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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

seine Zeitgenossen eine Milliarde haben zahlen müssen, eine Milliarde, der
keine Leistung gegenübersteht: man verdankt ihm keine technischen Fortschritte,
sondern er hat sie nur mißbraucht, er hat die Menschen um nichts bereichert,
um keinen neuen Besitz, um keinen einzigen Gedanken. Dabei ist er heute
in einer Lage, die seine Ansprüche auf weitern Tribut fast unbedingt sicher¬
zustellen scheint, wenn wir uns nicht aufraffen. Ja der Tribut ist nicht
einmal der Höhe nach festgesetzt, wir werden zahlen müssen, was Rockefeller
und seinen Spießgesellen jährlich zu fordern belieben wird.

Der Haß der Kulturmenschheit richtet sich meiner Überzeugung nach nicht
gegen den Besitz, sondern gegen den Besitz, gegen solchen und ähnlichen
Besitz, und mit Recht. Ich räume wenigstens ein, daß ich in aller Geschichte
keinen Haß kenne, der löblicher gewesen wäre. Mir ist es sogar immer un¬
verständlich gewesen, daß ein Raubzug wie dieser die Aufmerksamkeit der Re¬
gierenden und der Völker nicht in ganz andrer Weise auf sich gezogen hat,
daß er nicht die wildeste Entrüstung heraufbeschworen hat. Man denke sich
um anderthalb Jahrtausende zurück und stelle sich vor, eine Normannenflotte
übersiele unsre Küsten, die Dänen drängen in unser Gebiet ein, eine Hunnen¬
horde wälzte sich vom Osten gegen die deutschen Gaue, und diese Einbrecher
versuchten eine solche Brandschatzung einzutreiben oder gar uns einen solchen
dauernden Tribut aufzuerlegen: wir würden die deutsche Erde mit den Leichen
der Frechlinge düngen, bis keiner mehr wäre, der zu Hause von unsrer Rache
berichten könnte. Und heute? Haben wir dazu die furchtbarsten Volksheere der
Erde, daß uns Fremde unsrer Väter Land unter den Füßen wegstehlen, daß
internationale Geldmächtige über den Ertrag unsrer Fluren, über die Werke
unsrer Arme, über das Schaffen unsers Geistes verfügen? Niemand scheint
sich ernstlich um die Sache zu kümmern, und es ist alle Wahrscheinlichkeit
vorhanden, daß sich auch künftig niemand ernstlich darum kümmern wird, wenn
nur die Petroleumherrscher so schlau sind, keine übertriebne und vor allem
keine dauernde Preiserhöhung eintreten zu lassen.

Im März, im April, als das Petroleum teurer wurde, fingen die Leute
an zu schreien, aber kaum sahen sie wieder billigere Preise, so waren sie auch
wieder ruhig. Vom Regieruugstische wurde den Interpellanten im Reichs¬
tage geantwortet, daß die Regierung der Frage ihre volle Aufmerksamkeit
widme, daß sie aber wünschen müsse, über ihre Pläne nicht befragt zu werden,
weil der Erfolg gefährdet werden würde, wenn sie ihre Absichten ausspräche.
Das war eine außerordentlich vernünftige Antwort; aber seitdem sind drei
Vierteljahre verflossen, und Rockefeller geht Schritt für Schritt vorwärts auf
deutschem Grunde, von Tag zu Tag wird seine Stellung fester und die zu be¬
wältigende Aufgabe schwieriger.

Die Hauptfrage ist überhaupt nicht die, ob das Petroleum soviel oder
soviel kostet. Ich glaube, offen gestanden, gar nicht, daß die unmittelbare
Gefahr einer ausschweifenden Preistreiberei bestehe, ich glaube vielmehr, daß


Das Petroleum

seine Zeitgenossen eine Milliarde haben zahlen müssen, eine Milliarde, der
keine Leistung gegenübersteht: man verdankt ihm keine technischen Fortschritte,
sondern er hat sie nur mißbraucht, er hat die Menschen um nichts bereichert,
um keinen neuen Besitz, um keinen einzigen Gedanken. Dabei ist er heute
in einer Lage, die seine Ansprüche auf weitern Tribut fast unbedingt sicher¬
zustellen scheint, wenn wir uns nicht aufraffen. Ja der Tribut ist nicht
einmal der Höhe nach festgesetzt, wir werden zahlen müssen, was Rockefeller
und seinen Spießgesellen jährlich zu fordern belieben wird.

Der Haß der Kulturmenschheit richtet sich meiner Überzeugung nach nicht
gegen den Besitz, sondern gegen den Besitz, gegen solchen und ähnlichen
Besitz, und mit Recht. Ich räume wenigstens ein, daß ich in aller Geschichte
keinen Haß kenne, der löblicher gewesen wäre. Mir ist es sogar immer un¬
verständlich gewesen, daß ein Raubzug wie dieser die Aufmerksamkeit der Re¬
gierenden und der Völker nicht in ganz andrer Weise auf sich gezogen hat,
daß er nicht die wildeste Entrüstung heraufbeschworen hat. Man denke sich
um anderthalb Jahrtausende zurück und stelle sich vor, eine Normannenflotte
übersiele unsre Küsten, die Dänen drängen in unser Gebiet ein, eine Hunnen¬
horde wälzte sich vom Osten gegen die deutschen Gaue, und diese Einbrecher
versuchten eine solche Brandschatzung einzutreiben oder gar uns einen solchen
dauernden Tribut aufzuerlegen: wir würden die deutsche Erde mit den Leichen
der Frechlinge düngen, bis keiner mehr wäre, der zu Hause von unsrer Rache
berichten könnte. Und heute? Haben wir dazu die furchtbarsten Volksheere der
Erde, daß uns Fremde unsrer Väter Land unter den Füßen wegstehlen, daß
internationale Geldmächtige über den Ertrag unsrer Fluren, über die Werke
unsrer Arme, über das Schaffen unsers Geistes verfügen? Niemand scheint
sich ernstlich um die Sache zu kümmern, und es ist alle Wahrscheinlichkeit
vorhanden, daß sich auch künftig niemand ernstlich darum kümmern wird, wenn
nur die Petroleumherrscher so schlau sind, keine übertriebne und vor allem
keine dauernde Preiserhöhung eintreten zu lassen.

