Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Weltpolitik!

s giebt Länder, aus denen Menschen auswandern, und es giebt
Länder, aus denen Kapital auswandert. Aus Deutschland, Eng¬
land, Rußland und Italien wandern Menschen aus; aus Deutsch¬
land, England und Frankreich wandert Kapital aus. Die Men¬
schen aus Rußland verlassen ihr Land, obwohl es groß genug
ist, und der Boden reich genug, noch Millionen mehr zu ernähren; aber es
fehlen die Mittel, die Kultur intensiver zu machen. Darum gehen sie dahin,
wo Arbeitsgelegenheit im Überfluß ist, uach Amerika. Die Engländer und die
Deutschen wandern aus, obwohl zu Hause die Kultur in schnellem Tempo
immer intensiver wird; es geht noch immer nicht schnell genug, das Land ist
trotz alledem zu eng.

Zu eng auch für das Kapital. Mit Hilfe eines Zinsfußes von 1 bis
8 Prozent häufen sich in diesen Ländern hoher Kultur immer größere Ver¬
mögen an. Woher sie kommen, kann uns gleich sein. Thatsache ist, daß sie
entstehen. Kapital aber will Zinsen sehen, will "arbeiten." Arbeitsgelegen¬
heit mehrt sich ja nun auch in diesen Ländern, aber im Verhältnis zu dem
wachsende" Kapital mit jedem Jahre langsamer. Die Kapitalien machen sich
blutige Konkurrenz, sie unterbieten sich im Zinsfuß, veranlassen neue, immer
Nieniger rentable Unternehmungen bis zur Überproduktion, und schließlich müssen
sie doch außer Landes, getrieben von ihrem "Hunger nach Mehrwert," um
irgendwo, wenn auch mit Risiko zu "verdienen." In den Vereinigten
Staaten werden auch riesige Vermögen gesammelt, aber sie brauchen nicht
außer Laudes zu gehen, Arbeitsgelegenheit ist reichlich vorhanden und lohnend.

Aus England wandern Menschen und Kapital aus, aber uicht bloß die
ärmsten, bloß Arbeiter, wie aus Rußland, sondern Leute aus allen Stünden
und von verschiednen Vermögen, also in der Hauptsache nicht Menschen und
Kapital, sondern Menschen mit Kapital. Leute mit einigen tausend Pfund oder
mit diesen und jenen Künsten und Fertigkeiten gehen "hinüber" und legen eine
Farm oder eine Reismtthle oder ein sllixpinA-otlloL oder eine Handwerkerei
an und finden in Australien oder Kanada oder Indien das, was sie zu Hause
vergebens gesucht haben: Verdienst für ihr Geld und ihre Arbeit.




Weltpolitik!

s giebt Länder, aus denen Menschen auswandern, und es giebt
Länder, aus denen Kapital auswandert. Aus Deutschland, Eng¬
land, Rußland und Italien wandern Menschen aus; aus Deutsch¬
land, England und Frankreich wandert Kapital aus. Die Men¬
schen aus Rußland verlassen ihr Land, obwohl es groß genug
ist, und der Boden reich genug, noch Millionen mehr zu ernähren; aber es
fehlen die Mittel, die Kultur intensiver zu machen. Darum gehen sie dahin,
wo Arbeitsgelegenheit im Überfluß ist, uach Amerika. Die Engländer und die
Deutschen wandern aus, obwohl zu Hause die Kultur in schnellem Tempo
immer intensiver wird; es geht noch immer nicht schnell genug, das Land ist
trotz alledem zu eng.

Zu eng auch für das Kapital. Mit Hilfe eines Zinsfußes von 1 bis
8 Prozent häufen sich in diesen Ländern hoher Kultur immer größere Ver¬
mögen an. Woher sie kommen, kann uns gleich sein. Thatsache ist, daß sie
entstehen. Kapital aber will Zinsen sehen, will „arbeiten." Arbeitsgelegen¬
heit mehrt sich ja nun auch in diesen Ländern, aber im Verhältnis zu dem
wachsende» Kapital mit jedem Jahre langsamer. Die Kapitalien machen sich
blutige Konkurrenz, sie unterbieten sich im Zinsfuß, veranlassen neue, immer
Nieniger rentable Unternehmungen bis zur Überproduktion, und schließlich müssen
sie doch außer Landes, getrieben von ihrem „Hunger nach Mehrwert," um
irgendwo, wenn auch mit Risiko zu „verdienen." In den Vereinigten
Staaten werden auch riesige Vermögen gesammelt, aber sie brauchen nicht
außer Laudes zu gehen, Arbeitsgelegenheit ist reichlich vorhanden und lohnend.

