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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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völkerungen verbrauchen. Im Inlande sind neue Unternehmungen unnötig,
die bestehenden Fabriken können selten vollständig beschäftigt werden, die Eisen¬
bahnnetze sind ausgebaut, nnr gelegentlich und selten werden ein paar neue,
große Ozeandampfer gebaut. Das überschüssige Kapital muß also Anlage im
Auslande suchen, und wenn es das thut, folgt es meist dem höchsten Zins¬
angebote. Dieses wächst leider im umgekehrten Verhältnis zur Sicherheit.
Der Engländer folgt sehr oft seinem Kapital, er legt es selbst an in einer
indischen Spinnerei, einem Viehranch am Felsengebirge, einer Weizenfarm in
Argentinien. Er verwaltet das Unternehmen und macht den durchschnittlich
landesüblichen Unternehmergewinn, der größer ist als der englische. Ihr großer
Kolonialbesitz hat die Engländer daran gewohnt, ihrem Kapital zu folgen, hat
sie mit Natur und Sitten der exotischen Länder und Völker vertraut gemacht
und sie befähigt, sich ihnen anzupassen.

Den Franzosen fehlt die eigne Kolonialschule und damit die Hauptbe¬
dingung für Gewinn im Auslande. Sie kaufen deshalb fremde Fonds, allen¬
falls auch, aber selten, fremde Aktien. Auch manche Engländer thun das,
wenn sie mit ihrem Kapital nicht zeitweilig auswandern können. Sie alle
riskiren viel, und erklärt sich ein großer Staat für bankrott, oder wird es
eine Anzahl großer Unternehmungen, so entsteht wohl in London oder Paris
eine kleine Krise. Das ist nun jetzt der Fall. Es ist einer Anzahl Unter¬
nehmern der afrikanischen Goldminen gelungen, das Publikum von der voraus¬
sichtlich großen Rentabilität vieler in unglaublich kurzer Zeit gegründeten
Minen zu überzeugen. Die Aktien wurden meist nur auf ein Pfund Sterling,
manche sogar nur auf zweiundeinhalb oder auf fünf Schilling lautend ausge¬
stellt und dadurch jedem Knecht und Arbeiter zugänglich gemacht. Einige
sind bis zu einer ganz unnatürlichen Höhe hinaufgeschwindelt worden.
Alle Finanzleute wußten, daß diese Hauffe einmal zusammenbrechen würde.
Viele haben dennoch den Schwindel mitgemacht, um dabei zu gewinnen. Der
Krach war unvermeidlich. Er wird wirken, wie die meisten Spekulationskrachs:
nicht kapitalvernichtend, sondern nur kapitalübertrageud. Die Vossische Zeitung
hat berechnet, daß das französische Volk seit fünfzehn Jahren an Bontoux,
Panama, Comptoir d'Escompte und Banane d'Escompte etwa zwei Milliarden
Francs verloren habe. Beim Panamabau und dem Kupferring des Comptoir
d'Escompte mag nahe an eine Milliarde wirklich nutzlos ins Ausland abge¬
flossen sein; die zweite Milliarde haben die meisten kleinen und einige unglücklich
operireude große Aktionäre oder Teilnehmer freilich auch verloren, aber
einige andre große und glücklich spekulirende Franzosen haben sie gewonnen.

Solche nun schon durchaus regelmäßig wiederkehrende Spekulationskrisen
bewirken eine Beschleunigung der Kapitalanhäufung und andrerseits der Ver¬
armung. Früher hat man verlangt, der Staat solle hier eingreifen. Jetzt
scheint man sich dnrein, als in etwas Unvermeidliches, gefunden zu haben.


völkerungen verbrauchen. Im Inlande sind neue Unternehmungen unnötig,
die bestehenden Fabriken können selten vollständig beschäftigt werden, die Eisen¬
bahnnetze sind ausgebaut, nnr gelegentlich und selten werden ein paar neue,
große Ozeandampfer gebaut. Das überschüssige Kapital muß also Anlage im
Auslande suchen, und wenn es das thut, folgt es meist dem höchsten Zins¬
angebote. Dieses wächst leider im umgekehrten Verhältnis zur Sicherheit.
Der Engländer folgt sehr oft seinem Kapital, er legt es selbst an in einer
indischen Spinnerei, einem Viehranch am Felsengebirge, einer Weizenfarm in
Argentinien. Er verwaltet das Unternehmen und macht den durchschnittlich
landesüblichen Unternehmergewinn, der größer ist als der englische. Ihr großer
Kolonialbesitz hat die Engländer daran gewohnt, ihrem Kapital zu folgen, hat
sie mit Natur und Sitten der exotischen Länder und Völker vertraut gemacht
und sie befähigt, sich ihnen anzupassen.

Den Franzosen fehlt die eigne Kolonialschule und damit die Hauptbe¬
dingung für Gewinn im Auslande. Sie kaufen deshalb fremde Fonds, allen¬
falls auch, aber selten, fremde Aktien. Auch manche Engländer thun das,
wenn sie mit ihrem Kapital nicht zeitweilig auswandern können. Sie alle
riskiren viel, und erklärt sich ein großer Staat für bankrott, oder wird es
eine Anzahl großer Unternehmungen, so entsteht wohl in London oder Paris
eine kleine Krise. Das ist nun jetzt der Fall. Es ist einer Anzahl Unter¬
nehmern der afrikanischen Goldminen gelungen, das Publikum von der voraus¬
sichtlich großen Rentabilität vieler in unglaublich kurzer Zeit gegründeten
Minen zu überzeugen. Die Aktien wurden meist nur auf ein Pfund Sterling,
manche sogar nur auf zweiundeinhalb oder auf fünf Schilling lautend ausge¬
stellt und dadurch jedem Knecht und Arbeiter zugänglich gemacht. Einige
sind bis zu einer ganz unnatürlichen Höhe hinaufgeschwindelt worden.
Alle Finanzleute wußten, daß diese Hauffe einmal zusammenbrechen würde.
Viele haben dennoch den Schwindel mitgemacht, um dabei zu gewinnen. Der
Krach war unvermeidlich. Er wird wirken, wie die meisten Spekulationskrachs:
nicht kapitalvernichtend, sondern nur kapitalübertrageud. Die Vossische Zeitung
hat berechnet, daß das französische Volk seit fünfzehn Jahren an Bontoux,
Panama, Comptoir d'Escompte und Banane d'Escompte etwa zwei Milliarden
Francs verloren habe. Beim Panamabau und dem Kupferring des Comptoir
d'Escompte mag nahe an eine Milliarde wirklich nutzlos ins Ausland abge¬
flossen sein; die zweite Milliarde haben die meisten kleinen und einige unglücklich
operireude große Aktionäre oder Teilnehmer freilich auch verloren, aber
einige andre große und glücklich spekulirende Franzosen haben sie gewonnen.

Solche nun schon durchaus regelmäßig wiederkehrende Spekulationskrisen
bewirken eine Beschleunigung der Kapitalanhäufung und andrerseits der Ver¬
armung. Früher hat man verlangt, der Staat solle hier eingreifen. Jetzt
scheint man sich dnrein, als in etwas Unvermeidliches, gefunden zu haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/433>, abgerufen am 29.06.2024.