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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zwiugli

hat, ist richtig, Aber er, der Schiller des Emsmus, dachte sich die Refor¬
mation nicht als einen Bruch mit Rom, sondern er hoffte, "daß im Zusammen¬
hang mit der weitern Verbreitung des Humanismus eine solche Reformation
vo" oben her durch die berufnen Vertreter der Kirche selbst in die Hand werde
genommen und in geordneter und allgemein giltiger Weise durchgeführt werden,"
Mit Rom, mit seinen kirchlichen Obern stand er im besten Einvernehmen. Im
August 1518, zu einer Zeit, wo Luther schon auf deu Bann gefaßt war,
wurde Zwiugli "auf seine Bitte hin" zur Würde eines päpstlichen Akolutheu
erhoben und seiner Verdienste wegen vom Papste belobt. Bis zum Jahre
1520 bezog er eine päpstliche Pension. Es ist als unumstößliches Ergebnis
der geschichtlichen Forschung anzusehen, daß Zwiugli in Einsiedeln nicht als
Reformator aufgetreten ist. Der sicherste Beweis dafür ist nach staehelin das
günstige Zeugnis, das Zwiugli bei seiner Wahl zum Leutpriester in Zürich
von seinem Vorgänger Konrad Hofmann erhalten hat. Hofmann war un¬
bedingter Gegner der Reformation und trat später als erbittertster Ankläger
gegen Zwiugli auf. Eude des Jahres 1518 hat er aber nicht nur nichts
gegen Zwiugli einzuwenden, sondern begrüßt seine Wahl mit ungelenker Freude.
Dazu kommt, daß es Zwiugli, der in Einsiedeln noch das "gewöhnliche" an¬
stößige Leben der damaligen Geistlichen führte, auch sittlich noch nicht reif
zum Reformator war. Was man auch später von der reformatorischen Wirk¬
samkeit Zwinglis in Einsiedeln gefabelt hat, seine Zeitgenossen haben nichts
davon gemerkt.

Als Prediger in Zürich beginnt er allerdings mit einer Neuerung. Er
legt das Matthäusevangelium im Zusammenhang aus. Er will die Gemeinde
gründlicher in das lautere Gotteswort einführen. Zugleich kämpft er gegen
die sittlichen und politischen Schäden der Schweiz. Die kirchliche Erneuerung,
die er erstrebt, steht ihm in innerer Verbindung mit der sittlich-politischen
Wiedergeburt seines Vaterlandes. Aber während er die politischen Schäden
offen angreift, vermeidet er den offnen Kampf gegen die kirchlichen Schäden.
Die Wirkung seiner Predigten zeigt sich daher auch zunächst nur auf sittlichem
und politischem Gebiete. Er bewahrt eine vorsichtig gedeckte Stellung, die
eine friedliche Reformation von oben her im Sinne des Erasmus offen läßt.
Er vermeidet es, durch Schriften sich dauernd zu binden, er hütet sich, mit
Luther selbst in Verbindung zu treten, er lehnt es nachdrücklich ab, ein
Lutheraner zu sein. Noch im April 1522 spricht er sich sehr zurückhaltend
über Luther aus: "Über Luthers Lehren, sagt er, ist zu Leipzig disputirt, aber
noch nicht geurteilt worden, während etliche derselben von den Hochschulen zu
Köln und Löwen als ketzerisch verworfen worden sind." Allerdings begrüßt
er das Auftreten Luthers mit Freuden, er bewundert das "männliche, un¬
bewegte Gemüt," mit dem Luther den Kampf auf sich nahm, er liest und ver¬
breitet Luthers Schriften, er empfiehlt sie seinen Freunden, er erkennt in Luther


Zwiugli

hat, ist richtig, Aber er, der Schiller des Emsmus, dachte sich die Refor¬
mation nicht als einen Bruch mit Rom, sondern er hoffte, „daß im Zusammen¬
hang mit der weitern Verbreitung des Humanismus eine solche Reformation
vo» oben her durch die berufnen Vertreter der Kirche selbst in die Hand werde
genommen und in geordneter und allgemein giltiger Weise durchgeführt werden,"
Mit Rom, mit seinen kirchlichen Obern stand er im besten Einvernehmen. Im
August 1518, zu einer Zeit, wo Luther schon auf deu Bann gefaßt war,
wurde Zwiugli „auf seine Bitte hin" zur Würde eines päpstlichen Akolutheu
erhoben und seiner Verdienste wegen vom Papste belobt. Bis zum Jahre
1520 bezog er eine päpstliche Pension. Es ist als unumstößliches Ergebnis
der geschichtlichen Forschung anzusehen, daß Zwiugli in Einsiedeln nicht als
Reformator aufgetreten ist. Der sicherste Beweis dafür ist nach staehelin das
günstige Zeugnis, das Zwiugli bei seiner Wahl zum Leutpriester in Zürich
von seinem Vorgänger Konrad Hofmann erhalten hat. Hofmann war un¬
bedingter Gegner der Reformation und trat später als erbittertster Ankläger
gegen Zwiugli auf. Eude des Jahres 1518 hat er aber nicht nur nichts
gegen Zwiugli einzuwenden, sondern begrüßt seine Wahl mit ungelenker Freude.
Dazu kommt, daß es Zwiugli, der in Einsiedeln noch das „gewöhnliche" an¬
stößige Leben der damaligen Geistlichen führte, auch sittlich noch nicht reif
zum Reformator war. Was man auch später von der reformatorischen Wirk¬
samkeit Zwinglis in Einsiedeln gefabelt hat, seine Zeitgenossen haben nichts
davon gemerkt.

