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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

Fällen durch wohlwollende Vemühnngen erfolgreich beikommen, indem Roheit
verhütet, Zucht und Sitte bewahrt, auch dieser oder jener hübsche alte Brauch
erhalten wird. Insbesondre wird dies manchem Gutsbesitzer, dessen Familie
seit unvordenklichen Zeiten die "Herrschaft" im Dorfe vorstellt und von dem
mit Vorliebe am Alten hängenden Bauern als solche verehrt und geachtet
wird, ohne große Schwierigkeit gelingen. Im allgemeinen aber ist auch der
Kirmesbaum im Absterben begriffen, und breiten sich auch noch zahlreiche
Wurzeln seines Stammes im deutschen Volksboden aus, zu neuen und lebens¬
kräftigen Sprößlingen bringt er es nicht mehr, die Drehorgel hat längst sein
Grablied angestimmt.

Merkwürdigerweise haben sich nun gerade zwei Feste, die ihrem ganzen
Charakter nach einer großen Kirchweih gleichen, am bedeutendsten entwickelt,
ohne daß ihre Entstehung irgend welche volkstümliche Grundlage Hütte -- ein
Beweis, wie gern das Volk bereit ist, die Feste zu feiern, "wie sie fallen."^)
Es sind dies das Münchner "Oktoberfest" und das Cannstatter "Volksfest,"
das eine von König Ludwig I. als Erinnerung an seine Vermählung, das
andre vom König Karl am Tage nach dessen Geburtstag, am 28. September,
"verordnet." Freilich wurde geschickterweise bei beiden eine landwirtschaftliche
Landesausstellung mit zahlreichen Belohnungen eingerichtet; es finden Volks¬
belustigungen aller -- auch älterer -- Art statt; der Bauer hat Gelegenheit,
sein Interesse an allem, was in landwirtschaftlicher Beziehung vorgeführt wird,
vollauf zu befriedigen; auch ist es die Zeit, wo er von Alters her am besten
seine Herbst- und Wintereinkäufe "in der Stadt" besorgen kann; überdies
bekommt er in prächtiger Ausfahrt seinen König und die Mitglieder des Königs¬
hauses zu sehen. So wird das "von oben" eingesetzte Fest zu einem großen
Volksfest im landläufigen Sinne des Wortes, und das Erlebte bildet für deu
Teilnehmer aus den Dörfern Schwabens oder den stillen Bergorten Oberbaierns
einen reichen Erinnerungsschatz an langen Winterabenden. Aus dem Auf¬
blühen gerade dieser Feste sind für den Volksfreund mancherlei Fingerzeige
zu entnehmen. .Erstlich dürfte sich Neimann im Irrtum befinden, wenn er
meint, daß Volksfeste, wo solche eingerichtet werden sollen, aus dem Volke
selbst hervorgehen müßten, wenn sie gedeihen und Nutzen bringen sollen. "Ver¬
steht man es darin, sagt er, so tragen solche Feste schon im Entstehen den Keim
baldigen Erlöschens; denn dieser nachgeahmten Lust fehlt ja das frische, kräftige
Leben, das ein Volksfest atmen muß." Beides ist weder bei dem Münchner
noch bei dem Stuttgarter Fest der Fall gewesen, und so mißtrauisch das Volk
im allgemeinen gegen gute "Intentionen von oben her" ist, weil derartige



*) Den Versuch Kaiser Josephs II., alle Kirmessen aus einen Tag zu verlegen, beant¬
wortete das Volk damit, daß es die alten Festtage beibehielt und noch eine besondre "Kaiser¬
kirmes" hinzufügte.
Unsre Volksfeste

Fällen durch wohlwollende Vemühnngen erfolgreich beikommen, indem Roheit
verhütet, Zucht und Sitte bewahrt, auch dieser oder jener hübsche alte Brauch
erhalten wird. Insbesondre wird dies manchem Gutsbesitzer, dessen Familie
seit unvordenklichen Zeiten die „Herrschaft" im Dorfe vorstellt und von dem
mit Vorliebe am Alten hängenden Bauern als solche verehrt und geachtet
wird, ohne große Schwierigkeit gelingen. Im allgemeinen aber ist auch der
Kirmesbaum im Absterben begriffen, und breiten sich auch noch zahlreiche
Wurzeln seines Stammes im deutschen Volksboden aus, zu neuen und lebens¬
kräftigen Sprößlingen bringt er es nicht mehr, die Drehorgel hat längst sein
Grablied angestimmt.

