ist es! Einem Stande, dem die Erziehung der besten Kräfte der Nation zufällt, haftet als solchem doch gewiß kein Makel an, aber die Regierung hat ihm diesen Makel aufgedrückt, indem sie ihm eine eigentliche Laufbahn verschloß und pekuniär und sozial eine untergeordnete Stellung anwies. Welche Stellung hat nun die Negierung gegenüber der oben geschilderten Notlage der Hilfslehrer und Kandidaten bisher eingenommen? Bisher mußten es die Hilfslehrer, die zu vorübergehender Vertretung bald hierhin, bald dorthin geschickt wurden, als besondre Gunst betrachten, wenn ihnen für entstandne Unkosten ausnahmsweise eine Entschädigung gewährt wurde. Zu unsrer Freude ist diesem Übelstande ein Ende gemacht worden durch einen ministeriellen Erlaß vom 6. Juni 1895, wonach den Hilfslehrern Tagegelder und Reisekosten in gleicher Höhe wie den Beamten der fünften Rangklasse zugestanden werden. Zur Vereidigungsfrage hat der Minister in einer Audienz, die er deu Vertretern der Provinzialvereiue am 1. Juli gewährte, erklärt, sie sei bereits entschieden, und die nötige Verfügung werde bald erlassen werden. Bis zur Stunde ist nun zwar von einer solchen Verfügung nichts bekannt; das aber können wir schon jetzt sagen: wenn eine solche Entscheidung mit ihren prak¬ tischen Folgen getroffen wird, so wäre eine wichtige Forderung der Hilfslehrer erfüllt, wofür sie dem Minister von ganzen Herzen dankbar sein würden. Was den Titel anlangt, so war der Vorschlag gemacht worden, die für eine Reihe von Beamtengrnppen übliche Bezeichnung „Referendar" und „Assessor" auch auf den Schuldienst zu übertragen. Die Antwort des Ministers lautete, auf einen so Greiizbote» I 1896 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/225>, abgerufen am 01.09.2024.