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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Weltpolitik I

Es ist nicht gleich Krieg nötig und Eroberung, wenn man solche Kolonien
schaffen will. Man braucht zu den Raubstaaten nur so zu sagen: Wir sind
hier und wollen hier bleiben. Uns gehört die Erde so gut wie euch, und hier
gilt Krieg auch im Frieden. Wir wollen auch nicht euresgleichen werden und
unter euern Gesetzen leben, sondern nur bedingungsweise. Eure Regierungen
sind nicht ehrlich, eure Gerichte sind bestechlich. Wir sind das nicht gewohnt.
Unser Mutterland verlangt, daß wir nach unsern Ansprüchen behandelt werden.
Somit sind wir nicht durchaus eure Mitbürger, sondern auch noch deutsche
Ncichsbürger. Wenn dann ein Deutscher vor ein ausländisches Gericht kommt,
so sagt der Konsul nicht: Warum gehst du in dieses Land? sondern er handelt
wie jener englische Konsul in Mittelamerika, von dem vor einigen Jahren
folgende Geschichte durch die Zeitungen ging. Ein Engländer war in einer
- mittelamerikanischen Republik vor die Schranken des Gerichts gekommen und
wurde zum Tode durch die Kugel verurteilt. Sei es nun, daß das Urteil
ungesetzlich oder zu streng war, jedenfalls stellte sich der englische Konsul mit
seinem ganzen Einfluß vor den Verurteilten. Auf die Republikaner machte
das keinen Eindruck. Da telegraphirte er nach London. Die Republikaner
beschleunigten als Antwort den Tag der Hinrichtung; der Tag erschien, die
Soldaten waren aufmarschiert und harrten des Kommandos. Da erschien auch
der englische Konsul, warf dem Missethäter die englische Flagge über Kopf und
Brust und rief: Kill uiro, dut alone Kurt leis suglisll ita^. Ich bin überzeugt,
wir haben auch solche Konsuln.

Wir brauchen ein Auswärtiges Amt, das nicht bloß nach dem Loch in
den Vogesen starrt und nach den russischen Wäldern, sondern das an den
Küsten aller Ozeane Aufgaben für die deutsche Politik sieht, das die deutschen
Auswandrer dahin leitet, wo sie Unternehmer mit deutschem Kapital finden,
das auch die deutschen Privatkolonien für seine Kinder ansieht, für deren Ge¬
deihen, es zu sorgen hat, auf die Gefahr hin, daß sie eines Tages z. B. in
Südamerika den unfähigen Spaniern das Revolutionshandwerk legen und
-- abhängig oder unabhängig vom Reich -- deutsche Ackerbaukolonien werden.
Wie leicht das geschafft werden kann, mag eine zweite Geschichte zeigen. Im
Süden Brasiliens liegen Gruppen von deutschen Dörfern, die in den Bürger¬
kriegen der spanischen Abkömmlinge leidlich verschont geblieben sind. Vor
einigen Jahren geschah es doch einmal, daß Regierungstruppen in ihre Nähe
kamen, nicht als Feinde, sondern gelockt von den guten Quartieren. Reitende
Boten und Feuersignale vom bedrohten Orte sorgten dafür, daß in den benach¬
barten Dörfern die freiwilligen Feuerwehren, in Deutschland gediente Leute
und ihre Rekruten, schleunigst alarmirt wurden und sich auf den Marsch nach
dem Signalort begaben. Unterdessen war dort die militärische Macht enge-
. kommen; sagen wir eine Brigade, die wir aber etwa auf das Drittel einer
deutschen schätzen dürfen, mit zerrissenem Schuhwerk, zerlumpt und verhungert.


Weltpolitik I

Es ist nicht gleich Krieg nötig und Eroberung, wenn man solche Kolonien
schaffen will. Man braucht zu den Raubstaaten nur so zu sagen: Wir sind
hier und wollen hier bleiben. Uns gehört die Erde so gut wie euch, und hier
gilt Krieg auch im Frieden. Wir wollen auch nicht euresgleichen werden und
unter euern Gesetzen leben, sondern nur bedingungsweise. Eure Regierungen
sind nicht ehrlich, eure Gerichte sind bestechlich. Wir sind das nicht gewohnt.
Unser Mutterland verlangt, daß wir nach unsern Ansprüchen behandelt werden.
Somit sind wir nicht durchaus eure Mitbürger, sondern auch noch deutsche
Ncichsbürger. Wenn dann ein Deutscher vor ein ausländisches Gericht kommt,
so sagt der Konsul nicht: Warum gehst du in dieses Land? sondern er handelt
wie jener englische Konsul in Mittelamerika, von dem vor einigen Jahren
folgende Geschichte durch die Zeitungen ging. Ein Engländer war in einer
- mittelamerikanischen Republik vor die Schranken des Gerichts gekommen und
wurde zum Tode durch die Kugel verurteilt. Sei es nun, daß das Urteil
ungesetzlich oder zu streng war, jedenfalls stellte sich der englische Konsul mit
seinem ganzen Einfluß vor den Verurteilten. Auf die Republikaner machte
das keinen Eindruck. Da telegraphirte er nach London. Die Republikaner
beschleunigten als Antwort den Tag der Hinrichtung; der Tag erschien, die
Soldaten waren aufmarschiert und harrten des Kommandos. Da erschien auch
der englische Konsul, warf dem Missethäter die englische Flagge über Kopf und
Brust und rief: Kill uiro, dut alone Kurt leis suglisll ita^. Ich bin überzeugt,
wir haben auch solche Konsuln.

