Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

rung vor den Großmächten zu rechtfertigen." Bei diesen fand das Schriftstück
auch gute Aufnahme, ebenso in der Kammer, wo selbst die Abgeordneten
schwiegen, "die früher die Befürchtung geäußert hatten, daß eine volle Recht-
fertigung nicht möglich sein werde." (!) Es muß also doch mehr vorgefallen
sein, als zugestanden worden war; Servais gesteht selbst zu, daß sogar eine
Luxemburger Zeitung den Bericht des Ministers bemängelt habe, wie denn
auch das belgische IZodo an ?g,r1u.mont, und mit ihm die belgischen Liberalen,
die dem als ultramontan verschrieenen Luxemburger Ministerium etwas am
Zeuge flicken wollten, sich nicht als freuudnachbarlich gesinnt erwiesen. Der
spätere belgische Minister Rollin-Jaquemyns hat auch in der Kvvruz intsr-
natioiMö die Grundsätze über die Rechte der Neutralen, die Servais auf¬
gestellt hatte, angefochten. Servais berichtet, Lord Greenville habe damals
dem Bundeskanzler vorgestellt, daß Deutschland, da es sich den andern Garantie¬
mächten gegenüber zur Achtung der Neutralität verpflichtet habe, nicht einseitig
vorgehen könne. Er ist darüber im Ungewissen, ob wirklich, wie damals ver¬
lautete, Osterreich die Note Bismarcks im gleichen Sinne beantwortet habe.
Wie aus spätern Veröffentlichungen hervorgeht, ist dies in der That der Fall
gewesen. Graf Veust vertrat damals den Standpunkt, daß die Prüfung
der Frage, ob eine Verletzung der Neutralität vorliege, den Signatarmächten
zustehe und dein Ermessen einer einzelnen kriegführenden Macht zunächst ent¬
zogen sei; denn durch die Kollektivgarautie sollte der Einzelkonflikt vermieden
werden. Dieser Auffassung traten später auch Professor Geffcken (wenn auch
mit Vorbehalt), Staatsminister Dr. Epheben u. a. bei.

Luxemburg mag aus diesem Vorgänge die Lehre ziehen, daß die Teilnahme
an einer Kollektivgarantie für eine kriegführende Macht nicht als Verzicht auf
die Selbsterhaltung aufgefaßt werden kann, daß ferner im Falle eines Konflikts
mit einer kriegführenden Garantiemacht ein Vorgehen dieser Macht zum eignen
Schutze wohl zu einem Notenwechsel führen kann, aber kaum zu einem kleinen
Weltbrande, daß aber der Fall ganz anders liegt, wenn der neutrale Staat
bei einem Kriege zwischen zwei Garantiemächten seine Pflichten verletzt oder
deren Verletzung durch seine Unterthanen duldet. Wenn aber nach dem Friedens¬
schluß die Spannung fortdauert, dann ist es Pflicht der Vevölkernng eines
neutralen Staates, sich jeder Art von Sympathiebezeugung zu enthalten. Ein
neutraler Staat kann nichts besseres thun, als durch Spezialgesetz, da das
gemeine Recht nicht ausreicht, jede Verletzung dieser Pflicht mit Strafe zu be¬
drohen, einerseits, um sich durch rechtzeitiges Einschreiten einer Verantwortung
zu entziehen, andrerseits, um das Volk in eine internationale Zucht zu nehmen.
