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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Wohnräume anzulegen pflegten, haben hier ein Liliputanerhäuschcn gebaut,
das sich aber mit der Kapelle zusammen und dein davor liegenden Garten sehr
hübsch ausnimmt. Von der Gewohnheit der bombenfesten Maueranlnge sind
sie auch hier nicht abgegangen, und die war ja wohl auch damals so wenig
überflüssig wie die eisernen Fenstergitter im Erdgeschoß, denn die Chronik be¬
richtet von manchem nächtlichen Besuch, der den Vätern in unfreundlicher Ab¬
sicht abgestattet worden sei. Die Solidität des Baues bekamen die Arbeiter
zu spüren, als ich die Wendeltreppe durch eine gerade ersetzen ließ. Es kostete
große Mühe, aus der Rundung soviel Mauerwerk herauszubrechen, daß die
neue Treppe Platz hatte, und über dem Zerhacken der Treppenstufen weinte
der schwächliche Mann, dem die Arbeit zufiel, Thränen der Verzweiflung; das
sei gar kein Holz, meinte er, das seien Schinderknochen. Sehr bequem ist die
ganze Anlage, da alles zusammenhängt, sodaß man aus der Hausflur in die
Sakristei tritt. Die Leute am Orte fanden, daß der Bischof mit dem Wechsel
das richtige getroffen habe: den großen Mann habe er aus der kleinen Kirche
in die große, den kleinen aus der großen Kirche in die kleine versetzt. Mein
Vorgänger war nämlich ein sehr stattlicher, großer und dicker Mann, und da
er auch an seine geistige Größe glaubte -- als ich ihn früher einmal besucht
hatte, war er so gnädig gewesen, mich mit Vorlesungen aus seinen Predigten
zu belehren und zu erbauen --, so war er ob seines Verbleibens auf diesem
in jeder Beziehung kleinen Posten an der göttlichen Gerechtigkeit verzweifelt.
Jetzt strahlte er vor Glück. Aber lange hat er es nicht genossen: schon im
nächsten Sommer zog ihm Eitelkeit den Tod zu. Er erlitt einen Pockenanfall,
der auf seinem schönen glatten Gesicht Spuren hinterließ. Diese zu tilgen,
gebrauchte er ein gefährliches Mittel, das seinen Tod zur Folge hatte.

Am 13. nahm ein Vertreter des wieder einmal von einem Gichtanfall
heimgesuchten ErzPriesters die Übergabe vor, und am 14. früh reiste mein
Vorgänger mit seiner Mutter ab. Nun konnte ich endlich aufatmen, mich
umsehen und mir sagen: Isis anch klein, so ists doch dein, und es ist ein
eignes Heim. Das Unwetter hatte ausgetobt, die Sonne schien freundlich zum
Fenster herein, und vor dem Fenster breitete sich ein mit Flieder und Goldregen
geschmücktes kleines Paradies aus. Ich besah mir den mittelgroßen Blumen-
und Gemüsegarten mit daranstoßenden Obstgarten, bewunderte die in der
Mitte stehende Sonnenuhr und las das Sprüchlein, das einer meiner Vor¬
gänger, vielleicht noch ein Jesuit -- die Schriftzüge find die des vorigen Jahr¬
hunderts --, über die Thür des Gartenhäuschens gesetzt hatte:

Mit großem Eifer verlegte ich mich auf die Pflege dieses Gartens, wobei mir
mein Kantor und dessen evangelischer Kollege mit ihrem sachverständigen Rate


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Wohnräume anzulegen pflegten, haben hier ein Liliputanerhäuschcn gebaut,
das sich aber mit der Kapelle zusammen und dein davor liegenden Garten sehr
hübsch ausnimmt. Von der Gewohnheit der bombenfesten Maueranlnge sind
sie auch hier nicht abgegangen, und die war ja wohl auch damals so wenig
überflüssig wie die eisernen Fenstergitter im Erdgeschoß, denn die Chronik be¬
richtet von manchem nächtlichen Besuch, der den Vätern in unfreundlicher Ab¬
sicht abgestattet worden sei. Die Solidität des Baues bekamen die Arbeiter
zu spüren, als ich die Wendeltreppe durch eine gerade ersetzen ließ. Es kostete
große Mühe, aus der Rundung soviel Mauerwerk herauszubrechen, daß die
neue Treppe Platz hatte, und über dem Zerhacken der Treppenstufen weinte
der schwächliche Mann, dem die Arbeit zufiel, Thränen der Verzweiflung; das
sei gar kein Holz, meinte er, das seien Schinderknochen. Sehr bequem ist die
ganze Anlage, da alles zusammenhängt, sodaß man aus der Hausflur in die
Sakristei tritt. Die Leute am Orte fanden, daß der Bischof mit dem Wechsel
das richtige getroffen habe: den großen Mann habe er aus der kleinen Kirche
in die große, den kleinen aus der großen Kirche in die kleine versetzt. Mein
Vorgänger war nämlich ein sehr stattlicher, großer und dicker Mann, und da
er auch an seine geistige Größe glaubte — als ich ihn früher einmal besucht
hatte, war er so gnädig gewesen, mich mit Vorlesungen aus seinen Predigten
zu belehren und zu erbauen —, so war er ob seines Verbleibens auf diesem
in jeder Beziehung kleinen Posten an der göttlichen Gerechtigkeit verzweifelt.
Jetzt strahlte er vor Glück. Aber lange hat er es nicht genossen: schon im
nächsten Sommer zog ihm Eitelkeit den Tod zu. Er erlitt einen Pockenanfall,
der auf seinem schönen glatten Gesicht Spuren hinterließ. Diese zu tilgen,
gebrauchte er ein gefährliches Mittel, das seinen Tod zur Folge hatte.

