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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

kommen waren, sind um eine Täuschung reicher heimgegangen. Der Dichter, der
in seinen Webern -- mag man über die Tendenz dieses revolutionären, Autorität
und Obrigkeit versöhnenden Dramas denken, wie man will -- die flammende
Sprache des echten Dramatikers gesprochen hat, verliert sich im Florian Geyer in
breitesten Gerede, in weitschweifiger Schilderei von Bildern, die gewiß zündender
Einzelheiten nicht ermangeln, aber doch nicht interessiren und mit fortreißen. Nicht
einmal unmittelbare Handlung gewähren sie. In der Ferne geschehen die letzten
Greuel des Bauernkrieges von 1525. Durch Briefe nur, die flüchtige Boten
bringen, durch Personen, die der furchtbar rächenden Hand des Truchseß von Wald-
burg entgangen sind, oder durch Leute, die sich als wimmernde Zeugen eines
scheußliche" Blutbades darstellen, vernehmen wir von den Begebenheiten, in deren
Mittelpunkte der Bauernfllhrer Florian Geyer stehen sollte. Erst im letzten Akte
rafft sich der Dichter auf und zeigt, daß er eines höhern Fluges fähig ist; doch
bedeutet das nach einem Vorspiel und vier langatmigen Akten nicht genng, um den
Vorwurf zu entkräften, daß dies "Bühnenspiel" der Eigenschaft eines mächtig ge¬
schlossenen Kunstwerks entbehrt.

Ein Hauptmangel: Florian Geyer, wie ihn Hauptmann zeigt, ist nicht der
Held darnach, daß er ein großes Drama tragen könnte. Was uus Zuverlässiges
von diesem Freunde der Sache der Bauern, von diesem sozialistisch-kommunistischen
Vorbilde etwa eines Lassalle überliefert worden ist, erweist sich als gering. Um
so freiern Spielraum hatte die schaffende und gestaltende Hand des Dichters. Er
konnte die Idee" und Thaten Florian Geyers aus bestimmten Motiven adeln und
ihnen so unsre Teilnahme gewinnen; er konnte ihn um Großes ringe" und groß
untergehen lasse"; er mußte ihn vor allem aus der Sphäre eines Volksredners,
der um die Maientage des Jahres 1525 die Rothenburger Bürger zu haranguiren
suchte, ihm Geschütz und Mannen zu geben, um die Feste "Unsrer Frauen Berg"
in Würzburg zu berennen, herausheben und ih" mehr als den Mann der That
als des Rates hinzustellen. Das hat Hauptmann nicht gethan. Gewiß zählt sein
Florian Geyer zu den edel" Schwarmgeistern. Es schwebt ihm ein evangelisches
einiges Reich vor, als dessen Oberhaupt er auf deu Markt von Rothenburg sogar
den Namen Barbarossa hinaufruft. Er ist im Zorn entbrannt wider die Sünd¬
haftigkeit der römischen Klerisei und ihrer Häupter auf dem Stuhle Petri, die die
Lust und den Glanz der Welt liebte". Er weiß, daß die Bewegung der Bauern
ohne einen gewaltigen Führer in Uneinigkeit ersticken muß, und trachtet, die hadernden
Gruppen zusammenznhnlten und sie mit seinem Geiste zu durchglühen. Aber
doch uur im ersten Akte erweist er sich auf der Höhe; dann sinkt er zu einem un¬
entschlossenen, grübelnden, ja sentimentalen Gesellen herab, den das Unheil über¬
kommt, ohne daß er ihm wie ein Held die Stirn bietet und die Zähne zeigt.

Die Sache ist, wie gesagt, auf ein Vorspiel und fünf lange Akte ausgesponnen.
Das Vorspiel zeigt die um den Bischof von Würzburg auf der Burg "Unsrer
Frauen Berg" versammelten Ritter und Edeln in arger Beklommenheit ob der
Erfolge, die die wilden Vanernscharen, insbesondre die schwarze Bande Florian
Geyers, bis dahin errungen haben. Ein Schreibcrlein liest den trntzigen Herren
die berühmten zwölf Artikel vor, die die Bauern ihren Forderungen zu Grunde
gelegt hatten. Die Meinungen über diese Postulate gehen ans einander. Herrische
Abweisung begegnet sich mit Erwägung von Billigkeit und Gerechtigkeit. Doch
Herreumoral und Herrenrecht siegen; und unter Schwertergerassel und Hurrageschrei
geloben die Hochedeln dem Bischof Konrad, treu zu ihm und der Sache des Ritter¬
tums zu stehen und die von den Bauern belagerte Burg "Unsrer Frauen Berg"
zu halten. Als Exposition Wäre dies lebendige Bild nicht so übel. Es belehrt