Aus England wandern Menschen und Kapital aus, aber uicht bloß die
ärmsten, bloß Arbeiter, wie aus Rußland, sondern Leute aus allen Stünden
und von verschiednen Vermögen, also in der Hauptsache nicht Menschen und
Kapital, sondern Menschen mit Kapital. Leute mit einigen tausend Pfund oder
mit diesen und jenen Künsten und Fertigkeiten gehen „hinüber" und legen eine
Farm oder eine Reismtthle oder ein sllixpinA-otlloL oder eine Handwerkerei
an und finden in Australien oder Kanada oder Indien das, was sie zu Hause
vergebens gesucht haben: Verdienst für ihr Geld und ihre Arbeit.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221762"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341863_221645/figures/grenzboten_341863_221645_221762_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Weltpolitik!</head><lb/>
          <p xml:id="ID_347"> s giebt Länder, aus denen Menschen auswandern, und es giebt<lb/>
Länder, aus denen Kapital auswandert. Aus Deutschland, Eng¬<lb/>
land, Rußland und Italien wandern Menschen aus; aus Deutsch¬<lb/>
land, England und Frankreich wandert Kapital aus. Die Men¬<lb/>
schen aus Rußland verlassen ihr Land, obwohl es groß genug<lb/>
ist, und der Boden reich genug, noch Millionen mehr zu ernähren; aber es<lb/>
fehlen die Mittel, die Kultur intensiver zu machen. Darum gehen sie dahin,<lb/>
wo Arbeitsgelegenheit im Überfluß ist, uach Amerika. Die Engländer und die<lb/>
Deutschen wandern aus, obwohl zu Hause die Kultur in schnellem Tempo<lb/>
immer intensiver wird; es geht noch immer nicht schnell genug, das Land ist<lb/>
trotz alledem zu eng.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_348"> Zu eng auch für das Kapital. Mit Hilfe eines Zinsfußes von 1 bis<lb/>
8 Prozent häufen sich in diesen Ländern hoher Kultur immer größere Ver¬<lb/>
mögen an. Woher sie kommen, kann uns gleich sein. Thatsache ist, daß sie<lb/>
entstehen. Kapital aber will Zinsen sehen, will &#x201E;arbeiten." Arbeitsgelegen¬<lb/>
heit mehrt sich ja nun auch in diesen Ländern, aber im Verhältnis zu dem<lb/>
wachsende» Kapital mit jedem Jahre langsamer. Die Kapitalien machen sich<lb/>
blutige Konkurrenz, sie unterbieten sich im Zinsfuß, veranlassen neue, immer<lb/>
Nieniger rentable Unternehmungen bis zur Überproduktion, und schließlich müssen<lb/>
sie doch außer Landes, getrieben von ihrem &#x201E;Hunger nach Mehrwert," um<lb/>
irgendwo, wenn auch mit Risiko zu &#x201E;verdienen." In den Vereinigten<lb/>
Staaten werden auch riesige Vermögen gesammelt, aber sie brauchen nicht<lb/>
außer Laudes zu gehen, Arbeitsgelegenheit ist reichlich vorhanden und lohnend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_349"> Aus England wandern Menschen und Kapital aus, aber uicht bloß die<lb/>
ärmsten, bloß Arbeiter, wie aus Rußland, sondern Leute aus allen Stünden<lb/>
und von verschiednen Vermögen, also in der Hauptsache nicht Menschen und<lb/>
Kapital, sondern Menschen mit Kapital. Leute mit einigen tausend Pfund oder<lb/>
mit diesen und jenen Künsten und Fertigkeiten gehen &#x201E;hinüber" und legen eine<lb/>
Farm oder eine Reismtthle oder ein sllixpinA-otlloL oder eine Handwerkerei<lb/>
an und finden in Australien oder Kanada oder Indien das, was sie zu Hause<lb/>
vergebens gesucht haben: Verdienst für ihr Geld und ihre Arbeit.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0116] [Abbildung] Weltpolitik! s giebt Länder, aus denen Menschen auswandern, und es giebt Länder, aus denen Kapital auswandert. Aus Deutschland, Eng¬ land, Rußland und Italien wandern Menschen aus; aus Deutsch¬ land, England und Frankreich wandert Kapital aus. Die Men¬ schen aus Rußland verlassen ihr Land, obwohl es groß genug ist, und der Boden reich genug, noch Millionen mehr zu ernähren; aber es fehlen die Mittel, die Kultur intensiver zu machen. Darum gehen sie dahin, wo Arbeitsgelegenheit im Überfluß ist, uach Amerika. Die Engländer und die Deutschen wandern aus, obwohl zu Hause die Kultur in schnellem Tempo immer intensiver wird; es geht noch immer nicht schnell genug, das Land ist trotz alledem zu eng. Zu eng auch für das Kapital. Mit Hilfe eines Zinsfußes von 1 bis 8 Prozent häufen sich in diesen Ländern hoher Kultur immer größere Ver¬ mögen an. Woher sie kommen, kann uns gleich sein. Thatsache ist, daß sie entstehen. Kapital aber will Zinsen sehen, will „arbeiten." Arbeitsgelegen¬ heit mehrt sich ja nun auch in diesen Ländern, aber im Verhältnis zu dem wachsende» Kapital mit jedem Jahre langsamer. Die Kapitalien machen sich blutige Konkurrenz, sie unterbieten sich im Zinsfuß, veranlassen neue, immer Nieniger rentable Unternehmungen bis zur Überproduktion, und schließlich müssen sie doch außer Landes, getrieben von ihrem „Hunger nach Mehrwert," um irgendwo, wenn auch mit Risiko zu „verdienen." In den Vereinigten Staaten werden auch riesige Vermögen gesammelt, aber sie brauchen nicht außer Laudes zu gehen, Arbeitsgelegenheit ist reichlich vorhanden und lohnend. Aus England wandern Menschen und Kapital aus, aber uicht bloß die ärmsten, bloß Arbeiter, wie aus Rußland, sondern Leute aus allen Stünden und von verschiednen Vermögen, also in der Hauptsache nicht Menschen und Kapital, sondern Menschen mit Kapital. Leute mit einigen tausend Pfund oder mit diesen und jenen Künsten und Fertigkeiten gehen „hinüber" und legen eine Farm oder eine Reismtthle oder ein sllixpinA-otlloL oder eine Handwerkerei an und finden in Australien oder Kanada oder Indien das, was sie zu Hause vergebens gesucht haben: Verdienst für ihr Geld und ihre Arbeit.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/116
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/116>, abgerufen am 01.09.2024.