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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage

Daß die Aufgabe der Kommission in dem dargelegten Sinne aufgefaßt
wurde, erklärt sich leicht und kann auch von dem jetzt herrschenden Standpunkt
aus uur gebilligt werden. Ja gerade die heute bestehenden politischen und
wirtschaftlichen Gegensatze zeigen, daß ein auf höhere Ziele gerichtetes Streben
sicher vereitelt worden wäre. Man war sich schon damals der großen Schwierig¬
keiten bewußt, die auch die bloße Zusammenfassung und zweckmäßige Gestaltung
des vorhandnen Nechtsstoffs bereiten würde. Deshalb wollte man diese Schwierig¬
keiten nicht unnötig dadurch vermehren, daß man der Kommission die Auf¬
findung und Durchführung neuer, noch nicht durch die Erfahrung erprobter
Rechtssätze oder Systeme aufgab. Die neuerdings gemachten Anlaufe zur
Wiederbelebung des durch die geschichtliche Rechtsschule verdrängten Natur¬
rechts waren damals noch nicht geschehen, sie würden auch uicht berücksichtigt
worden sein, weil man allgemein annahm, daß nicht ein künstlich geschaffnes,
aus philosophischen Anschauungen (deduktiv) abgeleitetes, sondern nur ein aus
den geschichtlich entstandnen Verhältnissen und den Bedürfnissen des Volkes
hervorgegcmgnes Recht den bestehenden Anforderungen genügen könne. So ist
auch im allgemeinen bei den frühern in Deutschland entstandnen Gesetzgebungs¬
werken verfahren worden. Auch bei dem preußischen Allgemeinen Landrecht,
das zu einer Zeit entstand, wo das "Naturrecht" in hohen Ehren stand, und
bei dem Ovals Mvolsou, bei dessen Feststellung die von der Philosophie des
achtzehnten Jahrhunderts beeinflußten Ideen der großen Revolution noch nach¬
wirkten, ist doch die Kodifikation des bestehenden, insbesondre die Verschmelzung
des römischen und des germanischen Rechtsstoffs als die wichtigste Aufgabe
angesehen worden. Das Bedürfnis nach einheitlichem Recht drängte alles
andre in den Hintergrund. In Frankreich wollte man zwar anfangs von den
Entwürfen, die auf der Grundlage des alten Rechts beruhte!?, überhaupt vom
Juristenrecht nichts wissen, man wollte ein ganz neues, rein aus der Ver¬
nunft oder dem Naturrecht abgeleitetes Zivilrecht einführen. Als aber nach
dem Sturze des Direktoriums Bonaparte ans Regiment kam, wurde davon
abgesehen und in erster Linie eine Ausgleichung zwischen dem im Süden gel¬
tenden römischen Recht und dem im Norden herrschenden Gewohnheitsrecht
(etoit as" voutüings) in Angriff genommen, das im wesentlichen deutschen
Ursprungs war. Daran that man auch sehr wohl, denn die Erfahrungen, die
man mit dem während der Revolution entstandnen Recht (dem sogenannten
etroit, wtsrmöäiairö), insbesondre mit dem Eherecht, gemacht hatte, waren sehr
ungünstig.

Daß die erste Kommission ihrer Aufgabe -- abgesehen von der später
zu erwähnenden Gesetzessprache -- im großen und ganzen gerecht geworden
ist und für ihre gründliche und gewissenhafte Arbeit, sowie für die folgerichtige
Durchführung der aufgestellten Grundsätze die höchste Anerkennung verdient,
kann keinem Zweifel unterliegen. Dies wurde auch, trotz der scharfen Kritik,


Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage

Daß die Aufgabe der Kommission in dem dargelegten Sinne aufgefaßt
wurde, erklärt sich leicht und kann auch von dem jetzt herrschenden Standpunkt
aus uur gebilligt werden. Ja gerade die heute bestehenden politischen und
wirtschaftlichen Gegensatze zeigen, daß ein auf höhere Ziele gerichtetes Streben
sicher vereitelt worden wäre. Man war sich schon damals der großen Schwierig¬
keiten bewußt, die auch die bloße Zusammenfassung und zweckmäßige Gestaltung
des vorhandnen Nechtsstoffs bereiten würde. Deshalb wollte man diese Schwierig¬
keiten nicht unnötig dadurch vermehren, daß man der Kommission die Auf¬
findung und Durchführung neuer, noch nicht durch die Erfahrung erprobter
Rechtssätze oder Systeme aufgab. Die neuerdings gemachten Anlaufe zur
Wiederbelebung des durch die geschichtliche Rechtsschule verdrängten Natur¬
rechts waren damals noch nicht geschehen, sie würden auch uicht berücksichtigt
worden sein, weil man allgemein annahm, daß nicht ein künstlich geschaffnes,
aus philosophischen Anschauungen (deduktiv) abgeleitetes, sondern nur ein aus
den geschichtlich entstandnen Verhältnissen und den Bedürfnissen des Volkes
hervorgegcmgnes Recht den bestehenden Anforderungen genügen könne. So ist
auch im allgemeinen bei den frühern in Deutschland entstandnen Gesetzgebungs¬
werken verfahren worden. Auch bei dem preußischen Allgemeinen Landrecht,
das zu einer Zeit entstand, wo das „Naturrecht" in hohen Ehren stand, und
bei dem Ovals Mvolsou, bei dessen Feststellung die von der Philosophie des
achtzehnten Jahrhunderts beeinflußten Ideen der großen Revolution noch nach¬
wirkten, ist doch die Kodifikation des bestehenden, insbesondre die Verschmelzung
des römischen und des germanischen Rechtsstoffs als die wichtigste Aufgabe
angesehen worden. Das Bedürfnis nach einheitlichem Recht drängte alles
andre in den Hintergrund. In Frankreich wollte man zwar anfangs von den
Entwürfen, die auf der Grundlage des alten Rechts beruhte!?, überhaupt vom
Juristenrecht nichts wissen, man wollte ein ganz neues, rein aus der Ver¬
nunft oder dem Naturrecht abgeleitetes Zivilrecht einführen. Als aber nach
dem Sturze des Direktoriums Bonaparte ans Regiment kam, wurde davon
abgesehen und in erster Linie eine Ausgleichung zwischen dem im Süden gel¬
tenden römischen Recht und dem im Norden herrschenden Gewohnheitsrecht
(etoit as« voutüings) in Angriff genommen, das im wesentlichen deutschen
Ursprungs war. Daran that man auch sehr wohl, denn die Erfahrungen, die
man mit dem während der Revolution entstandnen Recht (dem sogenannten
etroit, wtsrmöäiairö), insbesondre mit dem Eherecht, gemacht hatte, waren sehr
ungünstig.

