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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

thuung, zu sehen, daß sie anfangen zu "sparen," und kommen sich als be¬
sonders nützliche und würdige Mitglieder der menschlichen Gesellschaft vor.
Nur die Grvßlapitalisten, die Leute, die das Geld besitzen, haben ein Interesse
daran, daß die Warenpreise billig seien. Wie geht es nun zu, daß, aller
Regel entgegen, das Großkapital das auch durchsetzt?

Nichts einfacher als das; sie haben, wie gesagt, ungeheure Ansprüche, die
ans Gold lauten, die genau wie Gold wirken und thatsächlich als Gold benutzt
werden, auf Grund deren sie aber jeden Augenblick oder mit kurzen Kün¬
digungen auch wirkliches Gold fordern können, und von diesem Golde ist nicht
annähernd soviel in der ganzen Welt überhaupt da. Bon der geringen als
Schmuck und für technische Zwecke verwendeten Menge abgesehen, beträgt
-- nach Hecht -- die Summe alles sonst vorhandnen, also alles gemünzten
und alles Barrengoldes etwa fünfzehn Milliarden; heute aber schon betrügt,
wie gesagt, der jährliche Zinsenüberschuß allein zehn Milliarden. Dieses un¬
geheuerliche Mißverhältnis zwischen den auf Gold lautenden Forderungen und
dem thatsächlich vorhandnen Golde giebt dem Großkapital die unbegrenzte Er-
pressuugsmacht. Und an diesem Zustande wird auch alles Gold Ostafrikas
nicht das mindeste ändern, und auch die Remonetisirung des Silbers würde
höchstens den Vorgang verzögern, also vielleicht Zeit und Gelegenheit zu etwas
durchgreifenden schaffen, auf die Dauer aber nichts ändern, da alles vorhandne
und denkbare Metallgeld ein Nichts ist gegenüber den Forderungstiteln der
internationalen Großfinanz. Eine Handvoll der ganz großen Kapitalisten ist
heute schon dauernd in der Lage eines Spekulanten, der die Aktien einer
bestimmten Bank hnussirt hat und eines schönen Tages die angenehme Ent¬
deckung macht, daß ihm die Gesamtheit aller Baissespekulanten für Ultimo De¬
zember fünfzigtausend Stück verkauft hat, während überhaupt nur fünftausend
Stück vorhanden sind.

Auf dem Grunde aller verwickelten Finanz- und Börsenfragen, Zinsfu߬
schwankungen und Krisentheorien, über deren "Gesetze" sich viele grundgescheite
Professoren die Köpfe zerbrechen und dicke Bücher schreiben, liegt zuletzt immer
die einfache Sache: das Großkapital macht das Wetter auf allen Märkten mit
der unbedingten Herrschaft über das Gold, jeden Augenblick kann es fordern,
was nicht da ist, und die Inhaber der Waren zwingen, sie loszulassen zu den
Zeiten und zu den Preisen, die ihm passen; im übrigen erlaubt es der Welt,
das Gold, das sie ihm schuldet, das aber nicht da ist und immer weniger dasein
wird, ihm später zu liefern, es "pronlongirt diese Engagements," d. h. es
stündet den Schuldnern die Erfüllung von Monat zu Monat, von Quartal
zu Quartal, vou Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu Sulzen, die
es selbst diktirt. Dadurch entstehen neue Forderungen, und das Monopol auf
das wirkliche Gold und Silber oder auf das wirkliche Metallgeld wird immer
absoluter. Die Gesamtheit aller Arbeitenden, aller derer, die Güter erzeugen,
schmiedet so tagtäglich weiter an den eignen Ketten, und das sind nicht


Grenzboten IV 1895 79
Das Petroleum

thuung, zu sehen, daß sie anfangen zu „sparen," und kommen sich als be¬
sonders nützliche und würdige Mitglieder der menschlichen Gesellschaft vor.
Nur die Grvßlapitalisten, die Leute, die das Geld besitzen, haben ein Interesse
daran, daß die Warenpreise billig seien. Wie geht es nun zu, daß, aller
Regel entgegen, das Großkapital das auch durchsetzt?

Nichts einfacher als das; sie haben, wie gesagt, ungeheure Ansprüche, die
ans Gold lauten, die genau wie Gold wirken und thatsächlich als Gold benutzt
werden, auf Grund deren sie aber jeden Augenblick oder mit kurzen Kün¬
digungen auch wirkliches Gold fordern können, und von diesem Golde ist nicht
annähernd soviel in der ganzen Welt überhaupt da. Bon der geringen als
Schmuck und für technische Zwecke verwendeten Menge abgesehen, beträgt
— nach Hecht — die Summe alles sonst vorhandnen, also alles gemünzten
und alles Barrengoldes etwa fünfzehn Milliarden; heute aber schon betrügt,
wie gesagt, der jährliche Zinsenüberschuß allein zehn Milliarden. Dieses un¬
geheuerliche Mißverhältnis zwischen den auf Gold lautenden Forderungen und
dem thatsächlich vorhandnen Golde giebt dem Großkapital die unbegrenzte Er-
pressuugsmacht. Und an diesem Zustande wird auch alles Gold Ostafrikas
nicht das mindeste ändern, und auch die Remonetisirung des Silbers würde
höchstens den Vorgang verzögern, also vielleicht Zeit und Gelegenheit zu etwas
durchgreifenden schaffen, auf die Dauer aber nichts ändern, da alles vorhandne
und denkbare Metallgeld ein Nichts ist gegenüber den Forderungstiteln der
internationalen Großfinanz. Eine Handvoll der ganz großen Kapitalisten ist
heute schon dauernd in der Lage eines Spekulanten, der die Aktien einer
bestimmten Bank hnussirt hat und eines schönen Tages die angenehme Ent¬
deckung macht, daß ihm die Gesamtheit aller Baissespekulanten für Ultimo De¬
zember fünfzigtausend Stück verkauft hat, während überhaupt nur fünftausend
Stück vorhanden sind.