Wir brauchen ein Auswärtiges Amt, das nicht bloß nach dem Loch in
den Vogesen starrt und nach den russischen Wäldern, sondern das an den
Küsten aller Ozeane Aufgaben für die deutsche Politik sieht, das die deutschen
Auswandrer dahin leitet, wo sie Unternehmer mit deutschem Kapital finden,
das auch die deutschen Privatkolonien für seine Kinder ansieht, für deren Ge¬
deihen, es zu sorgen hat, auf die Gefahr hin, daß sie eines Tages z. B. in
Südamerika den unfähigen Spaniern das Revolutionshandwerk legen und
— abhängig oder unabhängig vom Reich — deutsche Ackerbaukolonien werden.
Wie leicht das geschafft werden kann, mag eine zweite Geschichte zeigen. Im
Süden Brasiliens liegen Gruppen von deutschen Dörfern, die in den Bürger¬
kriegen der spanischen Abkömmlinge leidlich verschont geblieben sind. Vor
einigen Jahren geschah es doch einmal, daß Regierungstruppen in ihre Nähe
kamen, nicht als Feinde, sondern gelockt von den guten Quartieren. Reitende
Boten und Feuersignale vom bedrohten Orte sorgten dafür, daß in den benach¬
barten Dörfern die freiwilligen Feuerwehren, in Deutschland gediente Leute
und ihre Rekruten, schleunigst alarmirt wurden und sich auf den Marsch nach
dem Signalort begaben. Unterdessen war dort die militärische Macht enge-
. kommen; sagen wir eine Brigade, die wir aber etwa auf das Drittel einer
deutschen schätzen dürfen, mit zerrissenem Schuhwerk, zerlumpt und verhungert.


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[0120] Weltpolitik I Es ist nicht gleich Krieg nötig und Eroberung, wenn man solche Kolonien schaffen will. Man braucht zu den Raubstaaten nur so zu sagen: Wir sind hier und wollen hier bleiben. Uns gehört die Erde so gut wie euch, und hier gilt Krieg auch im Frieden. Wir wollen auch nicht euresgleichen werden und unter euern Gesetzen leben, sondern nur bedingungsweise. Eure Regierungen sind nicht ehrlich, eure Gerichte sind bestechlich. Wir sind das nicht gewohnt. Unser Mutterland verlangt, daß wir nach unsern Ansprüchen behandelt werden. Somit sind wir nicht durchaus eure Mitbürger, sondern auch noch deutsche Ncichsbürger. Wenn dann ein Deutscher vor ein ausländisches Gericht kommt, so sagt der Konsul nicht: Warum gehst du in dieses Land? sondern er handelt wie jener englische Konsul in Mittelamerika, von dem vor einigen Jahren folgende Geschichte durch die Zeitungen ging. Ein Engländer war in einer - mittelamerikanischen Republik vor die Schranken des Gerichts gekommen und wurde zum Tode durch die Kugel verurteilt. Sei es nun, daß das Urteil ungesetzlich oder zu streng war, jedenfalls stellte sich der englische Konsul mit seinem ganzen Einfluß vor den Verurteilten. Auf die Republikaner machte das keinen Eindruck. Da telegraphirte er nach London. Die Republikaner beschleunigten als Antwort den Tag der Hinrichtung; der Tag erschien, die Soldaten waren aufmarschiert und harrten des Kommandos. Da erschien auch der englische Konsul, warf dem Missethäter die englische Flagge über Kopf und Brust und rief: Kill uiro, dut alone Kurt leis suglisll ita^. Ich bin überzeugt, wir haben auch solche Konsuln. Wir brauchen ein Auswärtiges Amt, das nicht bloß nach dem Loch in den Vogesen starrt und nach den russischen Wäldern, sondern das an den Küsten aller Ozeane Aufgaben für die deutsche Politik sieht, das die deutschen Auswandrer dahin leitet, wo sie Unternehmer mit deutschem Kapital finden, das auch die deutschen Privatkolonien für seine Kinder ansieht, für deren Ge¬ deihen, es zu sorgen hat, auf die Gefahr hin, daß sie eines Tages z. B. in Südamerika den unfähigen Spaniern das Revolutionshandwerk legen und — abhängig oder unabhängig vom Reich — deutsche Ackerbaukolonien werden. Wie leicht das geschafft werden kann, mag eine zweite Geschichte zeigen. Im Süden Brasiliens liegen Gruppen von deutschen Dörfern, die in den Bürger¬ kriegen der spanischen Abkömmlinge leidlich verschont geblieben sind. Vor einigen Jahren geschah es doch einmal, daß Regierungstruppen in ihre Nähe kamen, nicht als Feinde, sondern gelockt von den guten Quartieren. Reitende Boten und Feuersignale vom bedrohten Orte sorgten dafür, daß in den benach¬ barten Dörfern die freiwilligen Feuerwehren, in Deutschland gediente Leute und ihre Rekruten, schleunigst alarmirt wurden und sich auf den Marsch nach dem Signalort begaben. Unterdessen war dort die militärische Macht enge- . kommen; sagen wir eine Brigade, die wir aber etwa auf das Drittel einer deutschen schätzen dürfen, mit zerrissenem Schuhwerk, zerlumpt und verhungert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/120>, abgerufen am 01.09.2024.