Merkwürdigerweise haben sich nun gerade zwei Feste, die ihrem ganzen
Charakter nach einer großen Kirchweih gleichen, am bedeutendsten entwickelt,
ohne daß ihre Entstehung irgend welche volkstümliche Grundlage Hütte — ein
Beweis, wie gern das Volk bereit ist, die Feste zu feiern, „wie sie fallen."^)
Es sind dies das Münchner „Oktoberfest" und das Cannstatter „Volksfest,"
das eine von König Ludwig I. als Erinnerung an seine Vermählung, das
andre vom König Karl am Tage nach dessen Geburtstag, am 28. September,
„verordnet." Freilich wurde geschickterweise bei beiden eine landwirtschaftliche
Landesausstellung mit zahlreichen Belohnungen eingerichtet; es finden Volks¬
belustigungen aller — auch älterer — Art statt; der Bauer hat Gelegenheit,
sein Interesse an allem, was in landwirtschaftlicher Beziehung vorgeführt wird,
vollauf zu befriedigen; auch ist es die Zeit, wo er von Alters her am besten
seine Herbst- und Wintereinkäufe „in der Stadt" besorgen kann; überdies
bekommt er in prächtiger Ausfahrt seinen König und die Mitglieder des Königs¬
hauses zu sehen. So wird das „von oben" eingesetzte Fest zu einem großen
Volksfest im landläufigen Sinne des Wortes, und das Erlebte bildet für deu
Teilnehmer aus den Dörfern Schwabens oder den stillen Bergorten Oberbaierns
einen reichen Erinnerungsschatz an langen Winterabenden. Aus dem Auf¬
blühen gerade dieser Feste sind für den Volksfreund mancherlei Fingerzeige
zu entnehmen. .Erstlich dürfte sich Neimann im Irrtum befinden, wenn er
meint, daß Volksfeste, wo solche eingerichtet werden sollen, aus dem Volke
selbst hervorgehen müßten, wenn sie gedeihen und Nutzen bringen sollen. „Ver¬
steht man es darin, sagt er, so tragen solche Feste schon im Entstehen den Keim
baldigen Erlöschens; denn dieser nachgeahmten Lust fehlt ja das frische, kräftige
Leben, das ein Volksfest atmen muß." Beides ist weder bei dem Münchner
noch bei dem Stuttgarter Fest der Fall gewesen, und so mißtrauisch das Volk
im allgemeinen gegen gute „Intentionen von oben her" ist, weil derartige



*) Den Versuch Kaiser Josephs II., alle Kirmessen aus einen Tag zu verlegen, beant¬
wortete das Volk damit, daß es die alten Festtage beibehielt und noch eine besondre „Kaiser¬
kirmes" hinzufügte.
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[0398] Unsre Volksfeste Fällen durch wohlwollende Vemühnngen erfolgreich beikommen, indem Roheit verhütet, Zucht und Sitte bewahrt, auch dieser oder jener hübsche alte Brauch erhalten wird. Insbesondre wird dies manchem Gutsbesitzer, dessen Familie seit unvordenklichen Zeiten die „Herrschaft" im Dorfe vorstellt und von dem mit Vorliebe am Alten hängenden Bauern als solche verehrt und geachtet wird, ohne große Schwierigkeit gelingen. Im allgemeinen aber ist auch der Kirmesbaum im Absterben begriffen, und breiten sich auch noch zahlreiche Wurzeln seines Stammes im deutschen Volksboden aus, zu neuen und lebens¬ kräftigen Sprößlingen bringt er es nicht mehr, die Drehorgel hat längst sein Grablied angestimmt. Merkwürdigerweise haben sich nun gerade zwei Feste, die ihrem ganzen Charakter nach einer großen Kirchweih gleichen, am bedeutendsten entwickelt, ohne daß ihre Entstehung irgend welche volkstümliche Grundlage Hütte — ein Beweis, wie gern das Volk bereit ist, die Feste zu feiern, „wie sie fallen."^) Es sind dies das Münchner „Oktoberfest" und das Cannstatter „Volksfest," das eine von König Ludwig I. als Erinnerung an seine Vermählung, das andre vom König Karl am Tage nach dessen Geburtstag, am 28. September, „verordnet." Freilich wurde geschickterweise bei beiden eine landwirtschaftliche Landesausstellung mit zahlreichen Belohnungen eingerichtet; es finden Volks¬ belustigungen aller — auch älterer — Art statt; der Bauer hat Gelegenheit, sein Interesse an allem, was in landwirtschaftlicher Beziehung vorgeführt wird, vollauf zu befriedigen; auch ist es die Zeit, wo er von Alters her am besten seine Herbst- und Wintereinkäufe „in der Stadt" besorgen kann; überdies bekommt er in prächtiger Ausfahrt seinen König und die Mitglieder des Königs¬ hauses zu sehen. So wird das „von oben" eingesetzte Fest zu einem großen Volksfest im landläufigen Sinne des Wortes, und das Erlebte bildet für deu Teilnehmer aus den Dörfern Schwabens oder den stillen Bergorten Oberbaierns einen reichen Erinnerungsschatz an langen Winterabenden. Aus dem Auf¬ blühen gerade dieser Feste sind für den Volksfreund mancherlei Fingerzeige zu entnehmen. .Erstlich dürfte sich Neimann im Irrtum befinden, wenn er meint, daß Volksfeste, wo solche eingerichtet werden sollen, aus dem Volke selbst hervorgehen müßten, wenn sie gedeihen und Nutzen bringen sollen. „Ver¬ steht man es darin, sagt er, so tragen solche Feste schon im Entstehen den Keim baldigen Erlöschens; denn dieser nachgeahmten Lust fehlt ja das frische, kräftige Leben, das ein Volksfest atmen muß." Beides ist weder bei dem Münchner noch bei dem Stuttgarter Fest der Fall gewesen, und so mißtrauisch das Volk im allgemeinen gegen gute „Intentionen von oben her" ist, weil derartige *) Den Versuch Kaiser Josephs II., alle Kirmessen aus einen Tag zu verlegen, beant¬ wortete das Volk damit, daß es die alten Festtage beibehielt und noch eine besondre „Kaiser¬ kirmes" hinzufügte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/398>, abgerufen am 29.06.2024.