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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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deutlich merken, daß man die Ehre zu schätzen wissen würde, ihn zum Schwieger¬
sohn oder zum Gatten zu haben.

Auch Herr Moller hoffte das beste. Er hatte eigentlich nur Sorge, daß
mau vielleicht genötigt werden könnte, irgend eine Bekanntschaft zu machen,
die Erika gefährlich zu werden imstande wäre. Man hielt sich daher aufs
ängstlichste von jeder Berührung fern. Erika hatte dessen natürlich kein Arg,
da ihr Onkels Bedürfnis nach vollkommenster Ruhe, der Zweck des ganzen
Aufenthalts, dieses Verhalten genügend zu begründen schien. Sie hatte
schon immer wenig Interesse für die jungen Herren gehabt, die in ihren Ge¬
sichtskreis traten, und so auch hier; von einem gewissen Tage an verlor sich
sogar die letzte Spur davon. Das hatte aber einen Grund, der Herrn und
Frau Moller um den Ausgang ihrer Pläne wohl sehr besorgt gemacht hätte,
wenn sie ihn gekannt hätten.

Eines Tages nämlich war sie mit Onkel und Tante von der Mittags¬
tafel im Kurhause zurückgekommen. Sie wandelten wie gewöhnlich durch eiuen
kleinen Waldweg nach der Villa zurück, die sie gemietet hatten. Erika war
etwas zurückgeblieben, da sie hie und da eine Blume, einige Farren und Gräser
pflückte. Da hatte sie plötzlich auf einem der Seitenpfade, an dem sie eben
vorübergegangen war, einen festen Tritt gehört. Kaum hatte sie ihn ver¬
nommen, da fühlte sie, wie ihr Herz heftiger zu schlagen begann. Sie stand
still und horchte. Langsam, ganz unwillkürlich wandte sie das Gesicht dahin,
von wo sie den Nahenden hörte. Eine hohe, breitschultrige Gestalt bog um
das letzte dichte Gebüsch an der Ecke, und Blumen und Gräser entfielen ihrer
Hand.

Kleine Erika! und Erich! tönte es achtlos laut durch den Park, und da
standen die beiden und hielten sich umschlungen und küßten sich, als wenn
sich das von selbst verstünde, und alle Vögel des Himmels und alle Menschen
der Erde es sehen dürften, während doch kaum hundert Schritt davon Herr
Gustav Moller und seine Frau Gemahlin wandelten, die es bestimmt nicht
sehen durften.

Erika kam auch schnell genug zur Besinnung: Rasch fort! Onkel und
Tante sind da, ein paar Schritte von hier.

Wie dress ich dich? fragte er.

Heute Abend halb acht, dort unten an der Quelle!

Optime, lachte er, ein Stelldichein mit der kleinen Erika!

Noch einmal wollte er sie küssen. Nein, nein! wehrte sie ab, eben hör
ich sie kommen.

Und so war es. Rasch trat er hinter das Gebüsch, denn in der That,
Onkel und Tante kamen zurück.

Was ist denn los? Riefst du nicht?

Ach, ich habe nur meine Blumen verloren, antwortete Erika wahrheits¬
liebend und verlogen. Und sie bückte sich, sie wieder aufzusuchen. Das hatte
den Vorteil, daß die Tante nicht merkte, wie rot sie war.

Onkel und Tante schöpften denn auch keinen Verdacht, nicht den geringsten;
wie hätten sie auch auf Herrn Vcmrile kommen sollen! Dem Onkel schien nur
der zweimalige Weg leid zu thun: er brummte etwas, das ungefähr so klang,
als ob er der Meinung Ausdruck verliehe, daß man um einiger Blumen willen,
die in den Sand gefallen seien, doch nicht gleich so zu schreien brauche.

Sein Brummen machte aber wenig Eindruck auf Fräulein Erika von


Die «unse

deutlich merken, daß man die Ehre zu schätzen wissen würde, ihn zum Schwieger¬
sohn oder zum Gatten zu haben.

Auch Herr Moller hoffte das beste. Er hatte eigentlich nur Sorge, daß
mau vielleicht genötigt werden könnte, irgend eine Bekanntschaft zu machen,
die Erika gefährlich zu werden imstande wäre. Man hielt sich daher aufs
ängstlichste von jeder Berührung fern. Erika hatte dessen natürlich kein Arg,
da ihr Onkels Bedürfnis nach vollkommenster Ruhe, der Zweck des ganzen
Aufenthalts, dieses Verhalten genügend zu begründen schien. Sie hatte
schon immer wenig Interesse für die jungen Herren gehabt, die in ihren Ge¬
sichtskreis traten, und so auch hier; von einem gewissen Tage an verlor sich
sogar die letzte Spur davon. Das hatte aber einen Grund, der Herrn und
Frau Moller um den Ausgang ihrer Pläne wohl sehr besorgt gemacht hätte,
wenn sie ihn gekannt hätten.

Eines Tages nämlich war sie mit Onkel und Tante von der Mittags¬
tafel im Kurhause zurückgekommen. Sie wandelten wie gewöhnlich durch eiuen
kleinen Waldweg nach der Villa zurück, die sie gemietet hatten. Erika war
etwas zurückgeblieben, da sie hie und da eine Blume, einige Farren und Gräser
pflückte. Da hatte sie plötzlich auf einem der Seitenpfade, an dem sie eben
vorübergegangen war, einen festen Tritt gehört. Kaum hatte sie ihn ver¬
nommen, da fühlte sie, wie ihr Herz heftiger zu schlagen begann. Sie stand
still und horchte. Langsam, ganz unwillkürlich wandte sie das Gesicht dahin,
von wo sie den Nahenden hörte. Eine hohe, breitschultrige Gestalt bog um
das letzte dichte Gebüsch an der Ecke, und Blumen und Gräser entfielen ihrer
Hand.

