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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

oder nichts nützen, die Ehre, jn die Selbsterhaltungspflicht des evangelischen Christen¬
tums forderte es. Was es ist, sagen wir nicht; nur soviel verraten wir, daß er
Schrot und Korn unsers heutigen Christentums am mosaischen Gesetze prüft, wozu
er ein Recht hat, da er als gläubiger Lutheraner das Alte Testament nicht für
Menschenwerk, sondern sür den Anfang der göttlichen Offenbarung hält, die im
Neuen Testament ihre Vollendung findet. Das Buch liest sich sehr gut. Es ist
keine leere Redensart, wenn der Verfasser sagt, daß er sich der Sprache Luthers
befleißigen wolle. Natürlich meint er damit nicht die Verwendung veralteter Aus¬
drücke und wörtliches Abschreiben Lutherscher Sätze, soudern daß er ungekünstelt
von der Leber weg reden will, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Und das
ergiebt sich von selbst, wenn man, wie Schall, den Kopf voll Gedanken, das Herz
voll warmer Empfindung hat und ein durch und durch ehrlicher Charakter ist. Die
Wissenschaft wird an dem Buche so manches auszusetzen finden, kommt doch die
moderne Bibelkritik sehr schlecht darin weg; das berührt aber den wesentlichen In¬
halt gar nicht. Auf die Auseinandersetzung mit der negativen Kritik folgt die Darstel¬
lung der jüdischen Staatsverfassung, des Religionswesens und des Eigentumsrechts;
ein zweiter Band, auf den wir leider ein paar Jahre zu warten haben werden,
soll die Ehe, die Bildungspflege und das Strafrecht behandeln. Zum Schluß be¬
merken wir, daß der Verfasser uicht etwa der bekannte Reichstagsabgeordnete Pastor
Schall ist.


Morgen, Kinder,

wirds was geben, morgen werden wir uns freun!
das allbekannte hübsche Weihnachtslied -- feiert dies Jahr sein hundertjähriges
Jubiläum; es ist zuerst in der in Berlin 1795 von Splittegarb herausgegebnen
Sammlung: Lieder der Weisheit und Tugend nachzuweisen. Als Verfasser gilt
der im Jahre 1833 in Berlin gestorbne Schulvorsteher Martin Friedrich Philipp
Bartsch. Das Gedicht ist aber keine ganz originale Schöpfung; Ansätze dazu finden
sich schon in zwei Weihuachtsliedern, die im vierten Bande von Campes Kinder¬
bibliothek (erschienen Ostern 1780 in Hamburg) unmittelbar hinter einander stehen,
und die Bartsch bei der Abfassung seines Liedes unzweifelhaft vor Augen gehabt
hat; wir geben die Verse, die in sein Gedicht übergegangen sind, mit gesperrten
Druck.

Frizchens Weihnachtsfreude
Morgen, morgen wirds was geben!
Morgen, morgen -- welch ein Lebert
Morgen, Gustchen, freue dich!
Sieh nur, sieh, wie freu ich mich!
Lustig! spring die Kreuz und Quer!
Hüpfe, als obs Maitng wär! Morgen wird noch mehr gesprungen.
Wird das frohste Lied gesungen,
Dann ist Freude überall!
Und weißt du, warum das all?
Zweimal werden wir noch wach,
Heisa! dann -- ist's Weihnachtstag! Morgen wird laut vorgelesen,
Wer da gut und brav gewesen;
Hei, ich glaube, daß ichs war.
Tnfelcheu, o macht es wahr!
Ach, dann freuet Mutter sich,
Alles, alles liebet mich!

Maßgebliches und Unmaßgebliches

oder nichts nützen, die Ehre, jn die Selbsterhaltungspflicht des evangelischen Christen¬
tums forderte es. Was es ist, sagen wir nicht; nur soviel verraten wir, daß er
Schrot und Korn unsers heutigen Christentums am mosaischen Gesetze prüft, wozu
er ein Recht hat, da er als gläubiger Lutheraner das Alte Testament nicht für
Menschenwerk, sondern sür den Anfang der göttlichen Offenbarung hält, die im
Neuen Testament ihre Vollendung findet. Das Buch liest sich sehr gut. Es ist
keine leere Redensart, wenn der Verfasser sagt, daß er sich der Sprache Luthers
befleißigen wolle. Natürlich meint er damit nicht die Verwendung veralteter Aus¬
drücke und wörtliches Abschreiben Lutherscher Sätze, soudern daß er ungekünstelt
von der Leber weg reden will, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Und das
ergiebt sich von selbst, wenn man, wie Schall, den Kopf voll Gedanken, das Herz
voll warmer Empfindung hat und ein durch und durch ehrlicher Charakter ist. Die
Wissenschaft wird an dem Buche so manches auszusetzen finden, kommt doch die
moderne Bibelkritik sehr schlecht darin weg; das berührt aber den wesentlichen In¬
halt gar nicht. Auf die Auseinandersetzung mit der negativen Kritik folgt die Darstel¬
lung der jüdischen Staatsverfassung, des Religionswesens und des Eigentumsrechts;
ein zweiter Band, auf den wir leider ein paar Jahre zu warten haben werden,
soll die Ehe, die Bildungspflege und das Strafrecht behandeln. Zum Schluß be¬
merken wir, daß der Verfasser uicht etwa der bekannte Reichstagsabgeordnete Pastor
Schall ist.


