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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Theater zu dunkel, mis daß der Schreiber dieser Zeilen hätte sehen können, welchen
Ausdruck das Gesicht des Herrn Singer annahm, als er das den "Genossen"
Florian Geyer sagen hörte.) Endlich würdigt Geyer die Marei eines Blicks. Man
findet Briefe bei ihr, eine Schreckenspost: Der Truchseß vou Waldburg hat den
Bauern eine gewaltige Niederlage beigebracht (am 12. Mai bei Bebungen). Mehrere
Tausend von ihnen liegen hingeschlachtet. Auch die Würzburger Angelegenheit
steht schlecht. Des Bischofs Burg ist vergeblich durch die Bauern berannt worden.

Im dritten Alt scheint der Fluß der Handlung noch mehr zu versanden als
zuvor. In öder Trübseligkeit schleppt sich der Rest der Getreuen Florian Geyers
in Schweinfurt zusammen, wohin eine Art von Landtag berufen ist. Die meisten
der Erwarteten, voran der Markgraf von Brandenburg-Anspach, erscheinen nicht.
Lähmende Mutlosigkeit hat sich der Anwesenden bemächtigt. Ein Mütterlein mit
ihrem Sohne tritt herzu. Wieder nnr Relation: der Sohn ist einer von denen,
die zu Kitzingen der Markgraf von Anspach hat blenden lassen. Man schaudert
und verzagt. Ans dem ganzen Akte blickt es uus an wie entsetzliches Gähnen,
Während jetzt die Flamme am hellsten lodern sollte.

Nun gehts zurück nach Rothenburg. Es ist zu nächtlicher Weile wieder in
der Schenke von vorhin. Männer sitzen und trinken beim flackernden Lichte der
Talgkerzcn. Man merkts aus ihren Reden: die Sache der Bauern ist verloren,
das vorsichtige Rothenburg neigt dem Sieger zu. Zum Zeichen dessen wird um
diese Stunde der Galgen gestürzt, den Florian Geyer für die Hälse der Edelleute
hatte errichten lassen. Die ehrsamen Bürger gehen uach Hause. Ju der Trink¬
stube wird es einsam. Da horch, poch poch! Ein gebrochner Mann kommt, der
gesehen hat und erzählt, wie der Sieger gegen die Bauern gewütet hat. Noch
einmal das Pochen. Diesmal ist es Florian Geyer selbst, bejammernswert klein¬
mütig, dann angefeuert durch Wein und in eine genialische trinkselige Stimmung
hineinkokettirt. Es klopft zum drittenmnle. Ein grauenhaft wilder Geselle bricht
herein: der Tellenuann, Geyers Feldhauptmann. Er schreit und tobt, zum Tode
verwundet, brüllt, röchelt und stirbt. Das Stimmungsbild -- denn andres ist
dieser Akt nicht -- zu vollenden, greift ein anwesender Spielmann in die Saiten
und stimmt ein Lied an vom Helden Florian Geyer. Der Held selbst -- weint.
Das Lied schweigt. Endlich entschließt sich Florian Geyer zu reiten -- in
den Tod.

Sein Ziel ist Schloß Nimpar, die Burg seines Schwagers Wilhelm von
Grumbach. Dieser Edle hat schnell wieder die Farbe des Bauerufreuudes mit der
des Feudalherrn vertauscht, seit er vernommen hat, daß die Bauern am Boden
liegen. Ritterschaft, auf der Suche nach dem schwarzen Geyer, kehrt bei Grum-
bach ein, bewillkommnet und bewirtet durch ihn und seine Gattin. Man zecht,
wird bezecht und läßt seinem Übermut die Zügel schießen, indem man auf einen
Haufen gefangner und herbeigezerrter Bauern mit Peitschen loshaut. Dann geht
das Gelage weiter. Inzwischen schleppt sich Florian Geyer herauf. Ihm voran
huscht Marei, seine Liebste. Grumbach gewahrt und erkennt seinen Schwager. Er
mag ihn nicht vertreiben, sondern birgt ihn, nebst der Dirne, in einem Gelaß.
Seine Gattin erkundet das Versteck. Bangend vor dem Vorwurf, dem Verfehmten
Asyl gewährt zu haben, verrät sie den trunkner Gästen, daß Florian Geyer im
Schlosse sei. Die Ritter stürzen herzu. Mnrei wird niedergemacht. Dann steht
Florian Geyer, gezückten Schwerts, vor ihnen. Wilde Rede und Widerrede. End¬
lich sinkt der schwarze Bauernführer, getroffen durch die vorschnelle Armbrust eiues
im Raume anwesenden frechen Landsknechts, tut zusammen.