Als Prediger in Zürich beginnt er allerdings mit einer Neuerung. Er
legt das Matthäusevangelium im Zusammenhang aus. Er will die Gemeinde
gründlicher in das lautere Gotteswort einführen. Zugleich kämpft er gegen
die sittlichen und politischen Schäden der Schweiz. Die kirchliche Erneuerung,
die er erstrebt, steht ihm in innerer Verbindung mit der sittlich-politischen
Wiedergeburt seines Vaterlandes. Aber während er die politischen Schäden
offen angreift, vermeidet er den offnen Kampf gegen die kirchlichen Schäden.
Die Wirkung seiner Predigten zeigt sich daher auch zunächst nur auf sittlichem
und politischem Gebiete. Er bewahrt eine vorsichtig gedeckte Stellung, die
eine friedliche Reformation von oben her im Sinne des Erasmus offen läßt.
Er vermeidet es, durch Schriften sich dauernd zu binden, er hütet sich, mit
Luther selbst in Verbindung zu treten, er lehnt es nachdrücklich ab, ein
Lutheraner zu sein. Noch im April 1522 spricht er sich sehr zurückhaltend
über Luther aus: „Über Luthers Lehren, sagt er, ist zu Leipzig disputirt, aber
noch nicht geurteilt worden, während etliche derselben von den Hochschulen zu
Köln und Löwen als ketzerisch verworfen worden sind." Allerdings begrüßt
er das Auftreten Luthers mit Freuden, er bewundert das „männliche, un¬
bewegte Gemüt," mit dem Luther den Kampf auf sich nahm, er liest und ver¬
breitet Luthers Schriften, er empfiehlt sie seinen Freunden, er erkennt in Luther


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[0581] Zwiugli hat, ist richtig, Aber er, der Schiller des Emsmus, dachte sich die Refor¬ mation nicht als einen Bruch mit Rom, sondern er hoffte, „daß im Zusammen¬ hang mit der weitern Verbreitung des Humanismus eine solche Reformation vo» oben her durch die berufnen Vertreter der Kirche selbst in die Hand werde genommen und in geordneter und allgemein giltiger Weise durchgeführt werden," Mit Rom, mit seinen kirchlichen Obern stand er im besten Einvernehmen. Im August 1518, zu einer Zeit, wo Luther schon auf deu Bann gefaßt war, wurde Zwiugli „auf seine Bitte hin" zur Würde eines päpstlichen Akolutheu erhoben und seiner Verdienste wegen vom Papste belobt. Bis zum Jahre 1520 bezog er eine päpstliche Pension. Es ist als unumstößliches Ergebnis der geschichtlichen Forschung anzusehen, daß Zwiugli in Einsiedeln nicht als Reformator aufgetreten ist. Der sicherste Beweis dafür ist nach staehelin das günstige Zeugnis, das Zwiugli bei seiner Wahl zum Leutpriester in Zürich von seinem Vorgänger Konrad Hofmann erhalten hat. Hofmann war un¬ bedingter Gegner der Reformation und trat später als erbittertster Ankläger gegen Zwiugli auf. Eude des Jahres 1518 hat er aber nicht nur nichts gegen Zwiugli einzuwenden, sondern begrüßt seine Wahl mit ungelenker Freude. Dazu kommt, daß es Zwiugli, der in Einsiedeln noch das „gewöhnliche" an¬ stößige Leben der damaligen Geistlichen führte, auch sittlich noch nicht reif zum Reformator war. Was man auch später von der reformatorischen Wirk¬ samkeit Zwinglis in Einsiedeln gefabelt hat, seine Zeitgenossen haben nichts davon gemerkt. Als Prediger in Zürich beginnt er allerdings mit einer Neuerung. Er legt das Matthäusevangelium im Zusammenhang aus. Er will die Gemeinde gründlicher in das lautere Gotteswort einführen. Zugleich kämpft er gegen die sittlichen und politischen Schäden der Schweiz. Die kirchliche Erneuerung, die er erstrebt, steht ihm in innerer Verbindung mit der sittlich-politischen Wiedergeburt seines Vaterlandes. Aber während er die politischen Schäden offen angreift, vermeidet er den offnen Kampf gegen die kirchlichen Schäden. Die Wirkung seiner Predigten zeigt sich daher auch zunächst nur auf sittlichem und politischem Gebiete. Er bewahrt eine vorsichtig gedeckte Stellung, die eine friedliche Reformation von oben her im Sinne des Erasmus offen läßt. Er vermeidet es, durch Schriften sich dauernd zu binden, er hütet sich, mit Luther selbst in Verbindung zu treten, er lehnt es nachdrücklich ab, ein Lutheraner zu sein. Noch im April 1522 spricht er sich sehr zurückhaltend über Luther aus: „Über Luthers Lehren, sagt er, ist zu Leipzig disputirt, aber noch nicht geurteilt worden, während etliche derselben von den Hochschulen zu Köln und Löwen als ketzerisch verworfen worden sind." Allerdings begrüßt er das Auftreten Luthers mit Freuden, er bewundert das „männliche, un¬ bewegte Gemüt," mit dem Luther den Kampf auf sich nahm, er liest und ver¬ breitet Luthers Schriften, er empfiehlt sie seinen Freunden, er erkennt in Luther

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/581>, abgerufen am 04.07.2024.