Morgen, Kinder,

wirds was geben, morgen werden wir uns freun!
das allbekannte hübsche Weihnachtslied — feiert dies Jahr sein hundertjähriges
Jubiläum; es ist zuerst in der in Berlin 1795 von Splittegarb herausgegebnen
Sammlung: Lieder der Weisheit und Tugend nachzuweisen. Als Verfasser gilt
der im Jahre 1833 in Berlin gestorbne Schulvorsteher Martin Friedrich Philipp
Bartsch. Das Gedicht ist aber keine ganz originale Schöpfung; Ansätze dazu finden
sich schon in zwei Weihuachtsliedern, die im vierten Bande von Campes Kinder¬
bibliothek (erschienen Ostern 1780 in Hamburg) unmittelbar hinter einander stehen,
und die Bartsch bei der Abfassung seines Liedes unzweifelhaft vor Augen gehabt
hat; wir geben die Verse, die in sein Gedicht übergegangen sind, mit gesperrten
Druck.

Frizchens Weihnachtsfreude
Morgen, morgen wirds was geben!
Morgen, morgen — welch ein Lebert
Morgen, Gustchen, freue dich!
Sieh nur, sieh, wie freu ich mich!
Lustig! spring die Kreuz und Quer!
Hüpfe, als obs Maitng wär! Morgen wird noch mehr gesprungen.
Wird das frohste Lied gesungen,
Dann ist Freude überall!
Und weißt du, warum das all?
Zweimal werden wir noch wach,
Heisa! dann — ist's Weihnachtstag! Morgen wird laut vorgelesen,
Wer da gut und brav gewesen;
Hei, ich glaube, daß ichs war.
Tnfelcheu, o macht es wahr!
Ach, dann freuet Mutter sich,
Alles, alles liebet mich!

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[0509] Maßgebliches und Unmaßgebliches oder nichts nützen, die Ehre, jn die Selbsterhaltungspflicht des evangelischen Christen¬ tums forderte es. Was es ist, sagen wir nicht; nur soviel verraten wir, daß er Schrot und Korn unsers heutigen Christentums am mosaischen Gesetze prüft, wozu er ein Recht hat, da er als gläubiger Lutheraner das Alte Testament nicht für Menschenwerk, sondern sür den Anfang der göttlichen Offenbarung hält, die im Neuen Testament ihre Vollendung findet. Das Buch liest sich sehr gut. Es ist keine leere Redensart, wenn der Verfasser sagt, daß er sich der Sprache Luthers befleißigen wolle. Natürlich meint er damit nicht die Verwendung veralteter Aus¬ drücke und wörtliches Abschreiben Lutherscher Sätze, soudern daß er ungekünstelt von der Leber weg reden will, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Und das ergiebt sich von selbst, wenn man, wie Schall, den Kopf voll Gedanken, das Herz voll warmer Empfindung hat und ein durch und durch ehrlicher Charakter ist. Die Wissenschaft wird an dem Buche so manches auszusetzen finden, kommt doch die moderne Bibelkritik sehr schlecht darin weg; das berührt aber den wesentlichen In¬ halt gar nicht. Auf die Auseinandersetzung mit der negativen Kritik folgt die Darstel¬ lung der jüdischen Staatsverfassung, des Religionswesens und des Eigentumsrechts; ein zweiter Band, auf den wir leider ein paar Jahre zu warten haben werden, soll die Ehe, die Bildungspflege und das Strafrecht behandeln. Zum Schluß be¬ merken wir, daß der Verfasser uicht etwa der bekannte Reichstagsabgeordnete Pastor Schall ist. Morgen, Kinder, wirds was geben, morgen werden wir uns freun! das allbekannte hübsche Weihnachtslied — feiert dies Jahr sein hundertjähriges Jubiläum; es ist zuerst in der in Berlin 1795 von Splittegarb herausgegebnen Sammlung: Lieder der Weisheit und Tugend nachzuweisen. Als Verfasser gilt der im Jahre 1833 in Berlin gestorbne Schulvorsteher Martin Friedrich Philipp Bartsch. Das Gedicht ist aber keine ganz originale Schöpfung; Ansätze dazu finden sich schon in zwei Weihuachtsliedern, die im vierten Bande von Campes Kinder¬ bibliothek (erschienen Ostern 1780 in Hamburg) unmittelbar hinter einander stehen, und die Bartsch bei der Abfassung seines Liedes unzweifelhaft vor Augen gehabt hat; wir geben die Verse, die in sein Gedicht übergegangen sind, mit gesperrten Druck. Frizchens Weihnachtsfreude Morgen, morgen wirds was geben! Morgen, morgen — welch ein Lebert Morgen, Gustchen, freue dich! Sieh nur, sieh, wie freu ich mich! Lustig! spring die Kreuz und Quer! Hüpfe, als obs Maitng wär! Morgen wird noch mehr gesprungen. Wird das frohste Lied gesungen, Dann ist Freude überall! Und weißt du, warum das all? Zweimal werden wir noch wach, Heisa! dann — ist's Weihnachtstag! Morgen wird laut vorgelesen, Wer da gut und brav gewesen; Hei, ich glaube, daß ichs war. Tnfelcheu, o macht es wahr! Ach, dann freuet Mutter sich, Alles, alles liebet mich!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/509>, abgerufen am 23.06.2024.