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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Litterarische Industrie

schlagen, immer wieder aus dem Grabe erstehen und endlich die Welt besiegen
wird." Wir brauchen also nicht zu verzagen. Oswald ist zwar gestorben,
aber noch lebt für die weltbesiegende Idee Friedrich Spielhagen!

Aus so erhabnen Regionen führt uns Paul Heyse in die gemeine Wirk¬
lichkeit zurück. Er gehört zu den Ketzern in dieser Gemeinde. Während sich
aber andre, uneingedenk des lateinischen Spruchs, ihre Bedenken damit be¬
schwichtigen, was K. F. Meyer gethan, dürften sie sich auch erlauben, möchte
er sich uicht nachsagen lassen, daß er dnrch seine Abwesenheit glänzen wolle.
Und so berichtet er einfach, frei von gemachter Bescheidenheit wie von Selbst¬
gefälligkeit von seinen gedruckten "Jugendsünden" und schließlich mit Humor
von einer ungedruckten, einem in seinem zwölften Jahre verfaßten Drama
"Der dankbare Räuber," das von heimtückischen Freunden an seinem Polter¬
abend aufgeführt worden ist -- mit großem Erfolg, wie sich von selbst versteht.

Weniger Glück hatte Frau von Ebner-Eschenbach mit ihrem dramatischen
Erstlingswerke. Die Art, wie sie die Schicksale ihrer "Marie Stuart in
Schottland" erzählt, beweist aufs neue, für welches Gebiet der Dichtung sie
ein ungewöhnliches Talent hat, und wenn sie schließt: "In meiner Jugend
war ich überzeugt, ich müsse eine große Dichterin werden, und jetzt ist mein
Herz von Glück und Dank erfüllt, wenn es mir gelingt, eine lesbare Geschichte
niederzuschreiben," so wüßten wir daran nichts anders auszusetzen als den
leisen Ton der Resignation. Wer mit so offnen Augen durch die Welt geht
und das Gesehene so wahr und fesselnd zu schildern weiß, den darf es wahrlich
uicht bekümmern, wenn nicht alle Blütenträume reiften! Ernst Wiehert kann
sich rühmen, für sein Schauspiel "General Dort" nicht mir Beifall, sondern
auch vierzehn Thaler fünf Silbergroschen Tantieme geerntet zu haben. Felix
Decbr, der mit der Analhse seiner Dichtung "Harald und Theano" einen
Druckbogen füllt, und Julius Wolff find höchlich mit sich zufrieden, und nun
kommt Hans Hopfen an die Reihe, der keine Beichte ablegen will und sich
wirklich im wesentlichen darauf beschränkt, Emanuel Geibel noch seinen Dank
für edelmütige Förderung abzustatten. Denn die ergötzliche Geschichte, wie er
als "nichtsnutziger Schulbube" von dreizehn Jahren, zur Strafe vor seiner
Bank knieend, "wutschnaubende, freiheitsdnrstige" Verse gegen den Fürsten
Windischgrätz verbrochen hat, gehört zu seiner Kritik des Frcmzosschen Unter¬
nehmens. Hopfen denkt nämlich sehr gering von den vor dem Spiegel aus¬
geführten Selbstbildnissen von Menschen, deren "Leben an sich uicht schon
einen hohen Reiz für jeden begabten Erzähler hat," und was eine Geschichte
wirklicher Erstlingswerke, der ersten litterarischen Versuche, deren sich der
Verfasser später gar nicht gern zu erinnern pflegt, nützen solle, begreift er
vollends nicht.

Wir begnügen uus, zu berichten, daß noch Imsen, Ebers, Baumbach,
Eckstein, Richard Voß, Ossip Schubin, Sudermann und Fulda Selbstbekennt-


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schlagen, immer wieder aus dem Grabe erstehen und endlich die Welt besiegen
wird." Wir brauchen also nicht zu verzagen. Oswald ist zwar gestorben,
aber noch lebt für die weltbesiegende Idee Friedrich Spielhagen!

Aus so erhabnen Regionen führt uns Paul Heyse in die gemeine Wirk¬
lichkeit zurück. Er gehört zu den Ketzern in dieser Gemeinde. Während sich
aber andre, uneingedenk des lateinischen Spruchs, ihre Bedenken damit be¬
schwichtigen, was K. F. Meyer gethan, dürften sie sich auch erlauben, möchte
er sich uicht nachsagen lassen, daß er dnrch seine Abwesenheit glänzen wolle.
Und so berichtet er einfach, frei von gemachter Bescheidenheit wie von Selbst¬
gefälligkeit von seinen gedruckten „Jugendsünden" und schließlich mit Humor
von einer ungedruckten, einem in seinem zwölften Jahre verfaßten Drama
„Der dankbare Räuber," das von heimtückischen Freunden an seinem Polter¬
abend aufgeführt worden ist — mit großem Erfolg, wie sich von selbst versteht.

