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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

Schleifung der Befestigungen von Luxemburg. Preußen hatte wiederholt auf
Beschleunigung der Arbeiten gedrungen und die unverzügliche Vornahme be¬
stimmter Arbeiten verlangt. Kurz vor dem Kriege, am 17. Juni 1870, hatte
Servais über den Stand der Arbeiten nach Berlin berichtet, wobei er seinem
Souverän alle Rechte wahrte.

Nun kam die Kriegserklärung. Während der französische Vertreter dem
bestürzte", Minister meldete, daß nach sichern Nachrichten ein deutsches Heer
"uf Luxemburg marschiere, ging ihm gleichzeitig aus Paris eine "fast amtliche
Mitteilung" zu, daß französische Truppen schon auf dem Marsche nach Luxem¬
burg begriffen seien. Servais erzählt, daß weder Belgien noch die Schweiz
damals eifriger bemüht gewesen sei, als Luxemburg, Vorkehrungen gegen jede
Art von Verletzung der Neutralität zu treffen. Und doch blieben die Be¬
schwerden nicht aus.

Schon unterm 4. Oktober 1870 hatte sich der Bundeskanzler beschwert,
daß die französische Ostbahngesellschaft einen Zug mit Lebensmitteln und Futter
von Luxemburg nach Diedenhofen befördert habe;*) diese schwere Verletzung
der Neutralität entbinde Deutschland von der Pflicht, im Verlaufe der Kriegs¬
operationen die luxemburgische Neutralität zu achte". Darauf folgte eine
weitere Note vom 3. Dezember 1870, worin darüber Klage geführt wurde,
daß sich Gefangne aus Metz ungehindert durch das Großhcrzogtum nach
Frankreich begeben hätten, und daß der französische Vizekonsul ein Nekru-
tirungsbüreau eingerichtet habe. Der luxemburgische Vertreter in Berlin,
Dr. Föhr, berichtete, Bismarck habe sich geweigert, ihn in Versailles zu
empfangen, wo er Aufschlüsse über das Verhalten seiner Regierung erteilen
sollte, und der Uuterstaatssekretär des Auswärtigen Amtes in Berlin,
H. v. Thiele, habe ihm erklärt, daß die Note, die den Staaten mitgeteilt
worden sei, die den Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867 unterzeichnet
hätten, geradezu die Aufrechthaltung dieses Vertrags in Frage stelle. Der
damals gerade in Luxemburg anwesende Prinz-Statthalter war, wie Servais
berichtet, völlig bestürzt. Er schickte telegraphisch Briefe an seine Ver¬
wandten, den König von Preußen, den Kaiser von Rußland und an den
Großherzog von Sachsen-Weimar (damals in Versailles) ab. Aus Petersburg
erhielt er zur Antwort: 5ustiÜW vous: König Wilhelm antwortete verbind¬
lich, aber mit ernster Hinweisung auf die Haltung des Landes. Die Antwort
des Ministers Servais, eine umfangreiche Abhandlung, die in den Kammer¬
berichten abgedruckt wurde, bezweckte nicht sowohl, "den Fürsten Bismarck zu
überzeugen, daß er falsch berichtet worden sei, als das Land und die Negie-



Dies war in der That am 25. September 1870 geschehen; ein Zug mit achtzig Wagen
war nach Diedenhofen befördert worden. Das deutsche Beobachtungskorps vor Diedenhofen
war so schwach, daß es die Cernirung im Norden der Festung nicht hatte schließe" können.
Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais

Schleifung der Befestigungen von Luxemburg. Preußen hatte wiederholt auf
Beschleunigung der Arbeiten gedrungen und die unverzügliche Vornahme be¬
stimmter Arbeiten verlangt. Kurz vor dem Kriege, am 17. Juni 1870, hatte
Servais über den Stand der Arbeiten nach Berlin berichtet, wobei er seinem
Souverän alle Rechte wahrte.

Nun kam die Kriegserklärung. Während der französische Vertreter dem
bestürzte», Minister meldete, daß nach sichern Nachrichten ein deutsches Heer
«uf Luxemburg marschiere, ging ihm gleichzeitig aus Paris eine „fast amtliche
Mitteilung" zu, daß französische Truppen schon auf dem Marsche nach Luxem¬
burg begriffen seien. Servais erzählt, daß weder Belgien noch die Schweiz
damals eifriger bemüht gewesen sei, als Luxemburg, Vorkehrungen gegen jede
Art von Verletzung der Neutralität zu treffen. Und doch blieben die Be¬
schwerden nicht aus.

