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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Börseukrisis

Die Sache macht sich ja auch ganz von selbst. Die Kurse falle" bei einer
solchen Krise gewöhnlich tiefer, als der wirkliche Wert der Aktienunternehmuug
-- in diesem Falle der Gvldmine -- ist. Die großen Häuser, Banken und
Bankiers kennen durch Untersuchungen, die sie unter der Hand haben anstellen
lassen, den Wert jeder aussichtsvollen Mine und ihrer Aktien annähernd. Ist
der Börsenpreis tief genug unter den Wert gefallen, so kaufen sie. So wird
der Besitz der hauptsächlichsten Goldwerte wahrscheinlich ebenfalls schließlich
in wenigen Händen vereinigt werden, wie es der der Silberbergwerke längst ist.
Ein Pook oder Comer oder Ring der Gold- und Silberproduzentcn liegt dann
in der Luft, und die mit Mackah, Flood und den andern wenigen amerikanischen
Silberkönigen verbundne Nvthschildsche Goldgruppe macht alle Währungsgesetze
überflüssig, sie bestimmt, was Geld sein, wieviel davon jährlich erzeugt werde, und
was es wert sein soll. Dann wird die Geldweltherrschaft das ihr gegenüber schon
lange ohnmächtige Staatenshstem entbehren und ersetzen können. Die Edel¬
metallproduktion wird einmal so geregelt sein, wie vor mehreren hundert Jahren
die des Quecksilbers durch die Fugger und jetzt die des Kupfers durch Roth¬
schild, des Petroleums durch Rockefeller und Rothschild.

Von London ausgegangen, hat der Goldminenschwindel die andern Börsen,
die von Paris, Berlin, Wien und sogar Konstantinopel, mit ergriffen, und der
Krach zieht sie alle etwas in Mitleidenschaft. Die östlichen Börsen leiden
nicht so sehr an ihm wie die Börsen von London und Paris, aber sie haben
außerdem noch besondre Schmerzen oder solche, die der einen von der andern
zugefügt worden sind. Dies ist mit Berlin der Fall, das von der österreichischen
Spekulationskrisis noch heftiger als von der Goldminenkrists in Mitleidenschaft
gezogen worden ist.

Ganz eigentümlich ist die Geldkrisis, denn so muß man sie nennen, von
Konstantinopel. Daß dieser Ort eine Börse hat, wird wohl den meisten Lesern neu
sein, und daß in der Türkei eine Geldkrisis ausbrechen kann, die doch voraussetzt,
daß dort einmal Geld vorhanden gewesen ist, wird den unglücklichen Besitzern von
Türkenlosen höchst befremdlich sein. Und doch erfreut sich die Türkei des aller-
vollendetsten Geldsystems der Welt, das die "Häute Fincmce," diese Macht der
Großmächte, selbst, mit voller Souveränität, mit Aufwendung von größter Er¬
fahrung, hochbezahlter Intelligenz und soviel Kapital, als nötig schien, geschaffen
hat und bis jetzt ohne jede Staatseinmischung verwaltet. Dieses Geldshstem
erschien so mustergiltig, daß es Herr von Pierer noch vor ein und einem halben
Jahre in Österreich-Ungarn hat gesetzlich einführen lassen und dabei nicht
nur von seiner Partei, sondern auch von den Konservativen und Großgrund¬
besitzern des Hohcuwart- und Deymklubs unterstützt wurde; denn die Öster¬
reichisch-Ungarische Bank ist nach dem Muster der Ottomanbank umgestaltet
worden, soweit das vor dem neuen Ausgleich mit Ungarn möglich war. Es
ist darum interessant, zu untersuchen, weshalb die "modernisirte und vervoll-


Zur Börseukrisis

Die Sache macht sich ja auch ganz von selbst. Die Kurse falle» bei einer
solchen Krise gewöhnlich tiefer, als der wirkliche Wert der Aktienunternehmuug
— in diesem Falle der Gvldmine — ist. Die großen Häuser, Banken und
Bankiers kennen durch Untersuchungen, die sie unter der Hand haben anstellen
lassen, den Wert jeder aussichtsvollen Mine und ihrer Aktien annähernd. Ist
der Börsenpreis tief genug unter den Wert gefallen, so kaufen sie. So wird
der Besitz der hauptsächlichsten Goldwerte wahrscheinlich ebenfalls schließlich
in wenigen Händen vereinigt werden, wie es der der Silberbergwerke längst ist.
Ein Pook oder Comer oder Ring der Gold- und Silberproduzentcn liegt dann
in der Luft, und die mit Mackah, Flood und den andern wenigen amerikanischen
Silberkönigen verbundne Nvthschildsche Goldgruppe macht alle Währungsgesetze
überflüssig, sie bestimmt, was Geld sein, wieviel davon jährlich erzeugt werde, und
was es wert sein soll. Dann wird die Geldweltherrschaft das ihr gegenüber schon
lange ohnmächtige Staatenshstem entbehren und ersetzen können. Die Edel¬
metallproduktion wird einmal so geregelt sein, wie vor mehreren hundert Jahren
die des Quecksilbers durch die Fugger und jetzt die des Kupfers durch Roth¬
schild, des Petroleums durch Rockefeller und Rothschild.