In diesem letzten Akte ist die dramatische Kraft Gerhart Hauptmanns potenzirt.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Theater zu dunkel, mis daß der Schreiber dieser Zeilen hätte sehen können, welchen
Ausdruck das Gesicht des Herrn Singer annahm, als er das den „Genossen"
Florian Geyer sagen hörte.) Endlich würdigt Geyer die Marei eines Blicks. Man
findet Briefe bei ihr, eine Schreckenspost: Der Truchseß vou Waldburg hat den
Bauern eine gewaltige Niederlage beigebracht (am 12. Mai bei Bebungen). Mehrere
Tausend von ihnen liegen hingeschlachtet. Auch die Würzburger Angelegenheit
steht schlecht. Des Bischofs Burg ist vergeblich durch die Bauern berannt worden.

Im dritten Alt scheint der Fluß der Handlung noch mehr zu versanden als
zuvor. In öder Trübseligkeit schleppt sich der Rest der Getreuen Florian Geyers
in Schweinfurt zusammen, wohin eine Art von Landtag berufen ist. Die meisten
der Erwarteten, voran der Markgraf von Brandenburg-Anspach, erscheinen nicht.
Lähmende Mutlosigkeit hat sich der Anwesenden bemächtigt. Ein Mütterlein mit
ihrem Sohne tritt herzu. Wieder nnr Relation: der Sohn ist einer von denen,
die zu Kitzingen der Markgraf von Anspach hat blenden lassen. Man schaudert
und verzagt. Ans dem ganzen Akte blickt es uus an wie entsetzliches Gähnen,
Während jetzt die Flamme am hellsten lodern sollte.

Nun gehts zurück nach Rothenburg. Es ist zu nächtlicher Weile wieder in
der Schenke von vorhin. Männer sitzen und trinken beim flackernden Lichte der
Talgkerzcn. Man merkts aus ihren Reden: die Sache der Bauern ist verloren,
das vorsichtige Rothenburg neigt dem Sieger zu. Zum Zeichen dessen wird um
diese Stunde der Galgen gestürzt, den Florian Geyer für die Hälse der Edelleute
hatte errichten lassen. Die ehrsamen Bürger gehen uach Hause. Ju der Trink¬
stube wird es einsam. Da horch, poch poch! Ein gebrochner Mann kommt, der
gesehen hat und erzählt, wie der Sieger gegen die Bauern gewütet hat. Noch
einmal das Pochen. Diesmal ist es Florian Geyer selbst, bejammernswert klein¬
mütig, dann angefeuert durch Wein und in eine genialische trinkselige Stimmung
hineinkokettirt. Es klopft zum drittenmnle. Ein grauenhaft wilder Geselle bricht
herein: der Tellenuann, Geyers Feldhauptmann. Er schreit und tobt, zum Tode
verwundet, brüllt, röchelt und stirbt. Das Stimmungsbild — denn andres ist
dieser Akt nicht — zu vollenden, greift ein anwesender Spielmann in die Saiten
und stimmt ein Lied an vom Helden Florian Geyer. Der Held selbst — weint.
Das Lied schweigt. Endlich entschließt sich Florian Geyer zu reiten — in
den Tod.

Sein Ziel ist Schloß Nimpar, die Burg seines Schwagers Wilhelm von
Grumbach. Dieser Edle hat schnell wieder die Farbe des Bauerufreuudes mit der
des Feudalherrn vertauscht, seit er vernommen hat, daß die Bauern am Boden
liegen. Ritterschaft, auf der Suche nach dem schwarzen Geyer, kehrt bei Grum-
bach ein, bewillkommnet und bewirtet durch ihn und seine Gattin. Man zecht,
wird bezecht und läßt seinem Übermut die Zügel schießen, indem man auf einen
Haufen gefangner und herbeigezerrter Bauern mit Peitschen loshaut. Dann geht
das Gelage weiter. Inzwischen schleppt sich Florian Geyer herauf. Ihm voran
huscht Marei, seine Liebste. Grumbach gewahrt und erkennt seinen Schwager. Er
mag ihn nicht vertreiben, sondern birgt ihn, nebst der Dirne, in einem Gelaß.
Seine Gattin erkundet das Versteck. Bangend vor dem Vorwurf, dem Verfehmten
Asyl gewährt zu haben, verrät sie den trunkner Gästen, daß Florian Geyer im
Schlosse sei. Die Ritter stürzen herzu. Mnrei wird niedergemacht. Dann steht
Florian Geyer, gezückten Schwerts, vor ihnen. Wilde Rede und Widerrede. End¬
lich sinkt der schwarze Bauernführer, getroffen durch die vorschnelle Armbrust eiues
im Raume anwesenden frechen Landsknechts, tut zusammen.

In diesem letzten Akte ist die dramatische Kraft Gerhart Hauptmanns potenzirt.