Schon unterm 4. Oktober 1870 hatte sich der Bundeskanzler beschwert,
daß die französische Ostbahngesellschaft einen Zug mit Lebensmitteln und Futter
von Luxemburg nach Diedenhofen befördert habe;*) diese schwere Verletzung
der Neutralität entbinde Deutschland von der Pflicht, im Verlaufe der Kriegs¬
operationen die luxemburgische Neutralität zu achte». Darauf folgte eine
weitere Note vom 3. Dezember 1870, worin darüber Klage geführt wurde,
daß sich Gefangne aus Metz ungehindert durch das Großhcrzogtum nach
Frankreich begeben hätten, und daß der französische Vizekonsul ein Nekru-
tirungsbüreau eingerichtet habe. Der luxemburgische Vertreter in Berlin,
Dr. Föhr, berichtete, Bismarck habe sich geweigert, ihn in Versailles zu
empfangen, wo er Aufschlüsse über das Verhalten seiner Regierung erteilen
sollte, und der Uuterstaatssekretär des Auswärtigen Amtes in Berlin,
H. v. Thiele, habe ihm erklärt, daß die Note, die den Staaten mitgeteilt
worden sei, die den Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867 unterzeichnet
hätten, geradezu die Aufrechthaltung dieses Vertrags in Frage stelle. Der
damals gerade in Luxemburg anwesende Prinz-Statthalter war, wie Servais
berichtet, völlig bestürzt. Er schickte telegraphisch Briefe an seine Ver¬
wandten, den König von Preußen, den Kaiser von Rußland und an den
Großherzog von Sachsen-Weimar (damals in Versailles) ab. Aus Petersburg
erhielt er zur Antwort: 5ustiÜW vous: König Wilhelm antwortete verbind¬
lich, aber mit ernster Hinweisung auf die Haltung des Landes. Die Antwort
des Ministers Servais, eine umfangreiche Abhandlung, die in den Kammer¬
berichten abgedruckt wurde, bezweckte nicht sowohl, „den Fürsten Bismarck zu
überzeugen, daß er falsch berichtet worden sei, als das Land und die Negie-



Dies war in der That am 25. September 1870 geschehen; ein Zug mit achtzig Wagen
war nach Diedenhofen befördert worden. Das deutsche Beobachtungskorps vor Diedenhofen
war so schwach, daß es die Cernirung im Norden der Festung nicht hatte schließe» können.
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[0191] Aus den Denkwürdigkeiten des luxemburgischen Ministers Servais Schleifung der Befestigungen von Luxemburg. Preußen hatte wiederholt auf Beschleunigung der Arbeiten gedrungen und die unverzügliche Vornahme be¬ stimmter Arbeiten verlangt. Kurz vor dem Kriege, am 17. Juni 1870, hatte Servais über den Stand der Arbeiten nach Berlin berichtet, wobei er seinem Souverän alle Rechte wahrte. Nun kam die Kriegserklärung. Während der französische Vertreter dem bestürzte», Minister meldete, daß nach sichern Nachrichten ein deutsches Heer «uf Luxemburg marschiere, ging ihm gleichzeitig aus Paris eine „fast amtliche Mitteilung" zu, daß französische Truppen schon auf dem Marsche nach Luxem¬ burg begriffen seien. Servais erzählt, daß weder Belgien noch die Schweiz damals eifriger bemüht gewesen sei, als Luxemburg, Vorkehrungen gegen jede Art von Verletzung der Neutralität zu treffen. Und doch blieben die Be¬ schwerden nicht aus. Schon unterm 4. Oktober 1870 hatte sich der Bundeskanzler beschwert, daß die französische Ostbahngesellschaft einen Zug mit Lebensmitteln und Futter von Luxemburg nach Diedenhofen befördert habe;*) diese schwere Verletzung der Neutralität entbinde Deutschland von der Pflicht, im Verlaufe der Kriegs¬ operationen die luxemburgische Neutralität zu achte». Darauf folgte eine weitere Note vom 3. Dezember 1870, worin darüber Klage geführt wurde, daß sich Gefangne aus Metz ungehindert durch das Großhcrzogtum nach Frankreich begeben hätten, und daß der französische Vizekonsul ein Nekru- tirungsbüreau eingerichtet habe. Der luxemburgische Vertreter in Berlin, Dr. Föhr, berichtete, Bismarck habe sich geweigert, ihn in Versailles zu empfangen, wo er Aufschlüsse über das Verhalten seiner Regierung erteilen sollte, und der Uuterstaatssekretär des Auswärtigen Amtes in Berlin, H. v. Thiele, habe ihm erklärt, daß die Note, die den Staaten mitgeteilt worden sei, die den Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867 unterzeichnet hätten, geradezu die Aufrechthaltung dieses Vertrags in Frage stelle. Der damals gerade in Luxemburg anwesende Prinz-Statthalter war, wie Servais berichtet, völlig bestürzt. Er schickte telegraphisch Briefe an seine Ver¬ wandten, den König von Preußen, den Kaiser von Rußland und an den Großherzog von Sachsen-Weimar (damals in Versailles) ab. Aus Petersburg erhielt er zur Antwort: 5ustiÜW vous: König Wilhelm antwortete verbind¬ lich, aber mit ernster Hinweisung auf die Haltung des Landes. Die Antwort des Ministers Servais, eine umfangreiche Abhandlung, die in den Kammer¬ berichten abgedruckt wurde, bezweckte nicht sowohl, „den Fürsten Bismarck zu überzeugen, daß er falsch berichtet worden sei, als das Land und die Negie- Dies war in der That am 25. September 1870 geschehen; ein Zug mit achtzig Wagen war nach Diedenhofen befördert worden. Das deutsche Beobachtungskorps vor Diedenhofen war so schwach, daß es die Cernirung im Norden der Festung nicht hatte schließe» können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/191>, abgerufen am 01.09.2024.