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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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9er Tierfreund
Line Weihnachtsgeschichte

err Rentier Albert Schwabe wollte am vierundzwanzigsten De¬
zember nachmittags um drei Uhr seinen gewohnten Spaziergang
machen. Er zog mit Hilfe der alten Haushälterin seinen schweren
Pelz an und sagte: Also Sie können heute Abend gehen, Hinne-
burgen, und fortbleiben, solange Sie wollen, denn ich bin wieder
zu Frau Klinke nach Gohlis geladen und komme vielleicht erst
gegen Mitternacht zurück. Und hören Sie, Hinneburgen, stellen Sie mir noch
ein halbes Liter Milch für die Hunde hin. Und seien Sie vernünftig, Hinne¬
burgen, schleppen Sie nicht Ihren Stollen und den andern Weihnachtskram
wieder ins Hinterhaus; die Schwefelbande verdients nicht.

Dann setzte er seine schöne Pelzmütze auf, nahm Stock und Handschuhe und
sagte zu den beiden Teckeln, die wartend und schwanzwedelnd dabeistanden:
Nu turuf losgehen, Jungens!

Er öffnete die Vorsaalthür und wollte hinaustreten, blieb aber stehen, als
er einen kümmerlich und erfroren aussehenden Mann erblickte, der etwas von
kleiner Gabe, keiner Arbeit, Frau gestorben und siebenten! Kinde murmelte.

Ach was, dummes Zeug! brummte Herr Schwabe unwillig. Das kennt
man schon. Alles Schwindel! Ich gebe grundsätzlich nichts. Skandal, heute
am heiligen Abend betteln zu gehen!

Der Mann drehte seinen Hut und antwortete schüchtern, es sei gewiß
kein Schwindel, der Herr könne nachfragen, und wenn nicht das siebente ge¬
kommen wäre --

Na, dafür kann ich doch nichts! Warum wenden Sie sich nicht ans
Armenamt? Dazu ist doch das Armenamt da! Außerdem steht unten in
meinem Hause angeschlagen, daß Betteln und Hausirer verboten ist. Machen
Sie, daß Sie fortkommen!

Damit wandte sich Herr Schwabe zur Treppe und schritt sie mit sittlicher
Entrüstung hinunter, indem er allerlei von verlognem Gesindel und unver¬
schämter Faulenzerei vor sich hinsprach.

Herr Albert Schwabe lebte als alter Junggeselle in sehr behaglichen Ver¬
hältnissen. Er war geborner Leipziger Hausbesitzer und hätte schon lange
Stadtverordneter sein können, wenn er es nicht stets beharrlich abgelehnt Hütte
aus dem sehr richtigen Grunde, weil er sich nicht um Alfanzereien künstlichen
Ärger bereiten wollte. Eine Zeit lang war er Mitglied eines Unterstützungs-
Vereins gewesen. Er hatte aber mit einigen seiner Günstlinge sehr schlechte


Grenzbote" IV 1895 81


9er Tierfreund
Line Weihnachtsgeschichte

err Rentier Albert Schwabe wollte am vierundzwanzigsten De¬
zember nachmittags um drei Uhr seinen gewohnten Spaziergang
machen. Er zog mit Hilfe der alten Haushälterin seinen schweren
Pelz an und sagte: Also Sie können heute Abend gehen, Hinne-
burgen, und fortbleiben, solange Sie wollen, denn ich bin wieder
zu Frau Klinke nach Gohlis geladen und komme vielleicht erst
gegen Mitternacht zurück. Und hören Sie, Hinneburgen, stellen Sie mir noch
ein halbes Liter Milch für die Hunde hin. Und seien Sie vernünftig, Hinne¬
burgen, schleppen Sie nicht Ihren Stollen und den andern Weihnachtskram
wieder ins Hinterhaus; die Schwefelbande verdients nicht.

Dann setzte er seine schöne Pelzmütze auf, nahm Stock und Handschuhe und
sagte zu den beiden Teckeln, die wartend und schwanzwedelnd dabeistanden:
Nu turuf losgehen, Jungens!

Er öffnete die Vorsaalthür und wollte hinaustreten, blieb aber stehen, als
er einen kümmerlich und erfroren aussehenden Mann erblickte, der etwas von
kleiner Gabe, keiner Arbeit, Frau gestorben und siebenten! Kinde murmelte.

Ach was, dummes Zeug! brummte Herr Schwabe unwillig. Das kennt
man schon. Alles Schwindel! Ich gebe grundsätzlich nichts. Skandal, heute
am heiligen Abend betteln zu gehen!

Der Mann drehte seinen Hut und antwortete schüchtern, es sei gewiß
kein Schwindel, der Herr könne nachfragen, und wenn nicht das siebente ge¬
kommen wäre —

Na, dafür kann ich doch nichts! Warum wenden Sie sich nicht ans
Armenamt? Dazu ist doch das Armenamt da! Außerdem steht unten in
meinem Hause angeschlagen, daß Betteln und Hausirer verboten ist. Machen
Sie, daß Sie fortkommen!

Damit wandte sich Herr Schwabe zur Treppe und schritt sie mit sittlicher
Entrüstung hinunter, indem er allerlei von verlognem Gesindel und unver¬
schämter Faulenzerei vor sich hinsprach.

Herr Albert Schwabe lebte als alter Junggeselle in sehr behaglichen Ver¬
hältnissen. Er war geborner Leipziger Hausbesitzer und hätte schon lange
Stadtverordneter sein können, wenn er es nicht stets beharrlich abgelehnt Hütte
aus dem sehr richtigen Grunde, weil er sich nicht um Alfanzereien künstlichen
Ärger bereiten wollte. Eine Zeit lang war er Mitglied eines Unterstützungs-
Vereins gewesen. Er hatte aber mit einigen seiner Günstlinge sehr schlechte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/643>, abgerufen am 24.07.2024.