Maßgebliches und Unmaßgebliches

kommen waren, sind um eine Täuschung reicher heimgegangen. Der Dichter, der
in seinen Webern — mag man über die Tendenz dieses revolutionären, Autorität
und Obrigkeit versöhnenden Dramas denken, wie man will — die flammende
Sprache des echten Dramatikers gesprochen hat, verliert sich im Florian Geyer in
breitesten Gerede, in weitschweifiger Schilderei von Bildern, die gewiß zündender
Einzelheiten nicht ermangeln, aber doch nicht interessiren und mit fortreißen. Nicht
einmal unmittelbare Handlung gewähren sie. In der Ferne geschehen die letzten
Greuel des Bauernkrieges von 1525. Durch Briefe nur, die flüchtige Boten
bringen, durch Personen, die der furchtbar rächenden Hand des Truchseß von Wald-
burg entgangen sind, oder durch Leute, die sich als wimmernde Zeugen eines
scheußliche» Blutbades darstellen, vernehmen wir von den Begebenheiten, in deren
Mittelpunkte der Bauernfllhrer Florian Geyer stehen sollte. Erst im letzten Akte
rafft sich der Dichter auf und zeigt, daß er eines höhern Fluges fähig ist; doch
bedeutet das nach einem Vorspiel und vier langatmigen Akten nicht genng, um den
Vorwurf zu entkräften, daß dies „Bühnenspiel" der Eigenschaft eines mächtig ge¬
schlossenen Kunstwerks entbehrt.

Ein Hauptmangel: Florian Geyer, wie ihn Hauptmann zeigt, ist nicht der
Held darnach, daß er ein großes Drama tragen könnte. Was uus Zuverlässiges
von diesem Freunde der Sache der Bauern, von diesem sozialistisch-kommunistischen
Vorbilde etwa eines Lassalle überliefert worden ist, erweist sich als gering. Um
so freiern Spielraum hatte die schaffende und gestaltende Hand des Dichters. Er
konnte die Idee» und Thaten Florian Geyers aus bestimmten Motiven adeln und
ihnen so unsre Teilnahme gewinnen; er konnte ihn um Großes ringe» und groß
untergehen lasse»; er mußte ihn vor allem aus der Sphäre eines Volksredners,
der um die Maientage des Jahres 1525 die Rothenburger Bürger zu haranguiren
suchte, ihm Geschütz und Mannen zu geben, um die Feste „Unsrer Frauen Berg"
in Würzburg zu berennen, herausheben und ih» mehr als den Mann der That
als des Rates hinzustellen. Das hat Hauptmann nicht gethan. Gewiß zählt sein
Florian Geyer zu den edel» Schwarmgeistern. Es schwebt ihm ein evangelisches
einiges Reich vor, als dessen Oberhaupt er auf deu Markt von Rothenburg sogar
den Namen Barbarossa hinaufruft. Er ist im Zorn entbrannt wider die Sünd¬
haftigkeit der römischen Klerisei und ihrer Häupter auf dem Stuhle Petri, die die
Lust und den Glanz der Welt liebte». Er weiß, daß die Bewegung der Bauern
ohne einen gewaltigen Führer in Uneinigkeit ersticken muß, und trachtet, die hadernden
Gruppen zusammenznhnlten und sie mit seinem Geiste zu durchglühen. Aber
doch uur im ersten Akte erweist er sich auf der Höhe; dann sinkt er zu einem un¬
entschlossenen, grübelnden, ja sentimentalen Gesellen herab, den das Unheil über¬
kommt, ohne daß er ihm wie ein Held die Stirn bietet und die Zähne zeigt.

Die Sache ist, wie gesagt, auf ein Vorspiel und fünf lange Akte ausgesponnen.
Das Vorspiel zeigt die um den Bischof von Würzburg auf der Burg „Unsrer
Frauen Berg" versammelten Ritter und Edeln in arger Beklommenheit ob der
Erfolge, die die wilden Vanernscharen, insbesondre die schwarze Bande Florian
Geyers, bis dahin errungen haben. Ein Schreibcrlein liest den trntzigen Herren
die berühmten zwölf Artikel vor, die die Bauern ihren Forderungen zu Grunde
gelegt hatten. Die Meinungen über diese Postulate gehen ans einander. Herrische
Abweisung begegnet sich mit Erwägung von Billigkeit und Gerechtigkeit. Doch
Herreumoral und Herrenrecht siegen; und unter Schwertergerassel und Hurrageschrei
geloben die Hochedeln dem Bischof Konrad, treu zu ihm und der Sache des Ritter¬
tums zu stehen und die von den Bauern belagerte Burg „Unsrer Frauen Berg"
zu halten. Als Exposition Wäre dies lebendige Bild nicht so übel. Es belehrt