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[0165] Maßgebliches und Unmaßgebliches Theater zu dunkel, mis daß der Schreiber dieser Zeilen hätte sehen können, welchen Ausdruck das Gesicht des Herrn Singer annahm, als er das den „Genossen" Florian Geyer sagen hörte.) Endlich würdigt Geyer die Marei eines Blicks. Man findet Briefe bei ihr, eine Schreckenspost: Der Truchseß vou Waldburg hat den Bauern eine gewaltige Niederlage beigebracht (am 12. Mai bei Bebungen). Mehrere Tausend von ihnen liegen hingeschlachtet. Auch die Würzburger Angelegenheit steht schlecht. Des Bischofs Burg ist vergeblich durch die Bauern berannt worden. Im dritten Alt scheint der Fluß der Handlung noch mehr zu versanden als zuvor. In öder Trübseligkeit schleppt sich der Rest der Getreuen Florian Geyers in Schweinfurt zusammen, wohin eine Art von Landtag berufen ist. Die meisten der Erwarteten, voran der Markgraf von Brandenburg-Anspach, erscheinen nicht. Lähmende Mutlosigkeit hat sich der Anwesenden bemächtigt. Ein Mütterlein mit ihrem Sohne tritt herzu. Wieder nnr Relation: der Sohn ist einer von denen, die zu Kitzingen der Markgraf von Anspach hat blenden lassen. Man schaudert und verzagt. Ans dem ganzen Akte blickt es uus an wie entsetzliches Gähnen, Während jetzt die Flamme am hellsten lodern sollte. Nun gehts zurück nach Rothenburg. Es ist zu nächtlicher Weile wieder in der Schenke von vorhin. Männer sitzen und trinken beim flackernden Lichte der Talgkerzcn. Man merkts aus ihren Reden: die Sache der Bauern ist verloren, das vorsichtige Rothenburg neigt dem Sieger zu. Zum Zeichen dessen wird um diese Stunde der Galgen gestürzt, den Florian Geyer für die Hälse der Edelleute hatte errichten lassen. Die ehrsamen Bürger gehen uach Hause. Ju der Trink¬ stube wird es einsam. Da horch, poch poch! Ein gebrochner Mann kommt, der gesehen hat und erzählt, wie der Sieger gegen die Bauern gewütet hat. Noch einmal das Pochen. Diesmal ist es Florian Geyer selbst, bejammernswert klein¬ mütig, dann angefeuert durch Wein und in eine genialische trinkselige Stimmung hineinkokettirt. Es klopft zum drittenmnle. Ein grauenhaft wilder Geselle bricht herein: der Tellenuann, Geyers Feldhauptmann. Er schreit und tobt, zum Tode verwundet, brüllt, röchelt und stirbt. Das Stimmungsbild — denn andres ist dieser Akt nicht — zu vollenden, greift ein anwesender Spielmann in die Saiten und stimmt ein Lied an vom Helden Florian Geyer. Der Held selbst — weint. Das Lied schweigt. Endlich entschließt sich Florian Geyer zu reiten — in den Tod. Sein Ziel ist Schloß Nimpar, die Burg seines Schwagers Wilhelm von Grumbach. Dieser Edle hat schnell wieder die Farbe des Bauerufreuudes mit der des Feudalherrn vertauscht, seit er vernommen hat, daß die Bauern am Boden liegen. Ritterschaft, auf der Suche nach dem schwarzen Geyer, kehrt bei Grum- bach ein, bewillkommnet und bewirtet durch ihn und seine Gattin. Man zecht, wird bezecht und läßt seinem Übermut die Zügel schießen, indem man auf einen Haufen gefangner und herbeigezerrter Bauern mit Peitschen loshaut. Dann geht das Gelage weiter. Inzwischen schleppt sich Florian Geyer herauf. Ihm voran huscht Marei, seine Liebste. Grumbach gewahrt und erkennt seinen Schwager. Er mag ihn nicht vertreiben, sondern birgt ihn, nebst der Dirne, in einem Gelaß. Seine Gattin erkundet das Versteck. Bangend vor dem Vorwurf, dem Verfehmten Asyl gewährt zu haben, verrät sie den trunkner Gästen, daß Florian Geyer im Schlosse sei. Die Ritter stürzen herzu. Mnrei wird niedergemacht. Dann steht Florian Geyer, gezückten Schwerts, vor ihnen. Wilde Rede und Widerrede. End¬ lich sinkt der schwarze Bauernführer, getroffen durch die vorschnelle Armbrust eiues im Raume anwesenden frechen Landsknechts, tut zusammen. In diesem letzten Akte ist die dramatische Kraft Gerhart Hauptmanns potenzirt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/165>, abgerufen am 24.11.2024.