Weniger Glück hatte Frau von Ebner-Eschenbach mit ihrem dramatischen
Erstlingswerke. Die Art, wie sie die Schicksale ihrer „Marie Stuart in
Schottland" erzählt, beweist aufs neue, für welches Gebiet der Dichtung sie
ein ungewöhnliches Talent hat, und wenn sie schließt: „In meiner Jugend
war ich überzeugt, ich müsse eine große Dichterin werden, und jetzt ist mein
Herz von Glück und Dank erfüllt, wenn es mir gelingt, eine lesbare Geschichte
niederzuschreiben," so wüßten wir daran nichts anders auszusetzen als den
leisen Ton der Resignation. Wer mit so offnen Augen durch die Welt geht
und das Gesehene so wahr und fesselnd zu schildern weiß, den darf es wahrlich
uicht bekümmern, wenn nicht alle Blütenträume reiften! Ernst Wiehert kann
sich rühmen, für sein Schauspiel „General Dort" nicht mir Beifall, sondern
auch vierzehn Thaler fünf Silbergroschen Tantieme geerntet zu haben. Felix
Decbr, der mit der Analhse seiner Dichtung „Harald und Theano" einen
Druckbogen füllt, und Julius Wolff find höchlich mit sich zufrieden, und nun
kommt Hans Hopfen an die Reihe, der keine Beichte ablegen will und sich
wirklich im wesentlichen darauf beschränkt, Emanuel Geibel noch seinen Dank
für edelmütige Förderung abzustatten. Denn die ergötzliche Geschichte, wie er
als „nichtsnutziger Schulbube" von dreizehn Jahren, zur Strafe vor seiner
Bank knieend, „wutschnaubende, freiheitsdnrstige" Verse gegen den Fürsten
Windischgrätz verbrochen hat, gehört zu seiner Kritik des Frcmzosschen Unter¬
nehmens. Hopfen denkt nämlich sehr gering von den vor dem Spiegel aus¬
geführten Selbstbildnissen von Menschen, deren „Leben an sich uicht schon
einen hohen Reiz für jeden begabten Erzähler hat," und was eine Geschichte
wirklicher Erstlingswerke, der ersten litterarischen Versuche, deren sich der
Verfasser später gar nicht gern zu erinnern pflegt, nützen solle, begreift er
vollends nicht.

Wir begnügen uus, zu berichten, daß noch Imsen, Ebers, Baumbach,
Eckstein, Richard Voß, Ossip Schubin, Sudermann und Fulda Selbstbekennt-


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[0488] Litterarische Industrie schlagen, immer wieder aus dem Grabe erstehen und endlich die Welt besiegen wird." Wir brauchen also nicht zu verzagen. Oswald ist zwar gestorben, aber noch lebt für die weltbesiegende Idee Friedrich Spielhagen! Aus so erhabnen Regionen führt uns Paul Heyse in die gemeine Wirk¬ lichkeit zurück. Er gehört zu den Ketzern in dieser Gemeinde. Während sich aber andre, uneingedenk des lateinischen Spruchs, ihre Bedenken damit be¬ schwichtigen, was K. F. Meyer gethan, dürften sie sich auch erlauben, möchte er sich uicht nachsagen lassen, daß er dnrch seine Abwesenheit glänzen wolle. Und so berichtet er einfach, frei von gemachter Bescheidenheit wie von Selbst¬ gefälligkeit von seinen gedruckten „Jugendsünden" und schließlich mit Humor von einer ungedruckten, einem in seinem zwölften Jahre verfaßten Drama „Der dankbare Räuber," das von heimtückischen Freunden an seinem Polter¬ abend aufgeführt worden ist — mit großem Erfolg, wie sich von selbst versteht. Weniger Glück hatte Frau von Ebner-Eschenbach mit ihrem dramatischen Erstlingswerke. Die Art, wie sie die Schicksale ihrer „Marie Stuart in Schottland" erzählt, beweist aufs neue, für welches Gebiet der Dichtung sie ein ungewöhnliches Talent hat, und wenn sie schließt: „In meiner Jugend war ich überzeugt, ich müsse eine große Dichterin werden, und jetzt ist mein Herz von Glück und Dank erfüllt, wenn es mir gelingt, eine lesbare Geschichte niederzuschreiben," so wüßten wir daran nichts anders auszusetzen als den leisen Ton der Resignation. Wer mit so offnen Augen durch die Welt geht und das Gesehene so wahr und fesselnd zu schildern weiß, den darf es wahrlich uicht bekümmern, wenn nicht alle Blütenträume reiften! Ernst Wiehert kann sich rühmen, für sein Schauspiel „General Dort" nicht mir Beifall, sondern auch vierzehn Thaler fünf Silbergroschen Tantieme geerntet zu haben. Felix Decbr, der mit der Analhse seiner Dichtung „Harald und Theano" einen Druckbogen füllt, und Julius Wolff find höchlich mit sich zufrieden, und nun kommt Hans Hopfen an die Reihe, der keine Beichte ablegen will und sich wirklich im wesentlichen darauf beschränkt, Emanuel Geibel noch seinen Dank für edelmütige Förderung abzustatten. Denn die ergötzliche Geschichte, wie er als „nichtsnutziger Schulbube" von dreizehn Jahren, zur Strafe vor seiner Bank knieend, „wutschnaubende, freiheitsdnrstige" Verse gegen den Fürsten Windischgrätz verbrochen hat, gehört zu seiner Kritik des Frcmzosschen Unter¬ nehmens. Hopfen denkt nämlich sehr gering von den vor dem Spiegel aus¬ geführten Selbstbildnissen von Menschen, deren „Leben an sich uicht schon einen hohen Reiz für jeden begabten Erzähler hat," und was eine Geschichte wirklicher Erstlingswerke, der ersten litterarischen Versuche, deren sich der Verfasser später gar nicht gern zu erinnern pflegt, nützen solle, begreift er vollends nicht. Wir begnügen uus, zu berichten, daß noch Imsen, Ebers, Baumbach, Eckstein, Richard Voß, Ossip Schubin, Sudermann und Fulda Selbstbekennt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/488>, abgerufen am 25.07.2024.