Es berührt wirklich peinlich, wenn man im Verlaufe der Berichte vou Servais
liest, wie er 1877, damals Bürgermeister von Luxemburg und Vorstand des
landwirtschaftlichen Landesvereins, als Gast der Stadt Nancy bei Gelegen¬
heit eines landwirtschaftlichen Festes Gegenstand besondrer Auszeichnung bei


Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

rung vor den Großmächten zu rechtfertigen." Bei diesen fand das Schriftstück
auch gute Aufnahme, ebenso in der Kammer, wo selbst die Abgeordneten
schwiegen, „die früher die Befürchtung geäußert hatten, daß eine volle Recht-
fertigung nicht möglich sein werde." (!) Es muß also doch mehr vorgefallen
sein, als zugestanden worden war; Servais gesteht selbst zu, daß sogar eine
Luxemburger Zeitung den Bericht des Ministers bemängelt habe, wie denn
auch das belgische IZodo an ?g,r1u.mont, und mit ihm die belgischen Liberalen,
die dem als ultramontan verschrieenen Luxemburger Ministerium etwas am
Zeuge flicken wollten, sich nicht als freuudnachbarlich gesinnt erwiesen. Der
spätere belgische Minister Rollin-Jaquemyns hat auch in der Kvvruz intsr-
natioiMö die Grundsätze über die Rechte der Neutralen, die Servais auf¬
gestellt hatte, angefochten. Servais berichtet, Lord Greenville habe damals
dem Bundeskanzler vorgestellt, daß Deutschland, da es sich den andern Garantie¬
mächten gegenüber zur Achtung der Neutralität verpflichtet habe, nicht einseitig
vorgehen könne. Er ist darüber im Ungewissen, ob wirklich, wie damals ver¬
lautete, Osterreich die Note Bismarcks im gleichen Sinne beantwortet habe.
Wie aus spätern Veröffentlichungen hervorgeht, ist dies in der That der Fall
gewesen. Graf Veust vertrat damals den Standpunkt, daß die Prüfung
der Frage, ob eine Verletzung der Neutralität vorliege, den Signatarmächten
zustehe und dein Ermessen einer einzelnen kriegführenden Macht zunächst ent¬
zogen sei; denn durch die Kollektivgarautie sollte der Einzelkonflikt vermieden
werden. Dieser Auffassung traten später auch Professor Geffcken (wenn auch
mit Vorbehalt), Staatsminister Dr. Epheben u. a. bei.

Luxemburg mag aus diesem Vorgänge die Lehre ziehen, daß die Teilnahme
an einer Kollektivgarantie für eine kriegführende Macht nicht als Verzicht auf
die Selbsterhaltung aufgefaßt werden kann, daß ferner im Falle eines Konflikts
mit einer kriegführenden Garantiemacht ein Vorgehen dieser Macht zum eignen
Schutze wohl zu einem Notenwechsel führen kann, aber kaum zu einem kleinen
Weltbrande, daß aber der Fall ganz anders liegt, wenn der neutrale Staat
bei einem Kriege zwischen zwei Garantiemächten seine Pflichten verletzt oder
deren Verletzung durch seine Unterthanen duldet. Wenn aber nach dem Friedens¬
schluß die Spannung fortdauert, dann ist es Pflicht der Vevölkernng eines
neutralen Staates, sich jeder Art von Sympathiebezeugung zu enthalten. Ein
neutraler Staat kann nichts besseres thun, als durch Spezialgesetz, da das
gemeine Recht nicht ausreicht, jede Verletzung dieser Pflicht mit Strafe zu be¬
drohen, einerseits, um sich durch rechtzeitiges Einschreiten einer Verantwortung
zu entziehen, andrerseits, um das Volk in eine internationale Zucht zu nehmen.