Daß die erste Kommission ihrer Aufgabe — abgesehen von der später
zu erwähnenden Gesetzessprache — im großen und ganzen gerecht geworden
ist und für ihre gründliche und gewissenhafte Arbeit, sowie für die folgerichtige
Durchführung der aufgestellten Grundsätze die höchste Anerkennung verdient,
kann keinem Zweifel unterliegen. Dies wurde auch, trotz der scharfen Kritik,


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[0127] Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage Daß die Aufgabe der Kommission in dem dargelegten Sinne aufgefaßt wurde, erklärt sich leicht und kann auch von dem jetzt herrschenden Standpunkt aus uur gebilligt werden. Ja gerade die heute bestehenden politischen und wirtschaftlichen Gegensatze zeigen, daß ein auf höhere Ziele gerichtetes Streben sicher vereitelt worden wäre. Man war sich schon damals der großen Schwierig¬ keiten bewußt, die auch die bloße Zusammenfassung und zweckmäßige Gestaltung des vorhandnen Nechtsstoffs bereiten würde. Deshalb wollte man diese Schwierig¬ keiten nicht unnötig dadurch vermehren, daß man der Kommission die Auf¬ findung und Durchführung neuer, noch nicht durch die Erfahrung erprobter Rechtssätze oder Systeme aufgab. Die neuerdings gemachten Anlaufe zur Wiederbelebung des durch die geschichtliche Rechtsschule verdrängten Natur¬ rechts waren damals noch nicht geschehen, sie würden auch uicht berücksichtigt worden sein, weil man allgemein annahm, daß nicht ein künstlich geschaffnes, aus philosophischen Anschauungen (deduktiv) abgeleitetes, sondern nur ein aus den geschichtlich entstandnen Verhältnissen und den Bedürfnissen des Volkes hervorgegcmgnes Recht den bestehenden Anforderungen genügen könne. So ist auch im allgemeinen bei den frühern in Deutschland entstandnen Gesetzgebungs¬ werken verfahren worden. Auch bei dem preußischen Allgemeinen Landrecht, das zu einer Zeit entstand, wo das „Naturrecht" in hohen Ehren stand, und bei dem Ovals Mvolsou, bei dessen Feststellung die von der Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts beeinflußten Ideen der großen Revolution noch nach¬ wirkten, ist doch die Kodifikation des bestehenden, insbesondre die Verschmelzung des römischen und des germanischen Rechtsstoffs als die wichtigste Aufgabe angesehen worden. Das Bedürfnis nach einheitlichem Recht drängte alles andre in den Hintergrund. In Frankreich wollte man zwar anfangs von den Entwürfen, die auf der Grundlage des alten Rechts beruhte!?, überhaupt vom Juristenrecht nichts wissen, man wollte ein ganz neues, rein aus der Ver¬ nunft oder dem Naturrecht abgeleitetes Zivilrecht einführen. Als aber nach dem Sturze des Direktoriums Bonaparte ans Regiment kam, wurde davon abgesehen und in erster Linie eine Ausgleichung zwischen dem im Süden gel¬ tenden römischen Recht und dem im Norden herrschenden Gewohnheitsrecht (etoit as« voutüings) in Angriff genommen, das im wesentlichen deutschen Ursprungs war. Daran that man auch sehr wohl, denn die Erfahrungen, die man mit dem während der Revolution entstandnen Recht (dem sogenannten etroit, wtsrmöäiairö), insbesondre mit dem Eherecht, gemacht hatte, waren sehr ungünstig. Daß die erste Kommission ihrer Aufgabe — abgesehen von der später zu erwähnenden Gesetzessprache — im großen und ganzen gerecht geworden ist und für ihre gründliche und gewissenhafte Arbeit, sowie für die folgerichtige Durchführung der aufgestellten Grundsätze die höchste Anerkennung verdient, kann keinem Zweifel unterliegen. Dies wurde auch, trotz der scharfen Kritik,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/127>, abgerufen am 01.09.2024.