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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage

gelehrten Geheimsprache, wie von einer Popularisirung fernhalte, die die un¬
entbehrliche technische Bestimmtheit und Genauigkeit verwische, daß ferner ge¬
drungne Kürze und eine zwar gemeinverständliche, aber in konsequenter Technik
durchgeführte Rechtssprache erstrebt werde. Demgemäß wurde die Aufgabe im
einzelnen in drei Richtungen bestimmt. Es wurde zunächst genaue Feststellung
des gegenwärtig bestehenden Rechts, sowie dessen Beurteilung mit Rücksicht
auf innere Berechtigung und Zweckmäßigkeit gefordert, sodann eine Entschei¬
dung über seine Beibehaltung und über Ausgleichung der vorhandnen Gegen¬
sätze, endlich Anwendung der höchsten Sorgfalt hinsichtlich der Formgebung
und Anordnung. Von diesen Aufgaben hieß es, daß sie nicht unlösbar seien,
aber einen großen Aufwand vou wissenschaftlicher Einsicht, von Erfahrung
und Umsicht erforderten und nur durch verständige Zusammenfassung der ge¬
eignetsten Kräfte gelöst werden könnten.

Aus diesen Ausführungen, gegen die vor der Veröffentlichung des ersten
Entwurfs von keiner Seite Widerspruch erhoben wurde, geht zunächst hervor,
daß man mit Rücksicht auf die große Schwierigkeit der Arbeit nicht den ge¬
wöhnlichen Weg einschlagen wollte. Gewöhnlich werden ja die Gesetzentwürfe
in einem Ministerium ausgearbeitet und dann dem Reichstag oder Landtag
vorgelegt, der sie dann im einzelnen durch eine besondre Kommission prüfen
und, soweit es sich als notwendig erweist, umarbeiten läßt. Hier wurde
eine "aus den geeignetsten Kräften" besonders zusammengesetzte Kommission
für notwendig gehalten. Daß deren Arbeit durch den Justizausschuß des
Bundesrath oder eine besondre Reichstagskommission nochmals umgearbeitet
werden sollte, hat man damals gewiß nicht in Aussicht genommen. Die gut¬
achtlichen Äußerungen der Vorkommission wie der Bericht des Bundesrats¬
ausschusses lassen aber auch deutlich erkennen, daß es nicht als die Aufgabe
der Kommission angesehen wurde, neues Recht zu schaffen, sondern hauptsächlich
das vorhandne Recht, soweit es sich bewährt hatte und noch den Bedürfnissen
der Gegenwart entsprach, zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufassen.
Vorsorge bei neu auftretenden Bedürfnissen durch neue, den Anforderungen
des Lebens entsprechende Bestimmungen sollte natürlich nicht ausgeschlossen
sein. Das ergiebt sich schon daraus, daß veraltete Einrichtungen und Vor¬
schriften beseitigt werden sollten und vor allem Zweckmäßigkeit und Berücksich¬
tigung der praktischen Bedürfnisse verlangt wurden. Aber der Schwerpunkt lag
nach den damals allgemein herrschenden Anschauungen nicht in der Reform,
sondern in der Zusammenfassung des in Deutschland sehr mannichfaltigen Rechts.
Eine "schöpferische" Thätigkeit, deren Mangel dieser ersten Kommission später
zum Vorwurf gemacht worden ist, insbesondre die Einführung großer sozialer
Reformen wurde nirgends erwartet. Auch die Grenzen, innerhalb deren die
Rechtseinheit bezüglich des bürgerlichen Rechts verwirklicht werden sollte, wurde
der Kommission vom Justizausschuß des Bundesrath vorgezeichnet.


Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage

gelehrten Geheimsprache, wie von einer Popularisirung fernhalte, die die un¬
entbehrliche technische Bestimmtheit und Genauigkeit verwische, daß ferner ge¬
drungne Kürze und eine zwar gemeinverständliche, aber in konsequenter Technik
durchgeführte Rechtssprache erstrebt werde. Demgemäß wurde die Aufgabe im
einzelnen in drei Richtungen bestimmt. Es wurde zunächst genaue Feststellung
des gegenwärtig bestehenden Rechts, sowie dessen Beurteilung mit Rücksicht
auf innere Berechtigung und Zweckmäßigkeit gefordert, sodann eine Entschei¬
dung über seine Beibehaltung und über Ausgleichung der vorhandnen Gegen¬
sätze, endlich Anwendung der höchsten Sorgfalt hinsichtlich der Formgebung
und Anordnung. Von diesen Aufgaben hieß es, daß sie nicht unlösbar seien,
aber einen großen Aufwand vou wissenschaftlicher Einsicht, von Erfahrung
und Umsicht erforderten und nur durch verständige Zusammenfassung der ge¬
eignetsten Kräfte gelöst werden könnten.