Es berührt wirklich peinlich, wenn man im Verlaufe der Berichte vou Servais
liest, wie er 1877, damals Bürgermeister von Luxemburg und Vorstand des
landwirtschaftlichen Landesvereins, als Gast der Stadt Nancy bei Gelegen¬
heit eines landwirtschaftlichen Festes Gegenstand besondrer Auszeichnung bei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221838"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_581" prev="#ID_580"> rung vor den Großmächten zu rechtfertigen." Bei diesen fand das Schriftstück<lb/>
auch gute Aufnahme, ebenso in der Kammer, wo selbst die Abgeordneten<lb/>
schwiegen, &#x201E;die früher die Befürchtung geäußert hatten, daß eine volle Recht-<lb/>
fertigung nicht möglich sein werde." (!) Es muß also doch mehr vorgefallen<lb/>
sein, als zugestanden worden war; Servais gesteht selbst zu, daß sogar eine<lb/>
Luxemburger Zeitung den Bericht des Ministers bemängelt habe, wie denn<lb/>
auch das belgische IZodo an ?g,r1u.mont, und mit ihm die belgischen Liberalen,<lb/>
die dem als ultramontan verschrieenen Luxemburger Ministerium etwas am<lb/>
Zeuge flicken wollten, sich nicht als freuudnachbarlich gesinnt erwiesen. Der<lb/>
spätere belgische Minister Rollin-Jaquemyns hat auch in der Kvvruz intsr-<lb/>
natioiMö die Grundsätze über die Rechte der Neutralen, die Servais auf¬<lb/>
gestellt hatte, angefochten. Servais berichtet, Lord Greenville habe damals<lb/>
dem Bundeskanzler vorgestellt, daß Deutschland, da es sich den andern Garantie¬<lb/>
mächten gegenüber zur Achtung der Neutralität verpflichtet habe, nicht einseitig<lb/>
vorgehen könne. Er ist darüber im Ungewissen, ob wirklich, wie damals ver¬<lb/>
lautete, Osterreich die Note Bismarcks im gleichen Sinne beantwortet habe.<lb/>
Wie aus spätern Veröffentlichungen hervorgeht, ist dies in der That der Fall<lb/>
gewesen. Graf Veust vertrat damals den Standpunkt, daß die Prüfung<lb/>
der Frage, ob eine Verletzung der Neutralität vorliege, den Signatarmächten<lb/>
zustehe und dein Ermessen einer einzelnen kriegführenden Macht zunächst ent¬<lb/>
zogen sei; denn durch die Kollektivgarautie sollte der Einzelkonflikt vermieden<lb/>
werden. Dieser Auffassung traten später auch Professor Geffcken (wenn auch<lb/>
mit Vorbehalt), Staatsminister Dr. Epheben u. a. bei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_582" next="#ID_583"> Luxemburg mag aus diesem Vorgänge die Lehre ziehen, daß die Teilnahme<lb/>
an einer Kollektivgarantie für eine kriegführende Macht nicht als Verzicht auf<lb/>
die Selbsterhaltung aufgefaßt werden kann, daß ferner im Falle eines Konflikts<lb/>
mit einer kriegführenden Garantiemacht ein Vorgehen dieser Macht zum eignen<lb/>
Schutze wohl zu einem Notenwechsel führen kann, aber kaum zu einem kleinen<lb/>
Weltbrande, daß aber der Fall ganz anders liegt, wenn der neutrale Staat<lb/>
bei einem Kriege zwischen zwei Garantiemächten seine Pflichten verletzt oder<lb/>
deren Verletzung durch seine Unterthanen duldet. Wenn aber nach dem Friedens¬<lb/>
schluß die Spannung fortdauert, dann ist es Pflicht der Vevölkernng eines<lb/>
neutralen Staates, sich jeder Art von Sympathiebezeugung zu enthalten. Ein<lb/>
neutraler Staat kann nichts besseres thun, als durch Spezialgesetz, da das<lb/>
gemeine Recht nicht ausreicht, jede Verletzung dieser Pflicht mit Strafe zu be¬<lb/>
drohen, einerseits, um sich durch rechtzeitiges Einschreiten einer Verantwortung<lb/>
zu entziehen, andrerseits, um das Volk in eine internationale Zucht zu nehmen.<lb/>
Es berührt wirklich peinlich, wenn man im Verlaufe der Berichte vou Servais<lb/>