Im März, im April, als das Petroleum teurer wurde, fingen die Leute
an zu schreien, aber kaum sahen sie wieder billigere Preise, so waren sie auch
wieder ruhig. Vom Regieruugstische wurde den Interpellanten im Reichs¬
tage geantwortet, daß die Regierung der Frage ihre volle Aufmerksamkeit
widme, daß sie aber wünschen müsse, über ihre Pläne nicht befragt zu werden,
weil der Erfolg gefährdet werden würde, wenn sie ihre Absichten ausspräche.
Das war eine außerordentlich vernünftige Antwort; aber seitdem sind drei
Vierteljahre verflossen, und Rockefeller geht Schritt für Schritt vorwärts auf
deutschem Grunde, von Tag zu Tag wird seine Stellung fester und die zu be¬
wältigende Aufgabe schwieriger.

Die Hauptfrage ist überhaupt nicht die, ob das Petroleum soviel oder
soviel kostet. Ich glaube, offen gestanden, gar nicht, daß die unmittelbare
Gefahr einer ausschweifenden Preistreiberei bestehe, ich glaube vielmehr, daß


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[0620] Das Petroleum seine Zeitgenossen eine Milliarde haben zahlen müssen, eine Milliarde, der keine Leistung gegenübersteht: man verdankt ihm keine technischen Fortschritte, sondern er hat sie nur mißbraucht, er hat die Menschen um nichts bereichert, um keinen neuen Besitz, um keinen einzigen Gedanken. Dabei ist er heute in einer Lage, die seine Ansprüche auf weitern Tribut fast unbedingt sicher¬ zustellen scheint, wenn wir uns nicht aufraffen. Ja der Tribut ist nicht einmal der Höhe nach festgesetzt, wir werden zahlen müssen, was Rockefeller und seinen Spießgesellen jährlich zu fordern belieben wird. Der Haß der Kulturmenschheit richtet sich meiner Überzeugung nach nicht gegen den Besitz, sondern gegen den Besitz, gegen solchen und ähnlichen Besitz, und mit Recht. Ich räume wenigstens ein, daß ich in aller Geschichte keinen Haß kenne, der löblicher gewesen wäre. Mir ist es sogar immer un¬ verständlich gewesen, daß ein Raubzug wie dieser die Aufmerksamkeit der Re¬ gierenden und der Völker nicht in ganz andrer Weise auf sich gezogen hat, daß er nicht die wildeste Entrüstung heraufbeschworen hat. Man denke sich um anderthalb Jahrtausende zurück und stelle sich vor, eine Normannenflotte übersiele unsre Küsten, die Dänen drängen in unser Gebiet ein, eine Hunnen¬ horde wälzte sich vom Osten gegen die deutschen Gaue, und diese Einbrecher versuchten eine solche Brandschatzung einzutreiben oder gar uns einen solchen dauernden Tribut aufzuerlegen: wir würden die deutsche Erde mit den Leichen der Frechlinge düngen, bis keiner mehr wäre, der zu Hause von unsrer Rache berichten könnte. Und heute? Haben wir dazu die furchtbarsten Volksheere der Erde, daß uns Fremde unsrer Väter Land unter den Füßen wegstehlen, daß internationale Geldmächtige über den Ertrag unsrer Fluren, über die Werke unsrer Arme, über das Schaffen unsers Geistes verfügen? Niemand scheint sich ernstlich um die Sache zu kümmern, und es ist alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sich auch künftig niemand ernstlich darum kümmern wird, wenn nur die Petroleumherrscher so schlau sind, keine übertriebne und vor allem keine dauernde Preiserhöhung eintreten zu lassen. Im März, im April, als das Petroleum teurer wurde, fingen die Leute an zu schreien, aber kaum sahen sie wieder billigere Preise, so waren sie auch wieder ruhig. Vom Regieruugstische wurde den Interpellanten im Reichs¬ tage geantwortet, daß die Regierung der Frage ihre volle Aufmerksamkeit widme, daß sie aber wünschen müsse, über ihre Pläne nicht befragt zu werden, weil der Erfolg gefährdet werden würde, wenn sie ihre Absichten ausspräche. Das war eine außerordentlich vernünftige Antwort; aber seitdem sind drei Vierteljahre verflossen, und Rockefeller geht Schritt für Schritt vorwärts auf deutschem Grunde, von Tag zu Tag wird seine Stellung fester und die zu be¬ wältigende Aufgabe schwieriger. Die Hauptfrage ist überhaupt nicht die, ob das Petroleum soviel oder soviel kostet. Ich glaube, offen gestanden, gar nicht, daß die unmittelbare Gefahr einer ausschweifenden Preistreiberei bestehe, ich glaube vielmehr, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/620>, abgerufen am 24.07.2024.