Kleine Erika! und Erich! tönte es achtlos laut durch den Park, und da
standen die beiden und hielten sich umschlungen und küßten sich, als wenn
sich das von selbst verstünde, und alle Vögel des Himmels und alle Menschen
der Erde es sehen dürften, während doch kaum hundert Schritt davon Herr
Gustav Moller und seine Frau Gemahlin wandelten, die es bestimmt nicht
sehen durften.

Erika kam auch schnell genug zur Besinnung: Rasch fort! Onkel und
Tante sind da, ein paar Schritte von hier.

Wie dress ich dich? fragte er.

Heute Abend halb acht, dort unten an der Quelle!

Optime, lachte er, ein Stelldichein mit der kleinen Erika!

Noch einmal wollte er sie küssen. Nein, nein! wehrte sie ab, eben hör
ich sie kommen.

Und so war es. Rasch trat er hinter das Gebüsch, denn in der That,
Onkel und Tante kamen zurück.

Was ist denn los? Riefst du nicht?

Ach, ich habe nur meine Blumen verloren, antwortete Erika wahrheits¬
liebend und verlogen. Und sie bückte sich, sie wieder aufzusuchen. Das hatte
den Vorteil, daß die Tante nicht merkte, wie rot sie war.

Onkel und Tante schöpften denn auch keinen Verdacht, nicht den geringsten;
wie hätten sie auch auf Herrn Vcmrile kommen sollen! Dem Onkel schien nur
der zweimalige Weg leid zu thun: er brummte etwas, das ungefähr so klang,
als ob er der Meinung Ausdruck verliehe, daß man um einiger Blumen willen,
die in den Sand gefallen seien, doch nicht gleich so zu schreien brauche.

Sein Brummen machte aber wenig Eindruck auf Fräulein Erika von


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[0204] Die «unse deutlich merken, daß man die Ehre zu schätzen wissen würde, ihn zum Schwieger¬ sohn oder zum Gatten zu haben. Auch Herr Moller hoffte das beste. Er hatte eigentlich nur Sorge, daß mau vielleicht genötigt werden könnte, irgend eine Bekanntschaft zu machen, die Erika gefährlich zu werden imstande wäre. Man hielt sich daher aufs ängstlichste von jeder Berührung fern. Erika hatte dessen natürlich kein Arg, da ihr Onkels Bedürfnis nach vollkommenster Ruhe, der Zweck des ganzen Aufenthalts, dieses Verhalten genügend zu begründen schien. Sie hatte schon immer wenig Interesse für die jungen Herren gehabt, die in ihren Ge¬ sichtskreis traten, und so auch hier; von einem gewissen Tage an verlor sich sogar die letzte Spur davon. Das hatte aber einen Grund, der Herrn und Frau Moller um den Ausgang ihrer Pläne wohl sehr besorgt gemacht hätte, wenn sie ihn gekannt hätten. Eines Tages nämlich war sie mit Onkel und Tante von der Mittags¬ tafel im Kurhause zurückgekommen. Sie wandelten wie gewöhnlich durch eiuen kleinen Waldweg nach der Villa zurück, die sie gemietet hatten. Erika war etwas zurückgeblieben, da sie hie und da eine Blume, einige Farren und Gräser pflückte. Da hatte sie plötzlich auf einem der Seitenpfade, an dem sie eben vorübergegangen war, einen festen Tritt gehört. Kaum hatte sie ihn ver¬ nommen, da fühlte sie, wie ihr Herz heftiger zu schlagen begann. Sie stand still und horchte. Langsam, ganz unwillkürlich wandte sie das Gesicht dahin, von wo sie den Nahenden hörte. Eine hohe, breitschultrige Gestalt bog um das letzte dichte Gebüsch an der Ecke, und Blumen und Gräser entfielen ihrer Hand. Kleine Erika! und Erich! tönte es achtlos laut durch den Park, und da standen die beiden und hielten sich umschlungen und küßten sich, als wenn sich das von selbst verstünde, und alle Vögel des Himmels und alle Menschen der Erde es sehen dürften, während doch kaum hundert Schritt davon Herr Gustav Moller und seine Frau Gemahlin wandelten, die es bestimmt nicht sehen durften. Erika kam auch schnell genug zur Besinnung: Rasch fort! Onkel und Tante sind da, ein paar Schritte von hier. Wie dress ich dich? fragte er. Heute Abend halb acht, dort unten an der Quelle! Optime, lachte er, ein Stelldichein mit der kleinen Erika! Noch einmal wollte er sie küssen. Nein, nein! wehrte sie ab, eben hör ich sie kommen. Und so war es. Rasch trat er hinter das Gebüsch, denn in der That, Onkel und Tante kamen zurück. Was ist denn los? Riefst du nicht? Ach, ich habe nur meine Blumen verloren, antwortete Erika wahrheits¬ liebend und verlogen. Und sie bückte sich, sie wieder aufzusuchen. Das hatte den Vorteil, daß die Tante nicht merkte, wie rot sie war. Onkel und Tante schöpften denn auch keinen Verdacht, nicht den geringsten; wie hätten sie auch auf Herrn Vcmrile kommen sollen! Dem Onkel schien nur der zweimalige Weg leid zu thun: er brummte etwas, das ungefähr so klang, als ob er der Meinung Ausdruck verliehe, daß man um einiger Blumen willen, die in den Sand gefallen seien, doch nicht gleich so zu schreien brauche. Sein Brummen machte aber wenig Eindruck auf Fräulein Erika von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/204>, abgerufen am 01.09.2024.