Aus diesen Ausführungen, gegen die vor der Veröffentlichung des ersten
Entwurfs von keiner Seite Widerspruch erhoben wurde, geht zunächst hervor,
daß man mit Rücksicht auf die große Schwierigkeit der Arbeit nicht den ge¬
wöhnlichen Weg einschlagen wollte. Gewöhnlich werden ja die Gesetzentwürfe
in einem Ministerium ausgearbeitet und dann dem Reichstag oder Landtag
vorgelegt, der sie dann im einzelnen durch eine besondre Kommission prüfen
und, soweit es sich als notwendig erweist, umarbeiten läßt. Hier wurde
eine „aus den geeignetsten Kräften" besonders zusammengesetzte Kommission
für notwendig gehalten. Daß deren Arbeit durch den Justizausschuß des
Bundesrath oder eine besondre Reichstagskommission nochmals umgearbeitet
werden sollte, hat man damals gewiß nicht in Aussicht genommen. Die gut¬
achtlichen Äußerungen der Vorkommission wie der Bericht des Bundesrats¬
ausschusses lassen aber auch deutlich erkennen, daß es nicht als die Aufgabe
der Kommission angesehen wurde, neues Recht zu schaffen, sondern hauptsächlich
das vorhandne Recht, soweit es sich bewährt hatte und noch den Bedürfnissen
der Gegenwart entsprach, zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufassen.
Vorsorge bei neu auftretenden Bedürfnissen durch neue, den Anforderungen
des Lebens entsprechende Bestimmungen sollte natürlich nicht ausgeschlossen
sein. Das ergiebt sich schon daraus, daß veraltete Einrichtungen und Vor¬
schriften beseitigt werden sollten und vor allem Zweckmäßigkeit und Berücksich¬
tigung der praktischen Bedürfnisse verlangt wurden. Aber der Schwerpunkt lag
nach den damals allgemein herrschenden Anschauungen nicht in der Reform,
sondern in der Zusammenfassung des in Deutschland sehr mannichfaltigen Rechts.
Eine „schöpferische" Thätigkeit, deren Mangel dieser ersten Kommission später
zum Vorwurf gemacht worden ist, insbesondre die Einführung großer sozialer
Reformen wurde nirgends erwartet. Auch die Grenzen, innerhalb deren die
Rechtseinheit bezüglich des bürgerlichen Rechts verwirklicht werden sollte, wurde
der Kommission vom Justizausschuß des Bundesrath vorgezeichnet.


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[0126] Der Entwurf zu einem bürgerlichen Gesetzbuch vor dem Reichstage gelehrten Geheimsprache, wie von einer Popularisirung fernhalte, die die un¬ entbehrliche technische Bestimmtheit und Genauigkeit verwische, daß ferner ge¬ drungne Kürze und eine zwar gemeinverständliche, aber in konsequenter Technik durchgeführte Rechtssprache erstrebt werde. Demgemäß wurde die Aufgabe im einzelnen in drei Richtungen bestimmt. Es wurde zunächst genaue Feststellung des gegenwärtig bestehenden Rechts, sowie dessen Beurteilung mit Rücksicht auf innere Berechtigung und Zweckmäßigkeit gefordert, sodann eine Entschei¬ dung über seine Beibehaltung und über Ausgleichung der vorhandnen Gegen¬ sätze, endlich Anwendung der höchsten Sorgfalt hinsichtlich der Formgebung und Anordnung. Von diesen Aufgaben hieß es, daß sie nicht unlösbar seien, aber einen großen Aufwand vou wissenschaftlicher Einsicht, von Erfahrung und Umsicht erforderten und nur durch verständige Zusammenfassung der ge¬ eignetsten Kräfte gelöst werden könnten. Aus diesen Ausführungen, gegen die vor der Veröffentlichung des ersten Entwurfs von keiner Seite Widerspruch erhoben wurde, geht zunächst hervor, daß man mit Rücksicht auf die große Schwierigkeit der Arbeit nicht den ge¬ wöhnlichen Weg einschlagen wollte. Gewöhnlich werden ja die Gesetzentwürfe in einem Ministerium ausgearbeitet und dann dem Reichstag oder Landtag vorgelegt, der sie dann im einzelnen durch eine besondre Kommission prüfen und, soweit es sich als notwendig erweist, umarbeiten läßt. Hier wurde eine „aus den geeignetsten Kräften" besonders zusammengesetzte Kommission für notwendig gehalten. Daß deren Arbeit durch den Justizausschuß des Bundesrath oder eine besondre Reichstagskommission nochmals umgearbeitet werden sollte, hat man damals gewiß nicht in Aussicht genommen. Die gut¬ achtlichen Äußerungen der Vorkommission wie der Bericht des Bundesrats¬ ausschusses lassen aber auch deutlich erkennen, daß es nicht als die Aufgabe der Kommission angesehen wurde, neues Recht zu schaffen, sondern hauptsächlich das vorhandne Recht, soweit es sich bewährt hatte und noch den Bedürfnissen der Gegenwart entsprach, zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufassen. Vorsorge bei neu auftretenden Bedürfnissen durch neue, den Anforderungen des Lebens entsprechende Bestimmungen sollte natürlich nicht ausgeschlossen sein. Das ergiebt sich schon daraus, daß veraltete Einrichtungen und Vor¬ schriften beseitigt werden sollten und vor allem Zweckmäßigkeit und Berücksich¬ tigung der praktischen Bedürfnisse verlangt wurden. Aber der Schwerpunkt lag nach den damals allgemein herrschenden Anschauungen nicht in der Reform, sondern in der Zusammenfassung des in Deutschland sehr mannichfaltigen Rechts. Eine „schöpferische" Thätigkeit, deren Mangel dieser ersten Kommission später zum Vorwurf gemacht worden ist, insbesondre die Einführung großer sozialer Reformen wurde nirgends erwartet. Auch die Grenzen, innerhalb deren die Rechtseinheit bezüglich des bürgerlichen Rechts verwirklicht werden sollte, wurde der Kommission vom Justizausschuß des Bundesrath vorgezeichnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/126>, abgerufen am 01.09.2024.