liest, wie er 1877, damals Bürgermeister von Luxemburg und Vorstand des<lb/>
landwirtschaftlichen Landesvereins, als Gast der Stadt Nancy bei Gelegen¬<lb/>
heit eines landwirtschaftlichen Festes Gegenstand besondrer Auszeichnung bei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais rung vor den Großmächten zu rechtfertigen." Bei diesen fand das Schriftstück auch gute Aufnahme, ebenso in der Kammer, wo selbst die Abgeordneten schwiegen, „die früher die Befürchtung geäußert hatten, daß eine volle Recht- fertigung nicht möglich sein werde." (!) Es muß also doch mehr vorgefallen sein, als zugestanden worden war; Servais gesteht selbst zu, daß sogar eine Luxemburger Zeitung den Bericht des Ministers bemängelt habe, wie denn auch das belgische IZodo an ?g,r1u.mont, und mit ihm die belgischen Liberalen, die dem als ultramontan verschrieenen Luxemburger Ministerium etwas am Zeuge flicken wollten, sich nicht als freuudnachbarlich gesinnt erwiesen. Der spätere belgische Minister Rollin-Jaquemyns hat auch in der Kvvruz intsr- natioiMö die Grundsätze über die Rechte der Neutralen, die Servais auf¬ gestellt hatte, angefochten. Servais berichtet, Lord Greenville habe damals dem Bundeskanzler vorgestellt, daß Deutschland, da es sich den andern Garantie¬ mächten gegenüber zur Achtung der Neutralität verpflichtet habe, nicht einseitig vorgehen könne. Er ist darüber im Ungewissen, ob wirklich, wie damals ver¬ lautete, Osterreich die Note Bismarcks im gleichen Sinne beantwortet habe. Wie aus spätern Veröffentlichungen hervorgeht, ist dies in der That der Fall gewesen. Graf Veust vertrat damals den Standpunkt, daß die Prüfung der Frage, ob eine Verletzung der Neutralität vorliege, den Signatarmächten zustehe und dein Ermessen einer einzelnen kriegführenden Macht zunächst ent¬ zogen sei; denn durch die Kollektivgarautie sollte der Einzelkonflikt vermieden werden. Dieser Auffassung traten später auch Professor Geffcken (wenn auch mit Vorbehalt), Staatsminister Dr. Epheben u. a. bei. Luxemburg mag aus diesem Vorgänge die Lehre ziehen, daß die Teilnahme an einer Kollektivgarantie für eine kriegführende Macht nicht als Verzicht auf die Selbsterhaltung aufgefaßt werden kann, daß ferner im Falle eines Konflikts mit einer kriegführenden Garantiemacht ein Vorgehen dieser Macht zum eignen Schutze wohl zu einem Notenwechsel führen kann, aber kaum zu einem kleinen Weltbrande, daß aber der Fall ganz anders liegt, wenn der neutrale Staat bei einem Kriege zwischen zwei Garantiemächten seine Pflichten verletzt oder deren Verletzung durch seine Unterthanen duldet. Wenn aber nach dem Friedens¬ schluß die Spannung fortdauert, dann ist es Pflicht der Vevölkernng eines neutralen Staates, sich jeder Art von Sympathiebezeugung zu enthalten. Ein neutraler Staat kann nichts besseres thun, als durch Spezialgesetz, da das gemeine Recht nicht ausreicht, jede Verletzung dieser Pflicht mit Strafe zu be¬ drohen, einerseits, um sich durch rechtzeitiges Einschreiten einer Verantwortung zu entziehen, andrerseits, um das Volk in eine internationale Zucht zu nehmen. Es berührt wirklich peinlich, wenn man im Verlaufe der Berichte vou Servais liest, wie er 1877, damals Bürgermeister von Luxemburg und Vorstand des landwirtschaftlichen Landesvereins, als Gast der Stadt Nancy bei Gelegen¬ heit eines landwirtschaftlichen Festes Gegenstand besondrer Auszeichnung bei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/192
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/192>, abgerufen am 01.09.2024.