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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Das paßt vollständig ans diese hernntergekommnen Gesellen und die elende CharaUe"
losigkeit, aus der ihr pikanter Stil herausfließt.

Damit soll nicht gesagt sein, daß die Herren nicht ihre persönlichen Lieb¬
habereien hätten. Aber den Grundton giebt, bei persönlicher Neigung oder Ab¬
neigung, der überlegne Kopf, der nervös feine Geschmack, der pikante Analyfirstil
an, niemals das Herz oder der weitfliegeude, Sätze zu Perioden zusammenraffende,
begeisternde oder zerschmetternde, daher auch schöpferische, vou der ganzen Wucht
einer gesunden Persönlichkeit getragne spekulative Gedanke. Gespensterhaft seelenlos
ist diese Art; nur pathologisch kann man ihr gerecht werden, Ihre Nerven er¬
setzen diesen Parisern die volle, warme Mannesseele. Und feine, interessant zer¬
rüttete Nerven hat ja das ausgemergelte Keltentum der so lange schon im "Grab
der Menschheit," wie Rousseau die Großstadt nennt, dahinlebenden Pariser. Nun
macht es ihnen das junge Berlin nach.

Ich greife aus einer Berliner Monatsschrift eine Probe heraus. Da schreibt
Oskar Bie in der Freien Bühne: "Die Post brachte neue Note" von Richard
Strauß. Das ist für mich immer ein kleines Fest. Da heißt es, alles liegen lassen,
das Klavier aufklappen und in die Töne stürzen. Deal ich liebe die Musik StrnußenS
leidenschaftlich. Sie ist Voller Vornehmheit und königlicher Würde und doch vou
einer demokratischen Wahrheit, die auf die untersten Gründe der Seele taucht.
Indem ich sie umarme, hebt sie mich mild und leise auf jenen Gipfel, wo man
die Freude am Leben und seiner unendlichen Schönheit wiedergewinnt. Das thut
wohl!" O seht doch, wie er genießt! Ein distinguirter Gourmet; er genießt das
Werk wie frische Austern. Ob es die rechte Zeit zum Genießen ist, ob sein Genuß-
objekt und er selbst vor dem Richterstuhl einer umfassenden Weltanschauung,
vor dem Richterstuhl eines edelmenschlichen Pflichtbegriffs, eines vollen Mannes-
bcwußtseins bestehen bleibt -- darüber macht sich unser Genllßling keine Unruhe.
Er ist Künstler. Er ist verkörperte Stimmung. Er schwimmt in Farben. Er
trinkt Töne.

Weiter: "Ich wollte schon lange das Lebenswerk dieses, ich muß es sagen,
größten unsrer lebenden Komponisten zusammenfassen. Denn es reizt, einem In¬
dividuum die Konturen zu ziehen." Man beachte das eingeschobne, durchaus fran¬
zösische "ich muß es sagen"; man beachte die bezeichnende Wendung: "es reizt"
"so. Ich bitte, den ganzen höchst bezeichnenden Aufsatz auf Seite 1022 des Oktober-
Heftes der Freien Bühne nachzulesen. Auch den nicht minder bezeichnenden "Kri¬
tischen Erguß" von Richard Dehmel ans Seite 1029 desselben Heftes. Sehr
Pitane fängt er gleich mit einem "nämlich" an: "Es giebt nämlich Leute, die" usw.
Und er schließt nicht minder pikant: "Aber die merkwürdigen Leute -- als, nein!
u>an sollte auf sie speien! Aber freilich: "man"..." Ist das nicht feinster Esprit?

Man wirft uns ans den Kreisen der hier gekennzeichneten "Jungen" -- Jungen! -
das alberne Wort entgegen, wir wären "reaktionär." Wir meinen aber, daß wir


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Das paßt vollständig ans diese hernntergekommnen Gesellen und die elende CharaUe»
losigkeit, aus der ihr pikanter Stil herausfließt.

Damit soll nicht gesagt sein, daß die Herren nicht ihre persönlichen Lieb¬
habereien hätten. Aber den Grundton giebt, bei persönlicher Neigung oder Ab¬
neigung, der überlegne Kopf, der nervös feine Geschmack, der pikante Analyfirstil
an, niemals das Herz oder der weitfliegeude, Sätze zu Perioden zusammenraffende,
begeisternde oder zerschmetternde, daher auch schöpferische, vou der ganzen Wucht
einer gesunden Persönlichkeit getragne spekulative Gedanke. Gespensterhaft seelenlos
ist diese Art; nur pathologisch kann man ihr gerecht werden, Ihre Nerven er¬
setzen diesen Parisern die volle, warme Mannesseele. Und feine, interessant zer¬
rüttete Nerven hat ja das ausgemergelte Keltentum der so lange schon im „Grab
der Menschheit," wie Rousseau die Großstadt nennt, dahinlebenden Pariser. Nun
macht es ihnen das junge Berlin nach.