Auf dem Grunde aller verwickelten Finanz- und Börsenfragen, Zinsfu߬
schwankungen und Krisentheorien, über deren „Gesetze" sich viele grundgescheite
Professoren die Köpfe zerbrechen und dicke Bücher schreiben, liegt zuletzt immer
die einfache Sache: das Großkapital macht das Wetter auf allen Märkten mit
der unbedingten Herrschaft über das Gold, jeden Augenblick kann es fordern,
was nicht da ist, und die Inhaber der Waren zwingen, sie loszulassen zu den
Zeiten und zu den Preisen, die ihm passen; im übrigen erlaubt es der Welt,
das Gold, das sie ihm schuldet, das aber nicht da ist und immer weniger dasein
wird, ihm später zu liefern, es „pronlongirt diese Engagements," d. h. es
stündet den Schuldnern die Erfüllung von Monat zu Monat, von Quartal
zu Quartal, vou Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu Sulzen, die
es selbst diktirt. Dadurch entstehen neue Forderungen, und das Monopol auf
das wirkliche Gold und Silber oder auf das wirkliche Metallgeld wird immer
absoluter. Die Gesamtheit aller Arbeitenden, aller derer, die Güter erzeugen,
schmiedet so tagtäglich weiter an den eignen Ketten, und das sind nicht


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[0627] Das Petroleum thuung, zu sehen, daß sie anfangen zu „sparen," und kommen sich als be¬ sonders nützliche und würdige Mitglieder der menschlichen Gesellschaft vor. Nur die Grvßlapitalisten, die Leute, die das Geld besitzen, haben ein Interesse daran, daß die Warenpreise billig seien. Wie geht es nun zu, daß, aller Regel entgegen, das Großkapital das auch durchsetzt? Nichts einfacher als das; sie haben, wie gesagt, ungeheure Ansprüche, die ans Gold lauten, die genau wie Gold wirken und thatsächlich als Gold benutzt werden, auf Grund deren sie aber jeden Augenblick oder mit kurzen Kün¬ digungen auch wirkliches Gold fordern können, und von diesem Golde ist nicht annähernd soviel in der ganzen Welt überhaupt da. Bon der geringen als Schmuck und für technische Zwecke verwendeten Menge abgesehen, beträgt — nach Hecht — die Summe alles sonst vorhandnen, also alles gemünzten und alles Barrengoldes etwa fünfzehn Milliarden; heute aber schon betrügt, wie gesagt, der jährliche Zinsenüberschuß allein zehn Milliarden. Dieses un¬ geheuerliche Mißverhältnis zwischen den auf Gold lautenden Forderungen und dem thatsächlich vorhandnen Golde giebt dem Großkapital die unbegrenzte Er- pressuugsmacht. Und an diesem Zustande wird auch alles Gold Ostafrikas nicht das mindeste ändern, und auch die Remonetisirung des Silbers würde höchstens den Vorgang verzögern, also vielleicht Zeit und Gelegenheit zu etwas durchgreifenden schaffen, auf die Dauer aber nichts ändern, da alles vorhandne und denkbare Metallgeld ein Nichts ist gegenüber den Forderungstiteln der internationalen Großfinanz. Eine Handvoll der ganz großen Kapitalisten ist heute schon dauernd in der Lage eines Spekulanten, der die Aktien einer bestimmten Bank hnussirt hat und eines schönen Tages die angenehme Ent¬ deckung macht, daß ihm die Gesamtheit aller Baissespekulanten für Ultimo De¬ zember fünfzigtausend Stück verkauft hat, während überhaupt nur fünftausend Stück vorhanden sind. Auf dem Grunde aller verwickelten Finanz- und Börsenfragen, Zinsfu߬ schwankungen und Krisentheorien, über deren „Gesetze" sich viele grundgescheite Professoren die Köpfe zerbrechen und dicke Bücher schreiben, liegt zuletzt immer die einfache Sache: das Großkapital macht das Wetter auf allen Märkten mit der unbedingten Herrschaft über das Gold, jeden Augenblick kann es fordern, was nicht da ist, und die Inhaber der Waren zwingen, sie loszulassen zu den Zeiten und zu den Preisen, die ihm passen; im übrigen erlaubt es der Welt, das Gold, das sie ihm schuldet, das aber nicht da ist und immer weniger dasein wird, ihm später zu liefern, es „pronlongirt diese Engagements," d. h. es stündet den Schuldnern die Erfüllung von Monat zu Monat, von Quartal zu Quartal, vou Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu Sulzen, die es selbst diktirt. Dadurch entstehen neue Forderungen, und das Monopol auf das wirkliche Gold und Silber oder auf das wirkliche Metallgeld wird immer absoluter. Die Gesamtheit aller Arbeitenden, aller derer, die Güter erzeugen, schmiedet so tagtäglich weiter an den eignen Ketten, und das sind nicht Grenzboten IV 1895 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/627>, abgerufen am 04.07.2024.