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[0163] Maßgebliches und Unmaßgebliches kommen waren, sind um eine Täuschung reicher heimgegangen. Der Dichter, der in seinen Webern — mag man über die Tendenz dieses revolutionären, Autorität und Obrigkeit versöhnenden Dramas denken, wie man will — die flammende Sprache des echten Dramatikers gesprochen hat, verliert sich im Florian Geyer in breitesten Gerede, in weitschweifiger Schilderei von Bildern, die gewiß zündender Einzelheiten nicht ermangeln, aber doch nicht interessiren und mit fortreißen. Nicht einmal unmittelbare Handlung gewähren sie. In der Ferne geschehen die letzten Greuel des Bauernkrieges von 1525. Durch Briefe nur, die flüchtige Boten bringen, durch Personen, die der furchtbar rächenden Hand des Truchseß von Wald- burg entgangen sind, oder durch Leute, die sich als wimmernde Zeugen eines scheußliche» Blutbades darstellen, vernehmen wir von den Begebenheiten, in deren Mittelpunkte der Bauernfllhrer Florian Geyer stehen sollte. Erst im letzten Akte rafft sich der Dichter auf und zeigt, daß er eines höhern Fluges fähig ist; doch bedeutet das nach einem Vorspiel und vier langatmigen Akten nicht genng, um den Vorwurf zu entkräften, daß dies „Bühnenspiel" der Eigenschaft eines mächtig ge¬ schlossenen Kunstwerks entbehrt. Ein Hauptmangel: Florian Geyer, wie ihn Hauptmann zeigt, ist nicht der Held darnach, daß er ein großes Drama tragen könnte. Was uus Zuverlässiges von diesem Freunde der Sache der Bauern, von diesem sozialistisch-kommunistischen Vorbilde etwa eines Lassalle überliefert worden ist, erweist sich als gering. Um so freiern Spielraum hatte die schaffende und gestaltende Hand des Dichters. Er konnte die Idee» und Thaten Florian Geyers aus bestimmten Motiven adeln und ihnen so unsre Teilnahme gewinnen; er konnte ihn um Großes ringe» und groß untergehen lasse»; er mußte ihn vor allem aus der Sphäre eines Volksredners, der um die Maientage des Jahres 1525 die Rothenburger Bürger zu haranguiren suchte, ihm Geschütz und Mannen zu geben, um die Feste „Unsrer Frauen Berg" in Würzburg zu berennen, herausheben und ih» mehr als den Mann der That als des Rates hinzustellen. Das hat Hauptmann nicht gethan. Gewiß zählt sein Florian Geyer zu den edel» Schwarmgeistern. Es schwebt ihm ein evangelisches einiges Reich vor, als dessen Oberhaupt er auf deu Markt von Rothenburg sogar den Namen Barbarossa hinaufruft. Er ist im Zorn entbrannt wider die Sünd¬ haftigkeit der römischen Klerisei und ihrer Häupter auf dem Stuhle Petri, die die Lust und den Glanz der Welt liebte». Er weiß, daß die Bewegung der Bauern ohne einen gewaltigen Führer in Uneinigkeit ersticken muß, und trachtet, die hadernden Gruppen zusammenznhnlten und sie mit seinem Geiste zu durchglühen. Aber doch uur im ersten Akte erweist er sich auf der Höhe; dann sinkt er zu einem un¬ entschlossenen, grübelnden, ja sentimentalen Gesellen herab, den das Unheil über¬ kommt, ohne daß er ihm wie ein Held die Stirn bietet und die Zähne zeigt. Die Sache ist, wie gesagt, auf ein Vorspiel und fünf lange Akte ausgesponnen. Das Vorspiel zeigt die um den Bischof von Würzburg auf der Burg „Unsrer Frauen Berg" versammelten Ritter und Edeln in arger Beklommenheit ob der Erfolge, die die wilden Vanernscharen, insbesondre die schwarze Bande Florian Geyers, bis dahin errungen haben. Ein Schreibcrlein liest den trntzigen Herren die berühmten zwölf Artikel vor, die die Bauern ihren Forderungen zu Grunde gelegt hatten. Die Meinungen über diese Postulate gehen ans einander. Herrische Abweisung begegnet sich mit Erwägung von Billigkeit und Gerechtigkeit. Doch Herreumoral und Herrenrecht siegen; und unter Schwertergerassel und Hurrageschrei geloben die Hochedeln dem Bischof Konrad, treu zu ihm und der Sache des Ritter¬ tums zu stehen und die von den Bauern belagerte Burg „Unsrer Frauen Berg" zu halten. Als Exposition Wäre dies lebendige Bild nicht so übel. Es belehrt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/163>, abgerufen am 24.11.2024.