Von London ausgegangen, hat der Goldminenschwindel die andern Börsen,
die von Paris, Berlin, Wien und sogar Konstantinopel, mit ergriffen, und der
Krach zieht sie alle etwas in Mitleidenschaft. Die östlichen Börsen leiden
nicht so sehr an ihm wie die Börsen von London und Paris, aber sie haben
außerdem noch besondre Schmerzen oder solche, die der einen von der andern
zugefügt worden sind. Dies ist mit Berlin der Fall, das von der österreichischen
Spekulationskrisis noch heftiger als von der Goldminenkrists in Mitleidenschaft
gezogen worden ist.

Ganz eigentümlich ist die Geldkrisis, denn so muß man sie nennen, von
Konstantinopel. Daß dieser Ort eine Börse hat, wird wohl den meisten Lesern neu
sein, und daß in der Türkei eine Geldkrisis ausbrechen kann, die doch voraussetzt,
daß dort einmal Geld vorhanden gewesen ist, wird den unglücklichen Besitzern von
Türkenlosen höchst befremdlich sein. Und doch erfreut sich die Türkei des aller-
vollendetsten Geldsystems der Welt, das die „Häute Fincmce," diese Macht der
Großmächte, selbst, mit voller Souveränität, mit Aufwendung von größter Er¬
fahrung, hochbezahlter Intelligenz und soviel Kapital, als nötig schien, geschaffen
hat und bis jetzt ohne jede Staatseinmischung verwaltet. Dieses Geldshstem
erschien so mustergiltig, daß es Herr von Pierer noch vor ein und einem halben
Jahre in Österreich-Ungarn hat gesetzlich einführen lassen und dabei nicht
nur von seiner Partei, sondern auch von den Konservativen und Großgrund¬
besitzern des Hohcuwart- und Deymklubs unterstützt wurde; denn die Öster¬
reichisch-Ungarische Bank ist nach dem Muster der Ottomanbank umgestaltet
worden, soweit das vor dem neuen Ausgleich mit Ungarn möglich war. Es
ist darum interessant, zu untersuchen, weshalb die „modernisirte und vervoll-


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[0434] Zur Börseukrisis Die Sache macht sich ja auch ganz von selbst. Die Kurse falle» bei einer solchen Krise gewöhnlich tiefer, als der wirkliche Wert der Aktienunternehmuug — in diesem Falle der Gvldmine — ist. Die großen Häuser, Banken und Bankiers kennen durch Untersuchungen, die sie unter der Hand haben anstellen lassen, den Wert jeder aussichtsvollen Mine und ihrer Aktien annähernd. Ist der Börsenpreis tief genug unter den Wert gefallen, so kaufen sie. So wird der Besitz der hauptsächlichsten Goldwerte wahrscheinlich ebenfalls schließlich in wenigen Händen vereinigt werden, wie es der der Silberbergwerke längst ist. Ein Pook oder Comer oder Ring der Gold- und Silberproduzentcn liegt dann in der Luft, und die mit Mackah, Flood und den andern wenigen amerikanischen Silberkönigen verbundne Nvthschildsche Goldgruppe macht alle Währungsgesetze überflüssig, sie bestimmt, was Geld sein, wieviel davon jährlich erzeugt werde, und was es wert sein soll. Dann wird die Geldweltherrschaft das ihr gegenüber schon lange ohnmächtige Staatenshstem entbehren und ersetzen können. Die Edel¬ metallproduktion wird einmal so geregelt sein, wie vor mehreren hundert Jahren die des Quecksilbers durch die Fugger und jetzt die des Kupfers durch Roth¬ schild, des Petroleums durch Rockefeller und Rothschild. Von London ausgegangen, hat der Goldminenschwindel die andern Börsen, die von Paris, Berlin, Wien und sogar Konstantinopel, mit ergriffen, und der Krach zieht sie alle etwas in Mitleidenschaft. Die östlichen Börsen leiden nicht so sehr an ihm wie die Börsen von London und Paris, aber sie haben außerdem noch besondre Schmerzen oder solche, die der einen von der andern zugefügt worden sind. Dies ist mit Berlin der Fall, das von der österreichischen Spekulationskrisis noch heftiger als von der Goldminenkrists in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Ganz eigentümlich ist die Geldkrisis, denn so muß man sie nennen, von Konstantinopel. Daß dieser Ort eine Börse hat, wird wohl den meisten Lesern neu sein, und daß in der Türkei eine Geldkrisis ausbrechen kann, die doch voraussetzt, daß dort einmal Geld vorhanden gewesen ist, wird den unglücklichen Besitzern von Türkenlosen höchst befremdlich sein. Und doch erfreut sich die Türkei des aller- vollendetsten Geldsystems der Welt, das die „Häute Fincmce," diese Macht der Großmächte, selbst, mit voller Souveränität, mit Aufwendung von größter Er¬ fahrung, hochbezahlter Intelligenz und soviel Kapital, als nötig schien, geschaffen hat und bis jetzt ohne jede Staatseinmischung verwaltet. Dieses Geldshstem erschien so mustergiltig, daß es Herr von Pierer noch vor ein und einem halben Jahre in Österreich-Ungarn hat gesetzlich einführen lassen und dabei nicht nur von seiner Partei, sondern auch von den Konservativen und Großgrund¬ besitzern des Hohcuwart- und Deymklubs unterstützt wurde; denn die Öster¬ reichisch-Ungarische Bank ist nach dem Muster der Ottomanbank umgestaltet worden, soweit das vor dem neuen Ausgleich mit Ungarn möglich war. Es ist darum interessant, zu untersuchen, weshalb die „modernisirte und vervoll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/434>, abgerufen am 01.07.2024.