Ich greife aus einer Berliner Monatsschrift eine Probe heraus. Da schreibt
Oskar Bie in der Freien Bühne: „Die Post brachte neue Note» von Richard
Strauß. Das ist für mich immer ein kleines Fest. Da heißt es, alles liegen lassen,
das Klavier aufklappen und in die Töne stürzen. Deal ich liebe die Musik StrnußenS
leidenschaftlich. Sie ist Voller Vornehmheit und königlicher Würde und doch vou
einer demokratischen Wahrheit, die auf die untersten Gründe der Seele taucht.
Indem ich sie umarme, hebt sie mich mild und leise auf jenen Gipfel, wo man
die Freude am Leben und seiner unendlichen Schönheit wiedergewinnt. Das thut
wohl!" O seht doch, wie er genießt! Ein distinguirter Gourmet; er genießt das
Werk wie frische Austern. Ob es die rechte Zeit zum Genießen ist, ob sein Genuß-
objekt und er selbst vor dem Richterstuhl einer umfassenden Weltanschauung,
vor dem Richterstuhl eines edelmenschlichen Pflichtbegriffs, eines vollen Mannes-
bcwußtseins bestehen bleibt — darüber macht sich unser Genllßling keine Unruhe.
Er ist Künstler. Er ist verkörperte Stimmung. Er schwimmt in Farben. Er
trinkt Töne.

Weiter: „Ich wollte schon lange das Lebenswerk dieses, ich muß es sagen,
größten unsrer lebenden Komponisten zusammenfassen. Denn es reizt, einem In¬
dividuum die Konturen zu ziehen." Man beachte das eingeschobne, durchaus fran¬
zösische „ich muß es sagen"; man beachte die bezeichnende Wendung: „es reizt"
"so. Ich bitte, den ganzen höchst bezeichnenden Aufsatz auf Seite 1022 des Oktober-
Heftes der Freien Bühne nachzulesen. Auch den nicht minder bezeichnenden „Kri¬
tischen Erguß" von Richard Dehmel ans Seite 1029 desselben Heftes. Sehr
Pitane fängt er gleich mit einem „nämlich" an: „Es giebt nämlich Leute, die" usw.
Und er schließt nicht minder pikant: „Aber die merkwürdigen Leute — als, nein!
u>an sollte auf sie speien! Aber freilich: »man«..." Ist das nicht feinster Esprit?

Man wirft uns ans den Kreisen der hier gekennzeichneten „Jungen" — Jungen! -
das alberne Wort entgegen, wir wären „reaktionär." Wir meinen aber, daß wir


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[0455] Maßgebliches und Unmaßgebliches Das paßt vollständig ans diese hernntergekommnen Gesellen und die elende CharaUe» losigkeit, aus der ihr pikanter Stil herausfließt. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Herren nicht ihre persönlichen Lieb¬ habereien hätten. Aber den Grundton giebt, bei persönlicher Neigung oder Ab¬ neigung, der überlegne Kopf, der nervös feine Geschmack, der pikante Analyfirstil an, niemals das Herz oder der weitfliegeude, Sätze zu Perioden zusammenraffende, begeisternde oder zerschmetternde, daher auch schöpferische, vou der ganzen Wucht einer gesunden Persönlichkeit getragne spekulative Gedanke. Gespensterhaft seelenlos ist diese Art; nur pathologisch kann man ihr gerecht werden, Ihre Nerven er¬ setzen diesen Parisern die volle, warme Mannesseele. Und feine, interessant zer¬ rüttete Nerven hat ja das ausgemergelte Keltentum der so lange schon im „Grab der Menschheit," wie Rousseau die Großstadt nennt, dahinlebenden Pariser. Nun macht es ihnen das junge Berlin nach. Ich greife aus einer Berliner Monatsschrift eine Probe heraus. Da schreibt Oskar Bie in der Freien Bühne: „Die Post brachte neue Note» von Richard Strauß. Das ist für mich immer ein kleines Fest. Da heißt es, alles liegen lassen, das Klavier aufklappen und in die Töne stürzen. Deal ich liebe die Musik StrnußenS leidenschaftlich. Sie ist Voller Vornehmheit und königlicher Würde und doch vou einer demokratischen Wahrheit, die auf die untersten Gründe der Seele taucht. Indem ich sie umarme, hebt sie mich mild und leise auf jenen Gipfel, wo man die Freude am Leben und seiner unendlichen Schönheit wiedergewinnt. Das thut wohl!" O seht doch, wie er genießt! Ein distinguirter Gourmet; er genießt das Werk wie frische Austern. Ob es die rechte Zeit zum Genießen ist, ob sein Genuß- objekt und er selbst vor dem Richterstuhl einer umfassenden Weltanschauung, vor dem Richterstuhl eines edelmenschlichen Pflichtbegriffs, eines vollen Mannes- bcwußtseins bestehen bleibt — darüber macht sich unser Genllßling keine Unruhe. Er ist Künstler. Er ist verkörperte Stimmung. Er schwimmt in Farben. Er trinkt Töne. Weiter: „Ich wollte schon lange das Lebenswerk dieses, ich muß es sagen, größten unsrer lebenden Komponisten zusammenfassen. Denn es reizt, einem In¬ dividuum die Konturen zu ziehen." Man beachte das eingeschobne, durchaus fran¬ zösische „ich muß es sagen"; man beachte die bezeichnende Wendung: „es reizt" "so. Ich bitte, den ganzen höchst bezeichnenden Aufsatz auf Seite 1022 des Oktober- Heftes der Freien Bühne nachzulesen. Auch den nicht minder bezeichnenden „Kri¬ tischen Erguß" von Richard Dehmel ans Seite 1029 desselben Heftes. Sehr Pitane fängt er gleich mit einem „nämlich" an: „Es giebt nämlich Leute, die" usw. Und er schließt nicht minder pikant: „Aber die merkwürdigen Leute — als, nein! u>an sollte auf sie speien! Aber freilich: »man«..." Ist das nicht feinster Esprit? Man wirft uns ans den Kreisen der hier gekennzeichneten „Jungen" — Jungen! - das alberne Wort entgegen, wir wären „reaktionär." Wir meinen aber, daß wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/455>, abgerufen am 29.06.2024.