Am 13. nahm ein Vertreter des wieder einmal von einem Gichtanfall
heimgesuchten ErzPriesters die Übergabe vor, und am 14. früh reiste mein
Vorgänger mit seiner Mutter ab. Nun konnte ich endlich aufatmen, mich
umsehen und mir sagen: Isis anch klein, so ists doch dein, und es ist ein
eignes Heim. Das Unwetter hatte ausgetobt, die Sonne schien freundlich zum
Fenster herein, und vor dem Fenster breitete sich ein mit Flieder und Goldregen
geschmücktes kleines Paradies aus. Ich besah mir den mittelgroßen Blumen-
und Gemüsegarten mit daranstoßenden Obstgarten, bewunderte die in der
Mitte stehende Sonnenuhr und las das Sprüchlein, das einer meiner Vor¬
gänger, vielleicht noch ein Jesuit — die Schriftzüge find die des vorigen Jahr¬
hunderts —, über die Thür des Gartenhäuschens gesetzt hatte:

Mit großem Eifer verlegte ich mich auf die Pflege dieses Gartens, wobei mir
mein Kantor und dessen evangelischer Kollege mit ihrem sachverständigen Rate


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[0390] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Wohnräume anzulegen pflegten, haben hier ein Liliputanerhäuschcn gebaut, das sich aber mit der Kapelle zusammen und dein davor liegenden Garten sehr hübsch ausnimmt. Von der Gewohnheit der bombenfesten Maueranlnge sind sie auch hier nicht abgegangen, und die war ja wohl auch damals so wenig überflüssig wie die eisernen Fenstergitter im Erdgeschoß, denn die Chronik be¬ richtet von manchem nächtlichen Besuch, der den Vätern in unfreundlicher Ab¬ sicht abgestattet worden sei. Die Solidität des Baues bekamen die Arbeiter zu spüren, als ich die Wendeltreppe durch eine gerade ersetzen ließ. Es kostete große Mühe, aus der Rundung soviel Mauerwerk herauszubrechen, daß die neue Treppe Platz hatte, und über dem Zerhacken der Treppenstufen weinte der schwächliche Mann, dem die Arbeit zufiel, Thränen der Verzweiflung; das sei gar kein Holz, meinte er, das seien Schinderknochen. Sehr bequem ist die ganze Anlage, da alles zusammenhängt, sodaß man aus der Hausflur in die Sakristei tritt. Die Leute am Orte fanden, daß der Bischof mit dem Wechsel das richtige getroffen habe: den großen Mann habe er aus der kleinen Kirche in die große, den kleinen aus der großen Kirche in die kleine versetzt. Mein Vorgänger war nämlich ein sehr stattlicher, großer und dicker Mann, und da er auch an seine geistige Größe glaubte — als ich ihn früher einmal besucht hatte, war er so gnädig gewesen, mich mit Vorlesungen aus seinen Predigten zu belehren und zu erbauen —, so war er ob seines Verbleibens auf diesem in jeder Beziehung kleinen Posten an der göttlichen Gerechtigkeit verzweifelt. Jetzt strahlte er vor Glück. Aber lange hat er es nicht genossen: schon im nächsten Sommer zog ihm Eitelkeit den Tod zu. Er erlitt einen Pockenanfall, der auf seinem schönen glatten Gesicht Spuren hinterließ. Diese zu tilgen, gebrauchte er ein gefährliches Mittel, das seinen Tod zur Folge hatte. Am 13. nahm ein Vertreter des wieder einmal von einem Gichtanfall heimgesuchten ErzPriesters die Übergabe vor, und am 14. früh reiste mein Vorgänger mit seiner Mutter ab. Nun konnte ich endlich aufatmen, mich umsehen und mir sagen: Isis anch klein, so ists doch dein, und es ist ein eignes Heim. Das Unwetter hatte ausgetobt, die Sonne schien freundlich zum Fenster herein, und vor dem Fenster breitete sich ein mit Flieder und Goldregen geschmücktes kleines Paradies aus. Ich besah mir den mittelgroßen Blumen- und Gemüsegarten mit daranstoßenden Obstgarten, bewunderte die in der Mitte stehende Sonnenuhr und las das Sprüchlein, das einer meiner Vor¬ gänger, vielleicht noch ein Jesuit — die Schriftzüge find die des vorigen Jahr¬ hunderts —, über die Thür des Gartenhäuschens gesetzt hatte: Mit großem Eifer verlegte ich mich auf die Pflege dieses Gartens, wobei mir mein Kantor und dessen evangelischer Kollege mit ihrem sachverständigen Rate

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/390>, abgerufen am 01.07.2024.